Kreislaufwirtschaft als Rückgrat der Rohstoffversorgung Europas
Das Tempo, mit dem sich diverse Akteure inzwischen dem Klimaschutz verschreiben, ist atemberaubend. Klang das Ziel der Europäischen Union, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden, noch weit weg, nähern sich gesetzte Zielmarken für die Klimaneutralität immer mehr der Gegenwart an: Deutschland peilt bis 2045 Treibhausgasneutralität an, das Bayerische Klimaschutzgesetz verankert für ein klimaneutrales Bayern bereits das Jahr 2040. Viele Unternehmen setzen sich das Ziel für ihre betrieblichen Aktivitäten gar in 2030. Dabei wäre es falsch, dies als Aktionismus abzutun. Vielmehr dürften diese sehr ambitionierten Ziele Ausfluss ernsthafter Sorge um das Weltklima sein. Der UN-Generalsekretär sagte auf der Klimakonferenz in Scharm el Scheich: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal.“
Maßgebliche Akteure steuern um: Bis 2030 wollen die USA beispielsweise nur noch halb so viel CO2 ausstoßen wie 2005. Im Sommer 2022 unterzeichnete US-Präsident Joe Biden den Inflation Reduction Act (IRA). Der IRA sieht die höchsten staatlichen Investitionen in saubere Energie in der Geschichte der USA vor. Insgesamt sind Ausgaben in Höhe von 369 Milliarden US-Dollar für Klimaschutz-und Energieprogramme vorgesehen. Die USA legen so den Turbo für den Klimaschutz ein.
Und Deutschland? Die Regeln haben uns so weit gefesselt, dass selbst die Zitierung von Karl Valentin, dessen Satz zum Mögen und Trauen hier gut passen würde, Gegenstand von Rechtsprechung ist, wonach dieser mit seinen zwölf Wörtern urheberrechtlich geschützt ist und nicht frei verwendet werden darf (LG München I, Urteil vom 08.09.2011, Az. 7 O 8226/11). So kommt es wohl auch, dass in Deutschland bereits die Planungs- und Genehmigungsverfahren nach einer BDI-Erhebung im Schnitt -gemessen an den gesetzlichen Vorgaben - ein halbes Jahr zu lang dauern. Allein die durchschnittliche Vorbereitungszeit bis zum Vorliegen der Vollständigkeitserklärung seitens der Behörde dauerte im Durchschnitt fast elf Monate. Mit einer Planung ist aber noch kein einziger Spatenstich erfolgt, geschweige denn auch nur ein Gramm CO2 eingespart.
Reformbedarf des deutschen Rechtsrahmens
Das Lamentieren über Wettbewerbsverzerrungen durch die USA aufgrund der IRA-Milliarden lenkt vom großen Reformbedarf des deutschen Rechtsrahmens ab. Zwar ist parteiübergreifend das Bedürfnis nach einer Transformation der EU-Wirtschaft verstanden. Allerdings hat man den Eindruck, dass der New Green Deal der EU-Kommission national eher aufgepfropft werden soll, als dass wirklich eine Bereitschaft zur Veränderung besteht. Ein bisschen Green Deal geht nicht, wenn man die Herzkammer des Green Deal den New Circular Economy Action Plan (CEAP) in den Blick nimmt. Der CEAP zeichnet eine Roadmap, die zu einem Turbo für die Transformation der EU-Wirtschaft zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft werden könnte. Die Kreislaufwirtschaft ist der zentrale Schlüssel für die Transformation und die Voraussetzung für den wettbewerbsfähigen Umbau der Wertschöpfungsketten. Rohstoffe aus dem Recycling müssen bevorzugt von der deutschen Industrie in der Produktion eingesetzt werden.
Für die Realisierung eines nachhaltigen Industriestandortes Deutschland sind zeitgemäße Rahmenbedingungen unerlässlich. Ein Turbo für die Beschleunigung der Genehmigung und Durchführung von Investitionsmaßnahmen ist unabdingbar. Die Genehmigung und Durchführungsbeschleunigung im Bereich der erneuerbaren Energien darf nicht auf diese beschränkt bleiben. Die Transformation zu einer zirkulären und klimaneutralen Wirtschaft setzt in vielen Branchen erhebliche Investitionen voraus. Zusätzlich muss die Infrastruktur massiv ertüchtigt werden und beispielsweise dezentrale Bahnanschlüsse wie Binnenhäfen geschaffen bzw. ausgebaut werden.
Raum für Innovation muss gesetzlich geregelt werden
Gesetze sollten künftig Raum für Innovation – nicht zuletzt für mehr Kreislaufwirtschaft - schaffen. Hierfür bietet sich die breite Einführung des erprobten Instruments von sog. Reallaborregelungen an. Innovationen wird so eine Realisierungschance in Deutschland eingeräumt. Berichte, wonach ausgerechnet Biontech einen Teil seiner Forschung künftig nach Großbritannien verlagert, sind durchaus symptomatisch für den Standort Deutschland.
Die EU wird beim künftigen Strommarktdesign das Thema Industriestrompreis angehen müssen. Nötig ist ein dauerhaft wettbewerbsfähiger Industriestrompreis für energieintensive Produktion. Dabei sollte der Energieverbrauch in einem Zusammenhang mit der Transformation unserer Industrie zur Kreislaufwirtschaft und der Energiewende gestellt werden: Der Industriestrompreis sollte in seiner Ausgestaltung vom Einsatz von Recyclingrohstoffen abhängig sein.
Öffentliche ökologische Beschaffung als Hebel
Bund, Länder, Kommunen müssen zudem selbst umsteuern. Öffentliche ökologische Beschaffung ist der Hebel für eine erfolgreiche Rohstoffwende. Heute sind Ausschreibungen mit klarem Fokus auf Recyclingrohstoffe immer noch die Ausnahme. Der Einsatz von Recyclingmaterial muss zur Regel werden.
Die strategische Bedeutung von Recyclingrohstoffen muss sich in einer ganzheitlichen Regulatorik zur Rohstoffsicherung wiederfinden. Eine aktive Rohstoffpolitik muss alle Säulen der Rohstoffsicherung in den Blick nehmen: Sowohl Primärrohstoffe (heimische wie Import) als auch Sekundärrohstoffe (heimische und Import). Eine EU-Agentur für Kreislaufwirtschaft sollte für ein Level Playing Field in der EU sowie ein gleiches Verständnis von Vollzug und Umsetzung der europäischen Regulatorik sorgen und Verbesserungen bei der innereuropäischen Abfallverbringung mit dem Ziel des hochwertigen Recyclings erreichen. Es ist an der Zeit, die Kreislaufwirtschaft größer zu denken und auch große Schritte zu deren Vollendung tun. Kleinstaaterei ist weder im Geist Europas noch wird es der Bedeutung der Kreislaufwirtschaft als künftiges Rückgrat der Rohstoffversorgung Europas gerecht.
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Autor: Jens Loschwitz
BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft e. V.
Dieser Beitrag wurde ursprünglich in Ausgabe April 2023 des Magazins „ Kleine Kniffe –Das betriebliche Magazin für einen nachhaltigen Einkauf“ veröffentlicht.
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