Werbung, CO2 und ein neues Denken
Im Sommer 2023 ging bei REWE eine Ära zu Ende. Der Lebensmitteleinzelhändler verabschiedete sich vom gedruckten Papier-Prospekt und brach damit auch mit einer Handelstradition in Deutschland. Die Prospekte sind nun ausschließlich digital zugänglich, Druck und Verteilung entfallen. Laut REWE werden durch den Papierverzicht mehr als 73.000 Tonnen Papier, 70.000 Tonnen CO2, 380 Millionen kWh Energie und 1,1 Millionen Tonnen Wasser gespart – pro Jahr. So wie REWE setzen immer mehr Werbetreibende das Thema Nachhaltigkeit ganz hoch auf ihre Agenda. Das ist eine Entwicklung, die sich kanal- und branchenübergreifend beobachten lässt. Und sie bringt sogar Wettbewerber zusammen.
Mit „GreenGRP“ existiert eine Nachhaltigkeits-Initiative, der sich bereits viele Medienhäuser und Verlage angeschlossen haben, unter anderem der Axel-Springer-Vermarkter Media Impact, der Außenwerber Ströer oder auch der Audiovermarkter RMS. Über einen GreenGRP-Rechner können Werbetreibende ermitteln, wie groß der CO2-Fußabdruck einer Kampagne ist – egal ob es sich um eine TV-, Print-, Audio- oder Digital-Kampagne oder eine Kombination mehrerer Werbekanäle handelt. Ins Leben gerufen wurde die offene Initiative von der Mediaagentur Mediaplus. Für die „klimaneutrale“ Umsetzung hat man ClimatePartner an Bord. Das auf Klimaschutz spezialisierte Unternehmen berechnet den ökologischen Fußabdruck und ermöglicht es, ihn durch zertifizierte Klimaschutzprojekte zu neutralisieren. Auf diese Weise können Werbetreibende komplette Kampagnen klimaneutralisiert schalten.
Der GreenGRP-Rechner ist frei zugänglich und kann daher auch Sustainability-Managern einen guten Einblick verschaffen, was die Kollegen im Marketing für die Nachhaltigkeit bereits tun und wo noch Potenziale schlummern. Viele Unternehmen der Werbebranche bieten zudem eigene Lösungen an, mit denen sich Emissionen berechnen und kompensieren lassen.
Neue Sensibilität im Marketing
Wie stark die Umwelt durch Werbung belastet wird, war vielen Advertisern lange Zeit nicht klar. Und die Zahlen sind hoch: Der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zufolge werden allein für die jährliche Papierproduktion nicht adressierter Werbebroschüren hierzulande 42 Milliarden Liter Wasser, 4,3 Milliarden kWh Energie und 1,6 Millionen Tonnen Holz verbraucht.
Andere Werbeformen sind klimaverträglicher. Digitale Werbung verbraucht zum Beispiel kein Holz, aber auch sie verschlingt viel Energie und produziert CO2. Ein Hauptgrund ist, dass an einer Werbeauslieferung viele Technologien beteiligt sind, die jeweils Energie benötigen. Hinzu kommen die Endgeräte, auf denen die Werbung angezeigt wird. Die englische Fachzeitschrift The Drum hat ermittelt, dass ein einziger Werbekontakt (Ad Impression) im Internet einen CO2-Ausstoß von 0,08 bis 1,09 Gramm CO2 verursacht. Experten gehen davon aus, dass weltweit jährlich Ad Impressions in mittlerer dreistelliger Billionen-Zahl generiert werden. Entsprechend schlecht ist der ökologische Fußabdruck: Dem „The State of Sustainable Advertising“-Report von Scope3 zufolge verursacht Display-Advertising weltweit jährlich 3,8 Millionen Tonnen CO2 und Streaming-Werbung weitere 3,4 Millionen Tonnen CO2. Dies entspricht dem jährlichen Stromverbrauch von 1,4 Millionen US-Haushalten. Die Berechnungen des Unternehmens beruhen auf Daten von BIScience sowie einem Scope3-eigenen Modell zur Emissionsmessung.
Einen der geringsten CO2-Fußabdrücke pro Ad Impression schreibt man der Außenwerbung zu. Zwar prägen die leuchtenden Displays viele Stadtbilder, jedoch werden mittlerweile überwiegend stromsparende LEDs eingesetzt. Außerdem kann die Werbung auf den großen Flächen von sehr vielen Menschen gleichzeitig betrachtet werden – im Gegensatz beispielsweise zu einem leuchtenden Smartphone-Display. Auch Nachtabschaltungen und Dimm-Steuerungen senken den Verbrauch der Außenwerbung. Der Fachverband Aussenwerbung gibt den Stromverbrauch aller Out-of-Home-Medien in Deutschland mit rund 60 Millionen kWh pro Jahr an. Pro 1.000 Werbekontakte werden demnach zwischen drei und 30 Gramm CO2 emittiert.
Werbung nachhaltig umgesetzt
Das darf Sustainability Manager freuen: Quer durch alle Branchen und über Werbekanäle hinweg werden Emissionen im Marketing transparenter und das Bewusstsein für klimafreundlichere Werbung steigt. Nicht nur, dass Werbetreibende ihre Emissionen immer öfter im Vorfeld berechnen und über Umweltprojekte neutralisieren können: Gleichzeitig häufen sich die Beispiele, in denen kreative Ideen pragmatisch ihren Beitrag leisten und zeigen, was möglich ist. Der Bierbrauer Heineken installierte in Rio de Janeiro beispielsweise Solar-Paneele als Hintergrundfläche einer großen Werbetafel. Per Kabel waren die Solar-Kollektoren mit den Kühlgeräten einer nahegelegenen Bar verbunden: Damit war das Plakat nicht nur Werbeträger, sondern lieferte gleichzeitig den Strom für die Bierkühlung in der Bar nebenan. Auch hierzulande gibt es kreative Beispiele: So sorgt an einer vielbefahrenen Kreuzung im brandenburgischen Bestensee eine digitale Werbetafel mit Moosfilter für bessere Luft. Die „CityBreeze“ saugt Luft an und führt sie durch Moos-Matten. Die echten Moose filtern laut Anbieter bis zu 82 Prozent des Feinstaubs aus der Luft und kühlen sie an heißen Tagen um bis zu 8 Grad. Und BlowUP Media, ein Unternehmen der Ströer Gruppe, hat kürzlich in Berlin ein 600 m² großes würfelförmige Riesenposter mit LED-Lampen anstrahlen lassen, die von Solarzellen auf dem Dach der Konstruktion gespeist wurden. Außerdem wurde das Werbeplakat speziell beschichtet, was ebenfalls eine luftreinigende Wirkung hatte.
Andere Kanäle, andere Möglichkeiten
Während in manchen Kanälen die Umsetzung Nachhaltigkeitspotenziale birgt, sind es in anderen Bereichen die mitunter aufwendigen Werbe-Produktionen, die dem Klima schaden. Wer zum Beispiel in der TV-Werbung auf Nachhaltigkeit setzen möchte, kann die Möglichkeiten der Digitalisierung ausloten. Im Trend liegen insbesondere virtuelle Werbeüberblendungen, die Zeit und Produktionskosten und Emissionen einsparen. Beispielsweise können in gestreamte Bewegtbildinhalte virtuell Produkte beliebig platziert und ausgetauscht werden. Separate Filmproduktionen sind dafür nicht mehr nötig. Insbesondere Produktionsstudios setzen auf neue Technologien und wollen ihren Kunden auf diese Weise helfen, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Plazamedia (ein Unternehmen der Sport1 Medien) betreibt zum Beispiel in München ein modernes Extended Reality LED Studio. Es bietet unter anderem eine 24 Meter breite und fünf Meter hohe LED-Wand in L-Form. Um Marken und Produkte zu inszenieren, kann eine reale Set-Architektur dort mit virtuellen Welten über die LED-Wand verschmolzen und via Augmented Reality (AR) in einen 360-Grad-Raum erweitert werden. Parameter wie Tageszeit, Wetter – zum Beispiel Sonne, Regen, Schnee oder Nebel – können digital erzeugt, beliebig reproduziert und individuell definiert werden. Üblicherweise müssen Material, Darstellende und Crew zu, und mitunter auch zwischen verschiedenen, Drehorten eines Werbefilms transportiert werden. Diese Transport-Emissionen werden bei einer Produktion in einem mit Ökostrom betriebenen High-Tech-Studio deutlich reduziert.
Sustainability Manager haben somit im Wesentlichen fünf Hebel, an denen sie ansetzen können, damit das Marketing seinen Beitrag zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele leistet:
- Auf Energieeffizienz bei der Werbe-Produktion achten
Sustainability Manager sollten das Marketing drängen, darauf zu achten, dass bereits bei der Werbe-Produktion CO2-Emissionen möglichst gering ausfallen und energiesparend produziert werden kann. Anbieter können dazu idealerweise Auskunft geben und bei komplexen Produktionen ihren Werbekunden auch Berater zur Seite stellen, welche die Nachhaltigkeitsaspekte im Blick behalten. - Die Digitalisierung der Werbung fördern
Generell ist es ratsam, die Digitalisierung der Werbung zu fördern. Zwar verbraucht auch digitale Werbung Energie, aber sie hat in der Regel eine geringere Umweltauswirkung als gedruckte Materialien und physische Werbeprodukte. Insbesondere der Umstieg von gedruckten Prospekten, Flyern und Werbebriefen auf digitale Formen senkt den CO2-Fußabdruck. - Nachhaltige Werbe-Partner wählen
Bereits bei der Auswahl von Lieferanten und Werbe-Partnern sollte darauf geachtet werden, dass diese ebenfalls nachhaltig agieren. Bei digitaler Werbung ist es zudem hilfreich, wenn entlang der oft hochkomplexen Media-Lieferkette möglichst wenige Technologie-Partner involviert sind, damit sich Energieverbrauch und Emissionen nicht unnötig aufsummieren. Generell müssen auch im Marketing die Lieferketten transparent und nachvollziehbar sein, um die Nachhaltigkeit zu beurteilen. - Das Nachhaltigkeitsbewusstsein im Marketing schärfen
Auch wenn die Entwicklung nun endlich begonnen hat: Marketingteams sollten für Umweltfragen weiter sensibilisiert werden. Schulungen und Trainings zur Nachhaltigkeit in der Marketing-Kommunikation können dabei ebenso helfen wie Nachhaltigkeitsseminare. Nicht zuletzt sollten im Marketing Emissionsrechner genutzt werden, mit denen sich der CO2-Fußabdruck von Werbekampagnen bestimmen und mit geeigneten Umwelt-Projekten kompensieren lässt. Dies macht die Problematik greifbarer und nachhaltige Werbung planbar. - Überprüfen und regelmäßig justieren
Nachhaltigkeit im Marketing ist ein Dauerprojekt. Insbesondere im digitalen Marketing entwickeln sich Technologien und Möglichkeiten rasant, was auch die CO2-Bilanz beeinflussen kann. Die Marketing-Aktivitäten sollten daher regelmäßig in Bezug auf die Nachhaltigkeitsziele überprüft und gegebenenfalls entsprechend angepasst werden.
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