Regeneratives Wirtschaften braucht Mut zur Transformation


Regeneratives Wirtschaften braucht Mut zur Transformation

Neues Jahr, neuer Mut? Stephan Grabmeier wünscht sich für 2024 mehr „Transformationsmut“ von Unternehmer:innen. Getreu dem Motto von Pippi Langstrumpf: „Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe“

Das Jahr 2024 möchte ich unter das Motto „Transformationsmut“ stellen. 

Ich begleite viele Organisationen auf Ihrem Weg in eine enkelfähige und nachhaltige Zukunft. Und lerne sowohl die progressiven als auch regressiven Akteure in Politik und Wirtschaft kennen. In einer Welt, die sich hyperdynamisch wandelt, ist Transformationsmut entscheidend. Der Mut, alte Glaubensbekenntnisse abzulegen, neue Wege zu beschreiten und traditionelle Methoden zu hinterfragen, ist unerlässlich, um mit dem komplexen Zusammenspiel technologischer, sozialer und ökologischer Veränderungen Schritt zu halten. Er ist nicht nur ein Schlüssel zur Bewältigung des Wandels, sondern auch Katalysator für ein neues Level an Innovation und Fortschritt, das uns hilft zukunftsweisende und regenerative Lösungen zu entwickeln. 

Es findet Change statt, aber keine Transformation 

In Politik und Wirtschaft zeigt sich oft eine Neigung, auf Krisen mit Korrekturen und Optimierungen zu reagieren. Dies führt zu teilweisen Veränderungen (Change), aber nicht zu grundlegenden Transformationen. Der Unterschied zwischen Change und Transformation ist wesentlich. Die beiden Begriffe werden häufig nicht trennscharf verwendet, manchmal sogar miteinander verwechselt oder synonym gebraucht. 

Change ist ...

... statt auf einen Verbrennermotor auf einen Hybrid- oder Elektroantrieb zu setzen. Transformation ist die Neugestaltung nachhaltiger Mobilität.

... Optimierungen in der Lieferkette zur Nachhaltigkeit umzusetzen. Transformation bedeutet die Umstellung in die Kreislaufwirtschaft.

... parallel zu fossilen Energieträgern auf regenerative Energien zu setzen. Transformation bedeutet den Ausstieg aus dem fossilen Kapitalismus.

... ein CSRD Reporting einzuführen, um Transparenzfaktoren zu erfüllen. Transformation bedeutet sein Geschäftsmodell in ein Impact Business zu entwickeln.

Transformationen sind ein Charakteristikum einer rapiden komplexer werdenden Welt. Doch meist ist die Bezeichnung auf das Ende komplexer Prozesse ausgerichtet, nicht auf die Prozesse selbst. Der Kybernetiker Ross Ashby hat dies mit einem anschaulichen Vergleich erklärt – dem Bräunen unserer Haut im Sonnenlicht. Dabei sind vier wesentliche Elemente zu beobachten: ein Operand (die Haut), ein Operator (die Sonne), eine Transition (von weißer zu brauner Haut) und ein Transformiertes (die gebräunte Haut). Die Transformation ist also das Resultat zahlloser Übergänge, die einen verwandelten Zustand herbeiführen.

Transformationen zielen zu oft auf veränderte Zustände und weniger auf die Transitionen, die das Erreichen dieser Zustände produktiv vorantreiben. Es wird umso schwieriger, je unklarer und ungewisser „die Zukunft“ als solche beschrieben wird. Dann nimmt das Form an, was der Soziologe Zygmunt Baumann „Retrotopia“ nennt: Die Transformationen unserer Zeit wirken so gewaltig, dass wir uns am Vergangenen Orientieren. Wir sehnen uns nach dem Gestern – wir transformieren rückwärts.

Betrachten wir politische Entscheidungen, die zu oft Bestehendes bewahren wollen oder blicken wir auf das Festhalten der Wirtschaft am fossilen Kapitalismus und tradierter Geschäftsmodelle, dann sind die nostalgischen Muster offensichtlich. Aus diesen gilt es auszubrechen. Sie folgen zu oft der Logik des Bestehenden – es wird optimiert und verbessert, aber die grundlegenden Strukturen, Prozesse und Denkweisen bleiben unverändert. Transformation hingegen erfordern ein grundlegendes Umdenken und einen Paradigmenwechsel.

Nachhaltige Transformation braucht Imagination

Eine Quelle der Inspiration ist der Blick in die Expertise der Natur. Das Beispiel der Metamorphose einer Raupe in einen Schmetterling illustriert den Unterschied zwischen Change und Transformation. Der Schlüssel sind die sogenannten Imagozellen, die die Raupe in einen Schmetterling verwandeln. Sie kommunizieren und koordinieren sich so lange, bis sie eine kritische Masse erreichen. Dies führt zu einer vollständigen Umgestaltung, bei der die Raupe systematisch in ein neues Wesen – den Schmetterling – umgebaut wird. 

Durch spezifische Enzyme beginnt sich die existierende Zellstruktur der Raupe allmählich aufzulösen, was zu einer Zerkleinerung des Gewebes und dessen Umwandlung in eine proteinreiche Substanz, die Imagozellen führt. Diese Zellen sind einzigartig, da sie noch nicht die endgültige Form von Schmetterlingszellen angenommen haben, sondern vielmehr eine Art Vorstellung oder Vision (Imagination) des zukünftigen Schmetterlings in sich tragen. Ihre Beschaffenheit ist so ungewöhnlich, dass das Immunsystem der Raupe sie als fremde Eindringlinge ansieht und zu bekämpfen versucht. Es entsteht eine Art Konflikt auf zellularer Ebene. Anfangs gelingt es dem Immunsystem der Raupe, diese Imagozellen zu vernichten, aber sie sind zäh und persistent. Mit der Zeit werden alle eliminierten Zellen durch unzählige neue ersetzt, bis ein Punkt erreicht ist, an dem die Imagozellen überwiegen.

Beide Formen, Raupe und Schmetterling, haben ihre Bedeutung, aber nur der Schmetterling kann sich fortpflanzen und ist somit der Inbegriff einer Transformation für das Überleben der Art. Die Metamorphose ist ein Prozess vieler kleiner Transitionen, die eine neue Zukunft schafft.

Prinzipien nachhaltiger Transformationen

Auch die moderne, die transformative Zukunftsforschung richtet den Blick auf die qualitativen Dimensionen des Wandels. So definiert das jüngst gegründete Future:Project sechs große Transformationen, die grundlegende gesellschaftliche Entwicklungen in Richtung einer lebenswerten Zukunft beschreiben. Sie sind die Hotspots des gesellschaftlichen Wandels. Ihre Dynamik und Qualität gewinnen die Transformationen durch das Ausloten widersprüchlicher Strategien und einander entgegengesetzter Bedürfnisse und Absichten. 

Rolf Reißig, ein bedeutender Sozialwissenschaftler und Transformationsforscher kennzeichnet Transformation durch folgende Aspekte:

  1. Paradigmenwechsel statt einfacher Modifikation.
  2. Aktive Gestaltung, die Grundstrukturen und Institutionen verändert.
  3. Zukunftsorientierung als offener Suchprozess.
  4. Soziale Intelligenz und eine Kultur des Dialogs.
  5. Inklusion von Neuem im Alten.
  6. Narrative, das neue Denken fördern.
  7. Geduld und Akzeptanz von Unsicherheiten und Widerständen.

Ich rufe die Akteure der deutschen Wirtschaft auf, zu mehr Mut in der Transformation ihrer Unternehmen und zu mehr Fokus auf den Prozess, sprich die Transitionen.Als Menschheit bleibt uns nicht mehr viel Zeit entscheidende Weichen im Rahmen der planetaren Grenzen zu stellen. Es bedarf gravierender Paradigmenwechsel. Transformationsmut inspiriert zu visionärer Führung und ist ein Schlüssel hin zu nachhaltiger Zukunft.

Das Wissen, worum es geht, um die größten Herausforderungen der Menschheit zu begegnen, ist vorhanden. Das Know-how wie wir Transformationen gestalten haben wir entwickelt. Wer hindert uns in die Umsetzung zu gehen? Lassen Sie uns das Jahr 2024 als das Jahr für Transformationsmut ausrufen und als solches gestalten.