Herr Gloger, mit welchen Fragen kommen Unternehmen im Moment auf Sie zu? Was treibt sie um, wenn es um Nachhaltigkeit und nachhaltige Transformation geht?
Es gibt im Grunde immer noch zwei große Themen. Das eine ist die Beschleunigung. Viele Unternehmen stellen sich die Frage, wie sie ihre Projekte schneller zum Abschluss bringen. Die zweite große Frage liegt darin, dass viele Unternehmen, die vor längerer Zeit mit der agilen Transformation angefangen und agiles Denken etabliert haben, unsicher sind, wie sie das verstetigen können. Müssen sie an der Kultur arbeiten oder an konkreten organisationalen Veränderungen? Haben wir eine kulturelle oder eine strukturelle Aufgabe vor uns? Denn viele Unternehmen erleben, dass sie Leistungsträger:innen an den Wettbewerb verlieren. Unternehmen stellen sich die Frage, wie sie Mitarbeitende halten können. Zum einen mit Geld, das Gehalt ist nach wie vor ein entscheidender Faktor. Das andere wichtige Argument ist aber das Sinnerleben. Und die iterative Arbeit in agilen Systemen, das ständige Optimieren, der Austausch mit Kunden – das alles kann das Sinnerleben steigern.
Agilität als Weg zur Selbstwirksamkeit?
Sprechen wir hier über Agilität im weiteren Sinne oder im Sinne des agilen Manifests?
Es ist offensichtlich, dass die Verfasser des Agilen Manifests nicht all das voraussehen konnten, was wir heute unter Agilität verstehen. Aber es gibt einige grundlegende Ideen, die nach wie vor gültig sind. Das eine ist die Team-zentrierte, netzwerkartige Organisation, in der viel Verantwortung bei den Mitarbeiter:innen liegt. Hier geht es um Selbstwirksamkeit. Das steht so explizit nicht im Manifest. Aber im Manifest ist von Selbstorganisation die Rede, und darunter war Selbstwirksamkeit subsumiert. Und zum Zweiten haben die Manifestanten sehr deutlich gesagt, dass das Ziel des Ganzen die Kundenorientierung ist. Und das haben Unternehmen heute viel, viel stärker verstanden. Sie wissen, dass sie das liefern müssen, was die Kund:innen tatsächlich brauchen. Wer das schafft, wer wirklich nah an den Anwender:innen ist, ist erfolgreich. Insofern ist aus dem damaligen Prozessmodell Agilität, das zum Ziel hatte, Software schneller und besser zu entwickeln, eine Bewegung geworden, die weit darüber hinaus geht. Wir wissen, dass Agilität funktioniert und warum. Wir haben wissenschaftliche Erkenntnisse. Und im Zentrum steht das Team. Wir müssen dafür sorgen, dass Teams funktionieren.
Und was hat das Ganze mit der Sustainable Transformation zu tun? Welche Rolle spielt Agilität dabei?
Werfen wir noch einmal einen Blick zurück. Ich habe 2001 begonnen, mich damit zu beschäftigen. Damals standen Unternehmen vor drei Problemen. Es gab plötzlich Technologien, die keiner gekannt hat, denn sie entstanden ja gerade erst. Deswegen gab es zu wenige Menschen, die die Technologien beherrscht haben. Und es gab noch keine Businessmodelle, keine Idee, wie damit Geld zu verdienen war. Und genau vor dieser Situation stehen wir heute wieder. Es geht um die Frage, welche Technologien uns dabei helfen werden, CO2-neutral zu werden, den Klimawandel vielleicht doch noch zu stoppen.
Wie schaffen wir regenerative Wirtschaftsmodelle und regenerative Unternehmen? Nach wie vor gibt es zu wenige Menschen, die das Thema Nachhaltigkeit in allen Facetten verstehen. Genauso wie beim Thema Künstliche Intelligenz übrigens.
Es geht um die eine Frage: Wie managen wir die Komplexität? Sicherlich nicht mit überkommenen Methoden für Projektmanagement oder Softwareentwicklung. Sondern indem wir überlegen, wie wir auf unsicherem Terrain vorwärtskommen. Nämlich mit agilen Methoden, egal, wie sie heißen. Es geht um den Kern, ums Experimentieren, ums stetige Optimieren und Weiterentwickeln, im engen Austausch mit den Kund:innen. Darum, auch auf Holzwegen zu lernen. Genau darin liegt die große Chance, denn wir brauchen schnellere Systeme – und da hilft Agilität.
Herausfinden, ob die Organisation richtig aufgestellt ist
Wobei die Berichtspflicht auf den ersten Blick nicht besonders agil klingt.
Agilität dreht sich im Kern um die Frage, wie Unternehmen herausbekommen, ob sie dem Markt noch das liefern, was der Markt nachfragt. Und das in immer kürzeren Zyklen. Die Marktentwicklung zwingt Unternehmen, in kurzen Iterationen zu liefern. Und das zeigt schnell, ob die Organisation richtig aufgestellt ist. Wenn nicht, muss man das ändern. Man kann an die Berichtspflicht typisch deutsch herangehen: Jemand sagt, was wir machen sollen, wir machen das dann und irgendjemand setzt einen Haken dran. Vielleicht lagern wir den Bericht auch einfach aus.
Man könnte aber auch ganz anders an den Nachhaltigkeitsbericht herangehen und ihn als Guideline nutzen. Welche Prozesse entsprechen den jetzigen, auf jeden Fall aber den kommenden Anforderungen des Marktes? Wo besteht Handlungsbedarf? Und was muss ich schnell ändern, was hat mehr Zeit?
Wenn Unternehmen so an die Sache herangehen, kommt sofort Agilität zurück ins Spiel. Denn dieses Vorgehen funktioniert nur iterativ und experimentell.