Smart automatisieren – Digitalisierung der Steuerkanzlei
Der „Generation Smartphone“ sind Papierformulare weitgehend fremd. Im Geschäftsalltag angekommen, wollen sie die digitalen Kanäle und Geräte nutzen, so wie sie es gelernt haben – auch wenn es um Steuerbelange geht. Ihre Buchhaltung erledigen insbesondere junge Geschäftsleute und Selbstständige also nicht mehr, indem sie Zettel sammeln und per Post ihrem Steuerberater zukommen lassen. Per App und Smartphone-Kamera wird das mit wenigen Klicks erledigt. Wer das nicht anbietet, darf seinen Wettbewerbern bei der Mandanten-Akquise zuschauen.
Es liegt auf der Hand, dass sich Steuerkanzleien auf das geänderte Nutzungsverhalten einstellen müssen – oder sie retten sich mit ihren langjährigen Bestandsmandaten über die Zeit bis zur Rente. Die Digitalisierung ist längst kein Trend mehr, sondern eine Notwendigkeit, um in der heutigen schnelllebigen, von Daten angetriebenen Welt wettbewerbsfähig zu bleiben. Wer seine Kanzlei neu gründet, ist klar im Vorteil. Hier können alle Prozesse von Anfang an digital aufgesetzt werden. Für alle anderen wird es zäher, denn leider gibt es keinen Schalter, der von „analog“ auf „digital“ umstellen lässt. Eine Transformation ist schwierig – und sie muss im laufenden Tagesgeschäft geplant, angestoßen und umgesetzt werden. Kann das gut gehen?
Realistisch sein und Zeit investieren
„Der Wunsch nach Nicht-Beeinträchtigung des Tagesgeschäftes ist verständlich, aber schlichtweg unrealistisch“, sagt Kanzleiberater Ulf Hausmann. Die Gründe sind nach den Erfahrungen des Experten vielfältig: So sind vor allem in kleinen und mittleren Kanzleien die meisten Mitarbeiter und Partner massiv in die operative Arbeit eingebunden. Zudem müssen Know-how und Erfahrungen bei allen Mitarbeitern aufgebaut werden. Mitunter müssen zunächst einheitliche Prozesse erarbeitet und das nötige Prozess-Management entwickelt werden, denn sie sind eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche digitale Transformation. „Kanzleien, die gut digitalisiert sind, haben jahrelang in Prozess-Management und Digitalisierung investiert, insbesondere in den internen Kompetenzaufbau“, sagt Hausmann. Allein beim Zeiteinsatz aller Beteiligten müsse man dem Experten zufolge mit einer Investition in der Größenordnung von 5 bis 10 Prozent der Jahresarbeitskapazität kalkulieren. Zusätzliche externe Kosten für Beratung sind im Vergleich wesentlich geringer.
Ohne strukturierte Führung funktioniert es nicht
Wenn es innerhalb einer Steuerkanzlei keine Routine zur Verbesserung der gemeinsamen Arbeit gibt und jeder arbeitet, wie er will, wird eine Automatisierung zwangsläufig alles auf den Kopf stellen. Aber eine Transformation ist auch schonender möglich. Ein smarter Ansatz, den Berater Hausmann in Kanzleien kennengelernt hat, ist ein gelebter, kontinuierlicher Verbesserungsprozess: „Voraussetzung dafür ist eine strukturierte und enge Führung, die es ermöglicht und einfordert, dass permanent im Kleinen über Verbesserungen gesprochen wird und ein ausgewählter Teil des Potenzials kurzfristig – etwa innerhalb einer Woche – umgesetzt wird.“ „Häufig ist die Führung in Steuerkanzleien aber sehr lose, dann funktioniert so ein Ansatz weniger“, sagt der Kanzleiberater. Für das Lernen neuer gemeinsamer Arbeitsweisen müsse man vielen Mitarbeitern über die Schulter schauen, denn beim Arbeiten mit neuen Tools geht es vor allem darum, Verbesserungen der neuen Lösungen im Detail zu zeigen.
Erst Prozesse analysieren, dann handeln
Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Steuerkanzleien aber nicht nur passende Software-Lösungen identifizieren und implementieren. Bevor in der Kanzlei Aufgaben automatisiert werden, sollte man bestehende Prozesse überprüfen und optimieren. Nicht jeder bestehende Prozess eignet sich zur Automatisierung; manche müssen vielleicht zuerst umgestaltet werden. Also muss überdacht, gegebenenfalls neu aufgesetzt, eventuell angepasst und optimiert werden. Gleichzeitig gilt es, die Mitarbeiter auf dieser Reise mitzunehmen, sie zu involvieren sowie mit den neuen Lösungen und Prozessen vertraut zu machen.
Mitarbeiter frühzeitig einbinden
Mitarbeiter der Kanzlei sind gezwungen, die bis dato unbekannten Tools zu bedienen, sich auf neue Abläufe einzustellen und sich von vertrauten Prozessen zu trennen. Es ist für den Transformationsprozess daher entscheidend, sie einzubeziehen. Schulungen und Workshops können dabei helfen, das Verständnis und die Akzeptanz neuer Technologien zu fördern. Und das ist zwingend nötig, denn die Veränderungen sind komplex und tiefgreifend. In der Praxis hat es sich vielfach bewährt, in der operativen Umsetzung von Automatisierungsprojekten Schritt für Schritt vorzugehen.
Nach den Erfahrungen von Kanzlei-Inhaber Furat Al-Obaidi sollte man nicht zu viel auf einmal wollen. Seine F&S Steuerberatung in Berlin ist heute komplett digital aufgestellt. Mehrere Prozesse oder Projekte gleichzeitig zu digitalisieren, kann dem Digitalisierungsexperten zufolge zu Problemen führen sowie Mitarbeiter und Mandanten überfordern. Augenmaß und ein schrittweises Vorgehen seien deswegen hilfreich. Laut Al-Obaidi ist ein weiterer Erfolgsfaktor, nicht zu viele Tools und zu viele Insel-Lösungen einzusetzen.
Regelmäßiges Feedback und viel Kommunikation
Ein kompletter Umbruch über Nacht ist also wenig erfolgsversprechend; neue Tools und Prozesse nacheinander einzuführen, hat sich hingegen in der Praxis vielfach bewährt. Nach der Implementierung neuer Lösungen hilft ein regelmäßiges Feedback der Anwender, um die neuen Prozesse zu bewerten und anzupassen. Auch Mandanten sollten über die Veränderungen informiert und an smarte Prozesse angebunden werden. Digitale Lösungen können nämlich auch ihnen Vorteile bringen und Abläufe optimieren, wie zum Beispiel Online-Portale, die nun für den automatisierten Dokumentenaustausch genutzt werden können. Solche Erleichterungen können die Akzeptanz auf allen Seiten erhöhen, erfordern aber viel Vorlauf.
„Digitalisierungs- und Automatisierungsprozesse müssen gut vorbereitet werden“, rät deshalb Eugen Müller, Partner der Müller Blum Steuerberatungsgesellschaft. Der Prozess- und Digitalisierungsberater empfiehlt, zu Beginn einen realistischen Zeitplan zu erstellen. Darin sollte berücksichtigt werden, dass man mindestens die halbe Zeit dafür benötigt, aktuelle Prozesse zu analysieren und neu zu denken. Außerdem sei es wichtig, regelmäßig über das Vorhaben, die Notwendigkeit, die Vorteile und das Vorgehen zu kommunizieren. Insbesondere diese Kommunikation darf laut Müller nicht zu kurz kommen: „Fehlendes Wissen über das Vorgehen und das Vorhaben erzeugt Unsicherheit. Und Unsicherheit führt dazu, dass blockiert und verweigert wird“, so der Experte. Wenn sich alle Beteiligten gut informiert und involviert fühlen, steige hingegen die Motivation, dabei zu sein, auch etwas beitragen zu wollen und das Neue auszuprobieren.
Parallelwelten zeitlich begrenzen
Ein weiterer, verführerischer Stolperstein kann eine als „smart“ angedachte Automatisierung zu einer „Never-Ending-Story“ machen: Da ein harter Cut in der Praxis unmöglich ist, führen Umstellungsprozesse – bei denen alte Systeme abgeschaltet und neue Systeme eingeführt werden sollen – stets dazu, dass eine gewisse Zeit in zwei Welten gearbeitet wird. „Wichtig dabei ist, diese Parallelwelt so schnell wie möglich zu vermeiden“, betont Müller. Das bedeutet, dass in der alten Welt nur noch in Ausnahmefällen gearbeitet wird und dies kein Dauerzustand bleiben sollte. „Dies kann zum Beispiel dadurch gefördert werden, dass in der alten Welt nur noch wenige Zugänge vorhanden sind, um die Hürde zu erhöhen, aus Gewohnheit im Altsystem zu arbeiten“, rät der Experte.
Verständnis, offene Kommunikation und gemeinsame Ziele
Damit aus der lästigen Transformation und den damit einhergehenden Umstellungen und Automatisierungen letztlich ein erfreulicher Veränderungsprozess für alle Beteiligten wird, ist aus Sicht von Hausmann das Verständnis ein wirkungsvoller Ansatzpunkt. „Wenn ich Ablenkung von meiner Routine als lästig wahrnehme, und mir das Verständnis für die Bedeutung der Veränderungen fehlt, dann muss ich zunächst an diesem Verständnis arbeiten“, sagt der Kanzleicoach, der mit der Partnerebene oder kompletten Kanzleien auch Strategieworkshops zu Postdigitalen Perspektiven durchführt. „Häufig sind die Partner überrascht, was ein solcher Rahmen an Sichtweisen hervorbringt, die sonst im Druck des Arbeitsalltages verborgen bleiben“, sagt Hausmann.
Nicht zuletzt ist die anschließende interne Kommunikation mitentscheidend, ob Digitalisierungs- und Automatisierungsprojekte smart oder holprig über die Bühne gehen. „Es muss allen Beteiligten klar sein beziehungsweise deutlich kommuniziert werden, dass es im Rahmen solch eines Umstellungsprojektes zu einer höheren Belastung kommen wird. Dies sollte offen kommuniziert werden und auch im Rahmen des Zeitplans klar terminiert sein“, betont Digitalisierungsexperte Müller. Somit schaffe man einen Plan, an dem sich alle orientieren können und ein gemeinsames Ziel, auf das alle hinarbeiten können: „Wenn dieser Schritt geschafft ist, darf auch gemeinsam gefeiert werden, um deutlich zu machen, dass es ein außerordentlicher Aufwand war."
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