Wie KI die Nachhaltigkeit in Lieferketten vorantreibt

Armin Neises ist Nachhaltigkeitsexperte, Autor und Keynote-Speaker und beschäftigt sich mit der Digitalisierung und dem Nachhaltigkeitsmanagement in Unternehmen. Sein Fokus liegt auf der Nutzung digitaler Lösungen und künstlicher Intelligenz zur Erhöhung der Nachhaltigkeitsleistungen von Unternehmen sowie der besseren Steuerung von Lieferketten. Er ist Gründer und Geschäftsführer von WAVES, Anbieter der SMP Sustainability Management Plattform für durchgängiges Nachhaltigkeitsmanagement. WAVES fusionierte mit der thyssenkrupp-Tochter pacemaker.ai, die KI-basierte Lösungen für die Lieferkette anbietet, einschließlich präziser Bedarfsprognosen und produktbezogener CO₂-Bilanzierungen. Durch den Zusammenschluss bündeln beide Unternehmen ihre Expertise, um nachhaltige und effiziente Lieferketten durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz zu fördern. |
Herr Neises, wer mit anderen über Nachhaltigkeit in der Lieferkette spricht, hört viel Klagen. Ist es möglich, Nachhaltigkeit in der Lieferkette zu managen?
Armin Neises: Ich weiß, dass das Jammen groß ist – aber es muss nicht sein. Das wesentliche Problem liegt darin, dass es nicht nur um eine Nachhaltigkeitstransformation, sondern auch um eine digitale Transformation geht. Wenn Unternehmen erfolgreich sein wollen, müssen sie Nachhaltigkeit genauso managen wie die Finanzen. Und das bedeutet: Sie dürfen nicht nur von Annahmen ausgehen, sondern müssen ihr Management auf wissenschaftsbasierten Zahlen und Indikatoren gründen. Deshalb bin ich auch sehr froh über die CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) und die ESRS (European Sustainability Reporting Standards), denn dort sind die Berechnungen für die Indikatoren erstmals einheitlich festgelegt.
Unterwegs im Daten-Dickicht
Wie kommt hier künstliche Intelligenz ins Spiel?
Nehmen wir das Beispiel Emissionen. Zu deren Berechnung müssen die zugrunde liegenden Emissionsfaktoren der verschiedenen verwendeten Materialien, Produkte und Produktionsprozesse ausgewählt werden. Das kann bei komplexen Produkten und Produktionsvorgängen sehr aufwändig werden. Sie müssten sich durch Listen mit Tausenden von Einträgen durcharbeiten. Mit Hilfe von KI lassen sich sehr einfach die passendsten Werte finden.
Man hört immer wieder, dass KI auch mal phantasieren kann. Wie zuverlässig sind solche Vorschläge?
Es bleibt wichtig, die Plausibilität der Daten zu überprüfen. Dafür muss die Quelle der ausgewählten Datenbank kenntlich gemacht werden. Gerade wenn es – wie bei der CSRD-Berichterstattung – um Gesetze und Normen geht, muss sichergestellt sein, dass die Berechnung auf hart programmierten Formeln und Algorithmen fußt. Neben der KI benötigen wir jedoch immer die menschliche Intelligenz, die sich die Vorschläge anschaut und überlegt, ob das stimmig ist.
Kann KI auch helfen, die sozialen Aspekte in meiner Lieferkette zu berücksichtigen?
Natürlich. Wenn Unternehmen eine große Lieferkette haben, sind sie mit einem Netzwerk von Lieferanten verknüpft. Hier nach verlässlichen Informationen über die Lieferanten zu suchen ist eine recht komplexe Aufgabe, bei der KI hervorragend unterstützen kann.
Nachhaltigkeitsdaten: Oft vorhanden, nur anders genutzt
Erst einmal alle Daten zu sammeln ist auch eine Menge Arbeit, oder?
Die Daten sind oftmals schon da, sie werden nur für andere Zwecke genutzt. Da gibt es zum Beispiel Stücklisten mit Materialinformationen. Die HR-Abteilung hat Informationen über das Pendlerverhalten und Dienstreisen. Es gibt Strom- und Heizölrechnungen. Die Daten sind da, allerdings nicht immer in der richtigen Form. Nehmen wir das Beispiel Stromrechnung: Für die Finanzbuchhaltung ist darin der Eurowert wichtig. Für die Nachhaltigkeitsberichterstattung benötige ich Angaben zu den verbrauchten Kilowattstunden und den Emissionsfaktoren des Stromanbieters. Hier braucht es am Anfang eine Analysephase, in der man prüft, welche Daten in welcher Form vorliegen und wie sie gegebenenfalls ergänzt werden müssen. Das ist Aufwand – aber er fällt nur einmal an und keiner beginnt bei null.
Wenn Unternehmen schon so viel Arbeit da reinstecken müssen, kann ihnen das auch helfen, besser – also nachhaltiger – zu werden?
Genau das ist das Ziel. Die CSRD ist nicht nur eine Berichtspflicht. Vielmehr sollen Unternehmen im Laufe der Jahre aufzeigen, wie sie ihre Nachhaltigkeitsleistungen verbessern. Die Unternehmen sollen also die Daten nutzen, um ihre eigene Nachhaltigkeit zu steuern. Das geschieht klassisch in fünf Schritten: Erstens wird die Transparenz über den Status quo anhand der Daten erzeugt. Zweitens werden Ziele gesetzt – zum Beispiel für die Reduzierung der Emissionen. Drittens werden Strategien und Maßnahmen definiert, um die Ziele zu erreichen. Viertens kontrolliere ich die Wirksamkeit der eingeleiteten Maßnahmen. Abschließend kann ich etwa am Jahresende die Übersicht der Daten erstellen, die gleich die Basis für den Bericht sind. Entscheidend ist, aus diesen Daten wieder neue Erkenntnisse abzuleiten, also zu fragen: Mit welchen Maßnahmen können wir unsere Nachhaltigkeitsleistung weiterhin verbessern?
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Ich kann durch KI analysieren, wie ich meine Bestände reduziere und die Produktion besser auslaste. Das führt dann zu einer Steigerung der Effizienz, reduziert die Emissionen und verbessert meinen Gewinn. Diese Potenziale werden noch viel zu wenig gesehen. Ein anderer Bereich, der in seiner Auswirkung auf Nachhaltigkeit immer noch völlig unterschätzt wird, ist die Logistik. Sie ist nach der Energieerzeugung der zweitgrößte CO2-Emittent mit Einfluss auf den Klimawandel. Wenn wir über Lieferketten sprechen, müssen wir immer auch über Transportketten sprechen. Hier liefert KI ein großes Potential zur Optimierung.
Was lässt sich in diesem Bereich optimieren?
Telematik- und Transportmanagementsysteme enthalten relevante Daten für die eigentliche logistische Dienstleistung, also beispielsweise Gewicht der Sendung, Fahrzeugtyp oder Entfernung. Wir greifen darauf zu, um Transportemissionen zu berechnen. Je besser die Datenqualität, umso einfacher wird es für KI-Systeme, Leerfahrten zu reduzieren sowie die Auslastung und Routen zu optimieren. Gerade im Bereich der Planung liegt hier ein sehr großes Potenzial – sowohl für Einsparungen als auch für den Schutz der Umwelt. Überspitzt formuliert: Der ideale Transport ist der, der nicht stattfindet. Wir haben in den vergangenen 30 Jahren enorme globale Liefer- und Transportketten aufgebaut. Ich vermute, dass das rückläufig sein wird. Und das hat sowohl Kosten- als auch Nachhaltigkeitsaspekte. Das ist einer der Gründe, weshalb die Unternehmen WAVES und pacemaker fusioniert sind. pacemaker liefert das Demand Forecasting, während WAVES als Sustainability Management Plattform die Nachhaltigkeitsaspekte berechnet, analysiert und Berichte generiert. Wir bringen jetzt beides zusammen.
KI und Nachhaltigkeit: Es bleibt spannend
Kann künstliche Intelligenz eigentlich auch Unternehmen helfen, Greenwashing zu vermeiden?
Da bin ich geteilter Meinung. KI besorgt sich Informationen auf Basis vorhandener Veröffentlichungen und vermittelt das als Realität. Wenn die Veröffentlichungen geschönt sind, wird das durch KI eher noch verstärkt. Deshalb ist es so wichtig, dass die CSRD ernst genommen wird und damit verlässliche Informationen in die Welt gelangen. Wenn diese von der KI zugrunde gelegt werden und es somit um Berichterstattung auf Basis valider Fakten geht, dann sinkt auch das Risiko für Greenwashing. Und das kann sich übrigens sehr schnell auszahlen. Einer unserer ersten Kunden – ein Logistikdienstleister - hat seine Transportemissionen nicht nur berechnet, sondern das auch nach außen kommuniziert. Und das hat ihm ganz schnell neue Kunden gebracht, weil sie mit seiner Hilfe green logistics umsetzen konnten.
Nun haben wir so viel über die Vorteile von KI gesprochen. Aber rechnet sich das überhaupt?
Diesen Beweis müssen wir noch antreten. Der kritische Punkt aus Nachhaltigkeitssicht ist: Der Stromverbrauch geht durch KI deutlich nach oben. Ursprünglich haben wir rund zwei Prozent des weltweiten Stromverbrauchs für IT- und Rechnerleistungen benötigt. Seit dem KI-Boom bewegen wir uns Richtung vier Prozent, Fachleute erwarten, dass er mittelfristig auf sechs bis acht Prozent steigen kann. Daher ist das deutsche Energieeffizienzgesetz so wichtig, danach müssen neue Rechenzentren ab dem Jahr 2027 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gespeist werden. Aber das ist natürlich zunächst nur ein deutsches Gesetz.
Armin Neises hat das Buch „Nachhaltigkeit lernen: Wie Unternehmen Bewusstsein und Strukturen für verantwortliches Wirtschaften schaffen“ veröffentlicht. Es ist 2023 bei Haufe erschienen. |
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