„Das größte Risiko ist, kein Risiko einzugehen“

Herr Erath, was können innovationsbereite Unternehmen vom Schwänzeltanz der Bienen lernen?
Beim Schwänzeltanz fliegen 20 Prozent der Bienen auf ihrem Weg zu einer weit entfernten Futterquelle in eine komplett andere Richtung als alle anderen. Wahrscheinlich gibt es die Bienenvölker, die immer alle in eine Richtung geflogen sind, schlicht nicht mehr. Und so ist es auch mit Unternehmen: Die, die immer nur am erfolgreichen alten Weg festhalten, sterben aus – das ist das Innovator's Dilemma: Der Erfolg von gestern ist die größte Bürde von morgen, weil immer nur das Bestehende weiterentwickelt wird. Unternehmen brauchen die Radikalen, diese 20 Prozent, die über das bestehende Geschäftsmodell hinausdenken. Das größte Risiko ist, kein Risiko einzugehen.
Leben im „grünen Jahrzehnt“
In Ihrem Buch „Planet Centered Innovation“ sprechen Sie vom „grünen Jahrzehnt“. Gilt das noch, angesichts von Trump, Geopolitik und Konjunktur-Einbruch?
Ja, denn es handelt sich nicht um einen Trend, sondern um eine Tatsache. Dieses Jahrzehnt wird auch dann das grüne Jahrzehnt bleiben, wenn wir es vermasseln. Ich sehe schon auch diese Green Fatigue. Aber die ist angesichts eines Hype-Cycles ganz normal. 2018, 2019, 2020 ist das Thema Nachhaltigkeit stark gehyped worden. Da war es dort, wo jetzt die Künstliche Intelligenz ist. Irgendwann flacht der Hype wieder ab, das heißt aber nicht, dass das Thema an Relevanz verliert. Derzeit werden in den Unternehmen sehr viele Maßnahmen umgesetzt, aber nicht mit Pauken und Trompeten. Jetzt müssen wir in den Unternehmen liefern und da wird man schon mal ein bisschen leiser und spricht erst dann wieder darüber, wenn Ziele erreicht sind. Es kann sein, dass in manchen Ländern oder Unternehmen das Pendel ein Stück zurückschwingt, aber solange es zwei Schritte nach vorne und nur einen zurückgeht, gehen wir trotzdem insgesamt nach vorne.
Sie vertreten die Ansicht, dass Nachhaltigkeit der Innovationstreiber unserer Zeit ist. Sicher?
Ich glaube an die Twin Transformation – also an die von der KI getriebene digitale Transformation und die nachhaltige Transformation. Die beiden müssen Hand in Hand gehen und KI kann uns enorm dabei helfen, durchzublicken. Zum Beispiel bei der Berechnung des Corporate Carbon Footprint, das ist ein Heidenaufwand. Wenn wir so etwas mit KI machen könnten – wir arbeiten bei Hansgrohe gerade daran – dann können wir unsere Nachhaltigkeitsaktivitäten viel besser steuern. Wir haben auf der Welt gescheite Nachhaltigkeitsprobleme zu lösen und wir haben ein ziemlich cooles neues Tool. Die KI könnte helfen, die Zeit wieder aufzuholen, die wir zu spät angefangen haben.
Warum das planetare Problem nicht allein zählt
Um die Sache zu beschleunigen, plädieren Sie für Planet Centered Innovation. Was ist das?
In den vergangenen Jahrzehnten hat die Wirtschaft vor allem auf Profitmaximierung gesetzt. All unsere Kennzahlen sind auf Wirtschaftlichkeit und einen steigenden Shareholder-Value ausgerichtet. „Profit“ ist in Innovationsprozessen zulasten von „People“ und „Planet“ gegangen. Oft hat man noch versucht, die Projekte für die Gesellschaft einigermaßen akzeptabel zu machen und ihnen eine grüne Verpackung verpasst. Die Planet Centered Innovation basiert zwar auch auf dem Zirkel „Profit, People, Planet“, nimmt aber zuerst das planetare Problem in den Blick und entwickelt dafür eine innovative Lösung. Diese Lösung muss natürlich wirtschaftlich sein, denn sonst wird sie sich intern nicht durchsetzen. Und natürlich müssen die Nutzer sie richtig gut finden. Und sie muss Profit bringen, denn nur dann wird ein Unternehmen diese Lösung skalieren.
Nachhaltigkeit allein ist kein Kaufargument, jedenfalls nicht für die große Massen …
… genau! Nachhaltige Innovationen müssen nutzerzentriert sein. Wenn wir bei Hansgrohe zum Beispiel eine super Wasserspartechnologie entwickeln, dann löse ich ein planetares Problem, denn wir haben zu wenig Wasser auf der Welt. Das ist den Menschen aber eventuell egal. Wenn ich aber damit argumentiere, dass sie, wenn sie warmes Wasser sparen, auch Energie und damit Geld sparen – bei gleichem Duschvergnügen – dann funktioniert das Produkt. Wer sich nur auf das planetare Problem konzentriert, wird in seiner Nische bleiben und kann nicht richtig skalieren.
Warum sollten Innovationsteams eine planetare Persona in ihre Prozesse einbeziehen?
Der Planet hat eben keine Stimme. Er ist stumm. Deswegen ist es sinnvoll, sich den Planeten als Persona vorzustellen, als Stakeholder im Innovationsprozess. Das wird vor allem bei der Kreislaufwirtschaft richtig greifbar – dort merkt man, dass alles endlich ist und die Stoffe ausgehen. Da empfiehlt es sich, den Planeten als Persona mitzudenken.
Die transformative Kraft des Konsums
Sie betrachten Konsum als Transformationsbeschleuniger, das klingt erst mal merkwürdig.
Ja, Konsumenten sind Change Agents und Transformationsbeschleuniger. Wenn Sie zum Beispiel Photovoltaik-Anlagen kaufen, dann ist Konsum gut. Wir denken immer, Konsum sei schlecht. Wenn aber das Produkt einen Mehrwert für die Umwelt oder die Gesellschaft hat, dann ist Konsum in Ordnung. Nachhaltigkeit ist echt tricky: Man muss anhand von sauberen Zahlen, Daten und Fakten eine Entscheidung treffen. Die einfachen Wahrheiten, die wir so gernhaben, greifen nicht immer. Die Plastiktüte ist zum Beispiel nicht immer schlecht, nur weil sie eine Plastiktüte ist. Manchmal braucht recyceltes Plastik weniger virtuelles Wasser, weniger CO₂ und verursacht weniger Abfall als Papier. Man muss sich einfach immer gut informieren.
Was macht Sie so optimistisch, dass die grüne Transformation gelingen kann?
Ich glaube an die Entkoppelung von Ressourcenverbrauch und Wertsteigerung. Green Growth ist möglich. Wenn man den Menschen heute mit Degrowth – also Verzicht und weniger materielles Wachstum – kommt, dann verliert man sie komplett. Die nachhaltige Transformation braucht ein Pacing: Das ist wie mit einem wild gewordenen Pferd, das eine Kutsche zieht. Wenn man das in eine andere Richtung lenken will, muss man erst mal nebenher reiten, den Takt aufnehmen und es langsam umlenken. Bei einer schlagartigen 180 Grad-Kehre geht es nicht mit. Mit der grünen Transformation ist es wie mit einer self-fulfilling prophecy: Sie wird wahr, wenn wir an sie glauben. Wir können unsere Zukunft selbst gestalten und müssen nicht abwarten, wie sie wird. Je mehr wir an diese Zukunft glauben, desto eher wird sie Realität.
Das deckt sich mit Ihrem Appell für planetaren Hedonismus.
Genau. Das Leben auf diesem Planeten soll ja schon noch Spaß machen. Ich glaube das Team „Spaß“ ist lustiger und erfolgreicher als das Team „Die Welt geht unter“. Wir sollten nicht in Problemen und Risiken denken, sondern an super Lösungen arbeiten, die funktionieren und faszinieren. Es wird vielleicht nicht immer die hundertprozentige Lösung geben. Wichtig ist vielmehr, dass die neue Lösung besser ist als die alte.
Das Buch „Planet Centered Innovation“ von Steffen Erath ist im September 2024 bei Maximilian Professional erschienen. |
-
„Omnibus“-Verordnung: EU will Berichtspflichten konsolidieren
1.398
-
ESRS: Übersicht aller Datenpunkte zu Set 1 veröffentlicht
467
-
Wesentlichkeitsanalyse nach CSRD: ein dynamisches Projekt
389
-
CSRD: Ein praxisorientierter Blick auf die ersten Berichte
383
-
CSRD-Praxisguide: Doppelte Wesentlichkeitsanalyse
342
-
ESG – Definition und Bedeutung für Unternehmen und Investoren
300
-
Nachhaltigkeitsberichtsgesetz: Neue Berichtspflichten in Österreich
149
-
CSRD Stakeholderanalyse: So gelingt die Einbeziehung von Interessengruppen
142
-
Die wichtigsten ISO-Normen für Nachhaltigkeit in Unternehmen
109
-
Green Hushing: Wenn die Nachhaltigkeitskommunikation verstummt
80
-
Nachhaltigkeitsinnovationen durch gute Methoden fördern - so gelingt es
20.02.2025
-
Der Aufsichtsrat im neuen, nachhaltigen Gewand
19.02.2025
-
Wie KI die Nachhaltigkeit in Lieferketten vorantreibt
19.02.2025
-
Effizienzsteigerung durch Digitalisierung: nachhaltige Technologien im Unternehmensalltag
17.02.2025
-
Nachhaltiges Wirtschaften: Beratungsangebot für Berliner Unternehmen wird erweitert
12.02.2025
-
Neue Datenbank sammelt CSRD-konforme Berichte
05.02.2025
-
Neumarkter Lammsbräu zahlt für alle mit, freiwillig
03.02.2025
-
Teil 4: Umsetzung nachhaltiger Innovationsstrategien
30.01.2025
-
„Das größte Risiko ist, kein Risiko einzugehen“
29.01.2025
-
Nachhaltigkeitsmanagement integrativ zwischen Produkt, Vertrieb und Marketing
27.01.2025