Am Sonntag, 9. Juni, steht in Deutschland die Wahl für das Europäische Parlament an. Viele europäische Richtlinien und Gesetze haben großen Einfluss auf Regelungen in Deutschland – und das betrifft auch Unternehmen und ihre Nachhaltigkeitsstrategien. Was planen die Parteien diesbezüglich? Wir haben die Wahlprogramme unter die Lupe genommen.

Für Unternehmen relevante Regelungen in Bezug auf Nachhaltigkeit spielen in vielen Parteiprogrammen zur Europawahl eine große Rolle. Klimapolitik, Energie, Kreislaufwirtschaft, Ressourcenverbrauch, Biodiversität, Nachhaltigkeitsberichterstattung, Sustainable Finance, Menschenrechte bis in die Lieferkette und öffentliches Vergaberecht – das sind die Hauptaspekte, die politische Parteien dabei fokussieren.

Klimapolitik und Green Deal

Der „Green Deal“ gilt als ambitioniertes europäisches Konzept für ökologische Nachhaltigkeit. Bis 2050 soll die Europäischen Union die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null reduzieren. Dazu gehört eine Reihe von Gesetzen und Maßnahmen, wie etwa das „Fit for 55“-Paket, mit dem die EU bis 2030 mindestens 55 Prozent ihrer Emissionen im Vergleich zu 1990 einsparen will. Die pro-europäischen Fraktionen haben bisher den Green Deal größtenteils mitgetragen. Doch zuletzt stand der Zusammenhalt auf der Kippe. Auch in den Wahlprogrammen üben einige Parteien an der Ausrichtung Kritik und setzen sich für eine neue Stoßrichtung ein.

So will etwa die CDU/CSU den Green Deal im Sinne größerer Wirtschaftsfreundlichkeit weiterentwickeln. Das heißt für die Partei vor allem Bürokratieabbau. Ziel ist es, ein „1 in, 2 out“-Prinzip durchzusetzen: für jede neue Regelung sollen zwei alte abgeschafft werden. Die CDU/CSU hat außerdem vor, Umweltrichtlinien für Infrastrukturprojekte zu überprüfen und das Verbandsklagerecht abzuschaffen. Nach dem gleichen Muster fordert die FDP einen „Bureaucracy Reduction Act“. Jedes Gesetzgebungsverfahren soll künftig einen KMU-Test durchlaufen, der die potentiellen Auswirkungen auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) kritisch durchleuchtet.

Die SPD und die Grünen stehen zum Green Deal. Während die SPD vor allem zeigen will, dass Industrie, Klimaschutz und sozialer Fortschritt zusammengehen, fokussieren die Grünen die klimaneutrale Modernisierung der Wirtschaft und Infrastruktur – etwa mit einem europäischen Programm zur Dekarbonisierung der Industrie, das Unternehmen fördern soll, die klimaneutral umrüsten. Auch die Grünen setzen sich für angemessene Ausnahmen und Übergangsfristen für KMU bei neuen Gesetzen ein und versprechen, bei der Umstellung zu unterstützen.

Kritik am Green Deal hagelt es von der Linken. Das Konzept reiche nicht dafür, die selbst gesteckten Klimaziele zu erreichen. Zum Forderungskatalog der Linken gehört die Gründung einer europäischen Industriestiftung: Finanziert durch die Europäische Investitionsbank (EIB) soll diese Anteile an Unternehmen erwerben, die eine Schlüsselrolle in der Transformation einnehmen und den klimaneutralen Umbau steuern. Auch das neue Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) ist nicht gut auf den Green Deal zu sprechen. Dieser sei von Lobbyinteressen geprägt, schlecht durchdacht, schlecht gemacht und vielfach klimaschädlich. Die Forderungen klingen sehr allgemein: Klimapolitik und Umweltschutz durch technologische Innovation, öffentliche Förderung und Anreize voranbringen.

Emissionshandel

Den europäischen Emissionshandel wollen die demokratischen Parteien mehrheitlich erhalten und ausbauen. Die CDU/CSU hält die Nutzung und unschädliche Speicherung von CO2 (Carbon Capture Use/Storage - CCU/CCS) für unverzichtbar, fordert ambitionierte Pilotprojekte und möchte CO2-Entnahme in den Emissionshandel integrieren. Auch hier ist sie mit der FDP auf einer Linie. Negative Emissionen sollen zudem mit kostenlosen CO2-Zertifikaten belohnt werden. Außerdem will die FDP das EU-Klimaziel um ein eigenes Negativemissionsziel erweitern.

Die SPD schränkt die Nutzung von CO2-Entnahme und Speicherung auf Branchen ein, in denen Emissionen sehr schwer vermeidbar sind – wie etwa in der Müllverbrennung, Zement- oder Teilen der Chemieindustrie. EU-Mitgliedsstaaten müssten die CO2-Speicherkapazitäten von Mooren, Wäldern und Wiesen steigern – und die SPD werde auf Einhaltung pochen. SPD und Grüne sprechen sich für CCU/CCS-Technologien aus. Die Grünen halten sich auch die Möglichkeit offen, diese aktiv zu fördern, wenn technisch nicht vermeidbare Emissionen entstehen – ausgenommen haben sie hierbei die aktive Förderung von CCS für die Herstellung von blauem Wasserstoff in Deutschland.

Die Linke will die Menge der Zertifikate auf das CO2-Restbudget der EU begrenzen und Gratiszertifikate für die energieintensive Industrie abschmelzen. Die Entnahme von Kohlendioxid aus der Luft, der Transport und die Einlagerung sei keine Lösung für Klimaschutz. Dies soll verboten werden – wegen der Risiken und der Gefahr, dass dadurch fossile Anwendungen und Produktionsprozesse länger als nötig betrieben werden könnten.

Das BSW stellt sich klar gegen die europäische CO2-Bepreisung und will den CO2-Emissionshandel abschaffen, da er unter den heutigen Rahmenbedingungen kein wirksames Instrument für mehr Klimaschutz sei.

Energie

Erneuerbare Energien ausbauen – das haben sich alle demokratischen Parteien vorgenommen. Doch welche und wie stark sie diese fördern wollen, dabei gibt es Unterschiede. Am weitesten gehen die Grünen, die massive Investitionen in den Ausbau von Windkraft-, Photovoltaik-, Solar- und Geothermieanlagen, Energiespeichern aller Art sowie Abwärmenutzung und Wärmepumpen fordern. Außerdem stehen strategische Partnerschaften zwischen der EU und wind- und sonnenreichen Ländern auf dem Grünen-Programm.

Auch bei der Notwendigkeit, die Wasserstoff-Infrastruktur auszubauen, sind sich alle einig – allerdings mit Unterschieden bei der Ausrichtung: Während die Grünen und die SPD grünen Wasserstoff fokussieren, zeigen sich CDU/CSU, FDP und BSW „technologieoffen“. Die Linke hält grünen Wasserstoff in Teilen noch für zu ineffizient, zum Beispiel im Wärmebereich.

Explizit gegen Kernenergie sind die Grünen, SPD und die Linke. CDU/CSU betrachten sie als Teil des Energiemixes. Zusammen mit der FDP sehen sie in Kernfusion Zukunftspotential, das sie fördern wollen. Für Forschung in dem Bereich sprechen sich auch die Grünen aus. Die FDP bringt zudem Small Modular Reactors (SMR) als mögliches Zukunftsszenario ins Spiel, also kleine modulare Kernspaltungsreaktoren.

Für das Bündnis Sarah Wagenknecht steht im Vordergrund, die Energiekosten zu senken und Energiesicherheit zu garantieren. Dafür wollen sie die Öl- und Gaslieferung aus Russland wieder aufnehmen und langfristige Energieverträge schließen. Die anderen Parteien sprechen sich hingegen höchstens für internationale Partnerschaften mit „sicheren Drittstaaten“ außerhalb Europas aus.

Governance, Lieferketten und Menschenrechte

Für das Sustainability Management in Unternehmen haben die Regelungen der EU mit Bezug auf Menschenrechte, soziale Aspekte und Governance konkrete Auswirkungen. Dabei ist das kürzlich verabschiedete EU-Lieferkettengesetz von großer Bedeutung – inklusive grüner Lieferketten. CDU/CSU und FDP lehnen dieses in der aktuellen Form ab. Da die beiden Parteien sich Bürokratieabbau auf die Fahnen geschrieben haben (siehe oben), dürfte die nun beschlossene Richtline (CSDDD) auf der Abschlussliste der beiden Parteien stehen. Vor allem die FDP, die das Gesetz zu boykottieren versuchte, sieht die Ausgestaltung der EU-Lieferkettenrichtlinie „sehr kritisch“ und kündigt entsprechenden Widerstand an. Die Grünen und die SPD begrüßen hingegen das EU-Lieferkettengesetz, die Linken wollen es noch stärker gestalten. Für eine Diversifikation und weniger Abhängigkeit in den Lieferketten sprechen sich alle genannten Parteien aus.

Das BSW äußert sich nicht zum EU-Lieferkettengesetz. Dafür schreibt die Partei im Wahlprogramm, dass die EU der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten solle. Soziale Grundrechte sollen von einzelnen Personen beim Europäischen Gerichtshof einklagbar sein. Wie die Linken, die SPD und die Grünen setzt sich die neue Partei für gute Löhne ein. Die EU-Mindestlohnrichtlinie (Empfehlung, den Mindestlohn an 60 Prozent des Medianlohns zu koppeln) wollen die Parteien auch in Deutschland konsequent umsetzen – und ihn auf 14 (SPD, BSW) bis 15 Euro (Linke) erhöhen.

In Sachen Governance haben einige Parteien auch das öffentliche Vergaberecht auf dem Zettel. Ein Vergabe- und Konzessionsrecht, das soziale und ökologische Kriterien in den Mittelpunkt stellt, wollen etwa die Grünen, die Linke und das BSW. SPD und die Linke denken auch daran, gute Arbeit und Tarifverträge mit dem öffentlichen Vergaberecht zu verknüpfen. Die CDU möchte das Vergaberecht vereinfachen. Nachhaltigkeitsaspekte nennt sie dabei nicht. 

Gegen Lobbyismus wollen die Linke, BSW und die Grünen konsequent vorgehen, etwa mit einem transparenten Lobbyregister.

Compliance und Finanzen

Zur Nachhaltigkeitsberichterstattung laut CSRD ist in den Wahlprogrammen nichts zu lesen. Die Belastungen von Unternehmen aufgrund der Berichtspflichten reduzieren zu wollen, haben sich aber die CDU/CSU und die FDP vorgenommen. Letztere fordern explizit einen systematischen Berichtspflichten-Check durch die EU-Kommission, um doppelte Berichtspflichten zu identifizieren, zusammenzuführen oder abzuschaffen.

Einige Parteien gehen auch auf die EU-Taxonomie ein, die nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten klassifizieren und definieren soll. Portfoliomanagement, Banken, Versicherungsgesellschaften und Nichtfinanzunternehmen des öffentlichen Interesses mit mehr als 500 Mitarbeitenden müssen über ihre nachhaltigen Aktivitäten gemäß der EU-Taxonomie berichten. Die Grünen und die Linken wollen die Regel der EU-Taxonomie ausweiten – etwa indem man auch soziale Aspekte berücksichtigt (die Linke), mehr Abstufungen vornimmt (die Grünen), Autos oder Windräder mit einbezieht (die Grünen) und Atom- oder Gasenergie nicht mehr als nachhaltig einstuft (die Grünen, die Linke). Die FDP will die Anwendung der EU-Taxonomie freiwillig machen. Dem dürfte sich das BSW anschließen, da es diese als bürokratisches Regelungsmonster bezeichnet, das der produktiven Wirtschaft nutzlose Berichtspflichten auferlegt und dadurch besonders Mittelständler schädigt.

Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung

Kreislaufwirtschaft ist ein beliebtes Schlagwort in den Wahlprogrammen. Was die Parteien darunter verstehen – daran scheiden sich einmal mehr die Geister. Die CDU will Abfall weiterverwerten, die zirkuläre Nutzung von Wasser und Wärme gewährleisten und Langlebigkeit von Produkten verbessern, ohne dabei konkret zu werden. SPD und Grüne betonen, dass sie bei ihren Aktionsplänen die Abfallhierarchie einhalten, also Abfall vor allem vermeiden wollen. Zudem gelte es, Hersteller in die Pflicht zu nehmen, Einweg-Verpackungen zu reduzieren und die Wiederverwendung auszubauen.

Die SPD hat insbesondere die Textilindustrie im Blick: Waren sollen länger haltbar, reparierbar und recyclingfähig sein und es soll verboten werden, dass Unternehmen unverkaufte Teile vernichten. Die Grünen wollen alternative Geschäftsmodelle wie Reparatur-, Miet- und Sharing-Dienste für Textilien fördern und Plastikmüllexporte in Drittstaaten gänzlich beenden. Beide Parteien planen, das Verbraucherrecht auf Reparatur zu stärken – etwa, indem Unternehmen Produkte auch nach Ablauf der Gewährleistungsfrist kostengünstig reparieren (SPD) oder langfristigen Zugang zu Ersatzteilen und Reparaturanleitungen gewähren müssen (die Grünen).

Bei dieser Stoßrichtung ist auch die Linke im Boot. Sie plant zudem für eine größere Langlebigkeit von Produkten die Garantiepflichten auf mindestens fünf Jahre zu erhöhen. Auf dem Forderungskatalog der Partei stehen außerdem höhere gesetzliche Recyclingquoten und höhere Rezyklat-Einsatzquoten in der EU sowie ein europaweites Wegwerfverbot für zum Verzehr geeignete Lebensmittel in allen Bereichen der Wertschöpfungskette. Auch die Grünen haben hierzu ein ambitioniertes Ziel: rechtsverbindliche Maßnahmen einführen, um die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren.

Das BSW kritisiert zwar die Qualitätsstandards von Produkten, sagt aber nichts dazu, wie sie die Langlebigkeit von Produkten auszubauen gedenkt.

Biodiversität

Die aktuelle EU-Biodiversitätsstrategie formuliert unter anderem das Ziel, 30 Prozent der EU-Landfläche gesetzlich zu schützen und ein Drittel dieser Fläche unter strengen Schutz zu stellen. Das geplante EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law, NRL) ist allerdings in der Schwebe. Die Grünen bezeichnen es in ihrem Wahlprogramm als Meilenstein und verpflichten sich – wie auch die SPD und die Linke – zu den Vereinbarungen der Biodiversitätsabkommens von Kunming-Montreal 2022.

Die Grünen wollen diesbezüglich einen globalen Umsetzungsmechanismus mit konkreten Instrumenten voranbringen. Sie setzen sich dafür ein, ein Netzwerk von gut überwachten Schutzgebieten, inklusive Nullnutzungszonen, zu schaffen. Bedrohte Arten und Lebensräume sollen besser geschützt und geschädigte Ökosysteme wiederhergestellt werden. Finanzieren soll sich das durch umfassenden Abbau umweltschädlicher Subventionen. Der SPD schwebt ein ambitioniertes Gesetz zur Bodengesundheit vor. Sie will ausreichende Mittel für die Wiederherstellung der Natur bereitstellen, aber auch eine Null-Toleranz-Politik durchsetzen, wenn EU-Richtlinien und Verordnungen dazu nicht eingehalten werden. Die Linke unterstützt einen EU-Naturschutzfonds, um etwa die Wiedervernässung von Mooren zu finanzieren. Die Finanzierung von Naturschutz durch Ausgleichsmaßnahmen für Biodiversitätsverlust oder andere Naturfinanzmärkte lehnt die Partei ab.

Um Biodiversität und kostbare Ressourcen wie Wasser und Wälder zu erhalten, will die CDU Best-Practice-Beispiele insbesondere bei Maßnahmen zum Küsten- und Hochwasserschutz finden. Gleichzeitig besteht sie auch hier auf Anreize statt Verbote, ebenso wie die FDP. Diese pocht auf evidenzbasierte und regelmäßig überprüfte Kriterien und kann sich Biodiversitäts-Zertifikaten wie zum Beispiel in Australien vorstellen, die Marktanreize setzen sollen.

AfD lehnt Klimaschutzgesetze ab

Da die AfD in ihrem Wahlprogramm den menschengemachten Klimawandel leugnet, haben wir sie bei den Punkten oben nicht aufgenommen. Klimaschutzgesetze wie „Fit für 55“ oder das EU-Lieferkettengesetz lehnt sie grundsätzlich ab. Auch den EU-Emissionshandels möchte sie abschaffen. Sie unterstellt, dass die EU mit CO2-Einsparung Deindustrialisierung betreiben wolle. Für die AfD kommt es nur auf niedrige Energiepreise an. Sie will Subventionen für erneuerbare Energien streichen, stillgelegte Kernkraftwerke reaktivieren, die Kohleverstromung (inklusive Braunkohle) erhalten und schließt auch Schiefergasgewinnung (Fracking) nicht aus. Konstruktive Beiträge zu Umweltschutz oder sozialen Aspekten von Nachhaltigkeit in Unternehmen sind hier nicht erkennbar.


Schlagworte zum Thema:  Politik, Europäische Union