Interview über nachhaltiges Marketing und Social Media

Social Media verursacht mehr CO2, als vielen bewusst ist. Das Berliner Startup klima&so zeigt Unternehmen, wie sie ihre Social-Media-Emissionen messen und reduzieren können. Im Interview sprechen die Gründer Patrick Schnitzler und Jean-Paul Laue über nachhaltiges Marketing.

Im Jahr 2022 wurde klima&so von Patrick Schnitzler und Jean-Paul Laue gegründet. Das Hauptziel des Berliner Startups ist es, dass Unternehmen ihre Social-Media-Inhalte und -Kampagnen klimaneutral gestalten können. Zu diesem Zweck haben sie ein Modell entwickelt, das ein Social-Media-Emissions-Reporting ermöglicht. Vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsberichterstattung ist das Interesse groß: Zu ihren Kund:innen zählen Firmen aller Größen und Branchen. Wir haben mit den beiden Gründern darüber gesprochen, wie Unternehmen einen Überblick über ihre Social Media Emissionen erhalten können, warum im Social-Media-Marketing die Emissionsreduzierung auch zur Kostensenkung beiträgt und wie nachhaltiges Social Media aussehen könnte.

Herr Laue, die sozialen Medien werden intensiv genutzt. Ist den Nutzer:innen gar nicht bewusst, dass auch das einen Impact hat?

Laue: Wir wurden so sozialisiert, dass Social Media etwas ist, das kostenfrei ist. Dabei wird vergessen, dass alles, was kostenfrei wirkt, trotzdem einen Preis hat. Auch wenn Nutzer:innen diesen Preis nicht direkt zahlen, existiert er. Es sind externalisierte Kosten, die in diesem Fall der Planet trägt.

Können Sie ein Beispiel geben, wie hoch die CO2-Emsissionen von Social Media sind?

Laue: Ein aktuelles Beispiel ist das initiale Comeback-Video von Stefan Raab, mit dem er innerhalb weniger Tage Millionen Follower generiert hat. Es hat rund 70 Millionen Aufrufe auf Instagram und ist rund 90 Sekunden lang. Damit hat es ein CO2-Äquivalent von mehr als 77 Flügen von Frankfurt nach New York City. Solche Videos sind kein Einmal-Ereignis. Im globalen Maßstab passiert dies täglich. Daher ist der CO2 Footprint von Social Media auch so enorm hoch.

Was ein Blick auf die Content-Lieferkette über Social Media verrät

Herr Schnitzler, gibt es für die CO2-Messung von Social Media international anerkannte Standards?

Schnitzler: Aktuell leider nein.

Wie berechnen Sie das also?

Schnitzler: Wir schauen uns die gesamte Content-Lieferkette an. Von dem Zeitpunkt, an dem jemand ein Video auf Instagram, TikTok oder einer anderen Plattform hochlädt, über seine weltweite Verteilung, bis es schließlich bei den Zuschauenden auf den jeweiligen Endgeräten abgespielt wird. Dabei haben wir vor allem drei große Check-Points. Das erste sind die Plattformen. Hier sind es vor allem die Server-Landschaften, die für CO2-Emissionen sorgen. Sie verbrauchen während ihres Betriebes Unmengen an Energie. Neben der Betriebsphase muss man auch die Produktionsphase und End-of-Life-Phase einbeziehen. In den Servern stecken seltene Rohstoffe, die zuvor abgebaut werden müssen. Hinzu kommen Transportkosten und Wasserverbräuche, die an dieser Stelle zu berücksichtigen sind. Nicht zuletzt müssen sie am Ende ihres Produktlebens entsorgt und recycelt werden.

Worum geht es noch?

Als zweites fällt die gesamte Infrastruktur ins Gewicht. Überseekabel zählen ebenso dazu wie 5G- und WLAN-Verbindungen inklusive der dafür benötigten Hardware. Und schließlich haben wir als dritten Punkt die Endgeräte, auf denen die Social-Media-Inhalte abgespielt werden – also Smartphone, TV, Laptop & Co. Zu allen diesen Punkten der Contentlieferkette haben wir Daten gesammelt. Teilweise haben wir dazu auf Datenbanken und wissenschaftliche Primärliteratur zurückgegriffen, andere Datenpunkte selbst erhoben. Alle diese Erkenntnisse und Informationen haben wir in unser Modell einfließen lassen. Mit Hilfe unseres Modells können wir nun genau sagen, wie hoch der CO2-Footprint ist, den ein Social-Media-Post, ein Kanal oder eine Kampagne verursacht.

CO2-Footprint von Social Media: Das können Unternehmen herausfinden

Wo setzt die Beratung Ihrer Firma an?

Laue: Wir arbeiten mit Unternehmen direkt zusammen, aber auch mit Social-Media-Agenturen. Ein Schwerpunkt ist dabei unser Social Media Emission Auditing. In einem ersten Schritt geht es vielen Unternehmen darum, zu erfahren, welche Emissionen ihr Engagement in diesem Bereich überhaupt auslöst. Wir bringen mit unserem Modell Licht ins Dunkle. In der weiteren Betrachtung kommen dann Fragen nach Kompensation oder Senkung des CO2-Footprint auf. Aber in erster Linie sind Unternehmen zunächst daran interessiert, überhaupt ein Gefühl für diese Emissionen zu erhalten. Wir analysieren den Status Quo und geben darauf basierende Handlungsempfehlungen. 

Schnitzler: Es gibt Schnittmengen, die positive Effekte für alle Seiten haben. Wer beispielsweise ein gutes Karussell-Posting anstatt eines schlechten Video-Postings veröffentlicht, spart nicht nur eine Menge Kampagnen-Budget, sondern auch bis zu 90 Prozent der Kampagnenemissionen ein. Mit solchen und weiteren, auch technischen Empfehlungen helfen wir gezielt Unternehmen. Des Weiteren bieten wir für Agenturen eine direkte Anschlussmöglichkeit an unser komplexes Berechnungsmodell, um wiederum ihren Kund:innen direkt die Emissionsdaten ihrer Kampagnen und Leistungen ausweisen zu können.

Welche Unternehmen interessieren sich für ihre Social-Media-Emissionen?

Schnitzler: Zu unseren Kund:innen zählen kleine Unternehmen ebenso wie der Mittelstand oder Konzerne. Allen gemein ist, dass meist eine progressive Kraft dieses Thema und das Bewusstsein dafür in den Unternehmen vorantreibt. Wer zu uns kommt, hat sich gegen das Wegducken entschieden und möchte Dinge verbessern. Zum Glück denken immer mehr Firmen progressiv in diese Richtung. Wir wollen diese Vorreiterrolle ebenfalls einnehmen und sehen darin einen klaren Wert für uns persönlich, gesellschaftlich und für unsere junge Firma. Wir gehen das Thema mit unseren Kund:innen an und nehmen auch die Konsument:innen mit auf diese Reise.

Je mehr Datenlast und Reichweite, desto höher die Emissionen

Welche Rolle spielt die CSRD-Berichterstattung, die für immer mehr Unternehmen verpflichtend ist?

Laue: Sie spielt eine immer größere Rolle. Die Marketing-Emissionen fallen unter die Reportingpflicht. Was vielen Unternehmen aber nicht bewusst ist – Social Media macht in der Regel den Großteil dieser Marketing-Emissionen aus. Bisher waren diese aber unsichtbar, weil es kein spezifisches Social Media Emissionsberechnungsmodell gab. Die häufigste Anfrage, die wir von Unternehmen erhalten lautet: ‚Wo stehen wir mit unseren Social Media Emissionen?‘.

Wenn die Zahlen bekannt sind und vergleichsweise hoch ausfallen: Was wäre für Unternehmen der größte und einfachste Hebel, um die CO2-Emissionen der Social-Media-Aktivitäten zu senken?

Laue: Die Faustformel lautet: Je mehr Datenlast und Reichweite, desto höher die Emissionen. Aber es lohnt sich durchaus, tiefer in die Marketing- beziehungsweise Social-Media-Strategien hineinzuschauen. Bei Instagram und Tiktok wurde in der Vergangenheit intensiv auf eine möglichst hohe Anzahl an Impressionen und Followers optimiert. Wir hinterfragen das mit unseren Kund:innen.

Könnten Sie das bitte näher erläutern.

Laue: Die Posts und Kampagnen, die momentan die Plattformen fluten, sind zum großen Teil nichts anderes als digitale Postwurfsendungen. Man sollte hinterfragen, wen man wann damit adressieren möchte, um seine Geschäftsziele zu erreichen. Ist wirklich jedes Meme-Video relevant für die Zielgruppe? Welche Content Pieces haben einen Verkaufs- oder Brandingeffekt? Da gibt es viele Optimierungsmöglichkeiten, um den CO2-Footprint zu senken. Dazu gehört die Wahl der passenden Plattform ebenso wie eine geeignete, Strategie, Content-Typ und die richtige Zielgruppe mit der passenden Ansprache zu treffen. Emissionsreduzierung sollte zur harten Kennzahl – zum KPI – werden. Das heißt, die Social-Media-Aktivitäten sollten nicht auf eine möglichst hohe Anzahl an Impressionen optimiert werden, sondern auf die Geschäftsziele und die damit verknüpften Umweltkennzahlen.

Kein Widerspruch: Klimaschutz und Marketing-Erfolg

Am Ende müssen Marketer abliefern und sich daran messen lassen …

Schnitzler: Das ist kein Widerspruch. Interessanterweise führt ein solches Vorgehen in der Praxis dazu, dass Kosten gesenkt werden und sich die Conversion-Rates im Verhältnis zu den Impressionen deutlich verbessern. Werden Streuverluste reduziert, wird damit automatisch der Energieverbrauch gesenkt. Das hat positive Effekte auf beiden Seiten: Die Konsument:innen sorgen für weniger CO2-Ausstoß und dem Unternehmen ist gleich doppelt geholfen – mit Kosteneinsparungen einerseits und einem geringeren CO2-Footprint andererseits bei gleicher Werbewirkung. Es ist daher absolut sinnvoll, die Emissionen ebenso wie Impressionen oder Conversions als eine Marketing KPI zu etablieren.

Was ist Ihre Vision von nachhaltigem Social Media?

Laue: Kurz und mittelfristig müssen wir Mittel und Wege finden, damit das gesamte Thema deutlich transparenter wird. Wir sind dabei auch darauf angewiesen, dass die Agenturen, Unternehmen und die Plattform-Betreiber:innen mitziehen. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre beispielsweise, wenn die von Unternehmen bei Agenturen eingekauften und angefallenen CO2-Emissionen per default von den Agenturen an die Unternehmen reportet werden. Die Agenturen bleiben so die eine Kontaktperson für das Unternehmen und Unternehmen haben deutlich geringeren Aufwand in der Emissionsauswertung. Sie können dann sogar abgeleitete Maßnahmen direkt mit ihrer Agentur umsetzen.  

Und langfristig betrachtet?

Schnitzler: Wenn sich die Awareness gesetzt und verankert hat, könnte die Frage gestellt werden, wie wir als Markt auch die Plattform-Betreiber:innen so beeinflussen können, dass auch dort nachhaltige Werbemöglichkeiten angeboten werden beziehungsweise welche Inhalte und welche Werbung man tatsächlich noch aussenden möchte.


Schlagworte zum Thema:  Nachhaltigkeit, Marketing, Social Media, Emission