Verböserungshinweis im Urlaub
Voraussetzung für eine Verböserung ist, dass der Einspruchsführer vor der Entscheidung auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihm im Rahmen einer angemessenen Frist Gelegenheit gegeben wurde, sich hierzu zu äußern um ggf. den Einspruch zurücknehmen zu können.
Der Hinweis nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO ist kein Verwaltungsakt, sondern eine unselbstständige Verfahrenshandlung. Eine Bekanntgabe nach § 122 Abs. 2 AO kann daher wegen des fehlenden Verwaltungsakts nicht fingiert werden. Vor diesem Hintergrund kommt es entscheidend auf die tatsächliche Möglichkeit zur Kenntnisnahme durch den Einspruchsführer an.
Beispiel für eine Verböserung während eines Urlaubs
Die Ehegatten A legten gegen ihren Einkommensteuerbescheid 2014 wegen vergessener Werbungskosten Einspruch ein. Mit Schreiben vom 4.5.2015 wies das Finanzamt die Eheleute darauf hin, dass es den angefochtenen Verwaltungsakt zu deren Nachteil ändern wolle. Eine Verböserung könnten sie allerdings durch die Rücknahme des Einspruchs bis zum 28.5.2015 vermeiden. Mit Einspruchsentscheidung vom 2.6.2015 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer höher fest und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Sowohl vom Verböserungshinweis als auch von der Einspruchsentscheidung erfuhren die Ehegatten aber erst am 6.6.2015, weil sie nachweislich 5 Wochen im Urlaub waren.
Hier kommt eine Widereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 1 AO nicht in Betracht, weil es sich bei der vom Finanzamt gesetzten Frist nicht um eine gesetzliche Frist handelt. Daher müssten die Ehegatten nun die Aufhebung der Einspruchsentscheidung beantragen, um das Einspruchsverfahren wieder eröffnen zu können.
Praxis-Tipp
Die Einspruchsentscheidung wäre auch aufzuheben. Die Grundsätze zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind zwar nicht unmittelbar aber entsprechend anwendbar. Wird die Einspruchsfrist gegen einen Steuerbescheid versäumt, ist ein "Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" möglich, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war.
Zwar wird nach der Bekanntgabefiktion (bei Verwaltungsakten) vermutet, dass der Empfänger einer Postsendung diese im Zweifel drei Tage nach der Aufgabe zur Post erhalten hat. Liegen aber konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich anders verhält, kann hiervon abgewichen werden (vgl. auch BFH, Beschluss v. 15.12.2014 – X S 20/4). Dabei sind auch normale Umstände – wie etwa Urlaubsabwesenheiten oder Krankenhausaufenthalte – zu berücksichtigen, sodass es auf die tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme ankommt und nicht auf eine (hypothetische) unter normalen Umständen.
Dementsprechend entfaltet der Verböserungshinweis nach einer aktuellen und rechtskräftigen Entscheidung des FG Hamburg (Urteil v. 27.11.2014, 2 K 108/14) immer erst dann Wirkung, wenn er vom Einspruchsführer tatsächlich derart zur Kenntnis genommen werden kann, dass eine Stellungnahme möglich ist, die von der Finanzbehörde vor Erlass der Einspruchsentscheidung berücksichtigt werden kann. Dies war hier erst am 6.6.2015 der Fall, weil die Ehegatten erst zu diesem Zeitpunkt aus dem fünfwöchigen Urlaub zurückgekehrt sind.
Das Finanzamt muss auch während des Einspruchsverfahrens nicht über den – hier - fünfwöchigen Urlaub informiert werden, so das FG. Lägen nämlich vorher keine Anhaltspunkte dafür vor, sei nicht mit einem Verböserungshinweis zu rechnen, zumal auch im Bereich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand davon ausgegangen wird, dass der übliche Jahresurlaub von bis zu 6 Wochen noch als kurzfristige Abwesenheit anzusehen ist, für die eine grundsätzliche Verpflichtung zu besonderen Vorkehrungen um die Kenntnisnahme von Bescheiden sicherzustellen, nicht besteht (z. B. FG Hessen v. 9.11.1977, VII 263/77).
In vergleichbaren Fällen sollte daher die Aufhebung der Einspruchsentscheidung – mit Hinweis auf die Entscheidung des FG Hamburg - beantragt werden.
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