In vier Schritten zur Klimarisikoanalyse

Klimagefahren vs. Klimarisiken
Die Begriffe „Gefahr“ und „Risiko“ werden umgangssprachlich häufig synonym verwendet (Loew et al., 2024), allerdings wird nicht jede Klimagefahr automatisch zu einem Klimarisiko. Eine Klimagefahr wird erst dann zu einem Klimarisiko, wenn ein System (zum Beispiel ein Unternehmen oder ein Produktionsstandort) dieser Gefahr ausgesetzt (Exposition) und gleichzeitig gegenüber dieser Klimagefahr verletzlich ist (Vulnerabilität) (IPCC, 2023; ISO, 2019, 2021).
Beispiel: Hochwasser
Hochwasser stellt eine Klimagefahr dar. Doch erst, wenn sich zum Beispiel ein Produktionsstandort in einem hochwassergefährdeten Gebiet befindet (Exposition) und nicht ausreichend geschützt ist (Vulnerabilität), wird Hochwasser zum realen Risiko.
Die folgenden vier Schritte zeigen, wie Unternehmen systematisch bei der Analyse von physischen Klimarisiken vorgehen können.
1. Festlegung der Rahmenbedingungen
Bevor die eigentliche Analyse beginnt, sind wesentliche Rahmenbedingungen zu definieren:
- Welche Standorte, Geschäftsbereiche oder Teile der Lieferketten werden betrachtet?
- Welche Datenquellen werden genutzt (zum Beispiel frei verfügbare Klimaszenarien vs. Bezahlmodelle)?
- Welche Klimaszenarien und Klimamodelle werden herangezogen?
- Welche regulatorischen Anforderungen (zum Beispiel ESRS, EU-Taxonomie-VO) sind zu berücksichtigen?
Praxistipps:
- Da Klimamodelle auf globaler Ebene eine grobe Auflösung vorweisen, wird die Verwendung nationaler beziehungsweise regionaler Klimamodelle empfohlen.
- Climate-ADAPT ist eine europäische Klimawandelanpassungsplattform, die für einige Klimagefahren Klimaszenarien bereitstellt.
2. Identifikation potenzieller Klimagefahren
Eine gute Ausgangsbasis bildet die Liste der Klimagefahren, welche die Europäische Kommission in der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139, Seite 141, aufgeführt hat. In diesem Schritt ist zu analysieren, ob bestimmte Klimagefahren überhaupt zu einem Klimarisiko werden können.
Als Beispiel kann die Klimagefahr „Anstieg des Meeresspiegels“ herangezogen werden. Für einen Produktionsstandort, der in Küstennähe liegt, kann diese Klimagefahr aufgrund der Exposition zu einem Klimarisiko werden, während dies für ein Bürogebäude in der Innenstadt von Berlin oder Wien aufgrund der fehlenden Exposition nicht der Fall ist. Dieser Analyseschritt ermöglicht die Einschränkung potenzieller Klimarisiken.
Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Schritt ist die Analyse von Wirkungsketten. Es ist zu berücksichtigen, dass Klimagefahren selten isoliert auftreten und auch nur selten allein wirken. Eine längere Hitzewelle kann beispielsweise dazu führen, dass der Boden austrocknet und folglich weniger Wasser aufnehmen kann. Ein anschließendes Starkregenereignis führt in der Folge dazu, dass das Wasser an der Oberfläche abfließt und die Kanalisation überlastet wird, was zu Überschwemmungen führt. In Hanglagen kann dies sogar Erdrutsche begünstigen.
Mögliche Frage, die in diesem Analyseschritt gestellt werden können:
- Welche extremen Wetterereignisse können die Betriebsabläufe stören?
- Welche Standorte sind besonders anfällig für Wetterextreme wie Hitze, Hochwasser oder Stürme?
- Sind bestimmte technische Komponenten besonders vulnerabel gegenüber Hitze, Feuchtigkeit etc.?
Praxistipps:
- Nicht nur einzelne Klimagefahren, sondern auch deren Wechselwirkungen mit anderen Klimagefahren sind zu berücksichtigen.
- Wenn bestimmte Klimagefahren aufgrund der fehlenden Exposition oder fehlenden Vulnerabilität zu keinem potenziellen Klimarisiko führen können, sind diese im dritten Schritt nicht weiter zu berücksichtigen.
3. Bewertung physischer Klimarisiken
Die Bewertung physischer Klimarisiken erfolgt auf Basis einzelner Parameter, die eine Klimagefahr beschreiben. Die Klimagefahr Hitze wird beispielsweise in Hitzetagen ausgedrückt. Als Hitzetage werden Tage mit einer Tageshöchsttemperatur von über 30,0 °C definiert (Chimani et al., 2016).
Beispiel: Die Auswirkung von Hitze auf ein Lager mit verderblichen Lebensmitteln
Derzeit werden an einem bestimmten Standort durchschnittlich 15 Hitzetage pro Jahr gemessen. Diese 15 Hitzetage bilden die Ausgangsbasis der Bewertung. Nun wird ein bestimmtes Klimaszenario zugrunde gelegt und die daraus resultierende Anzahl an Hitzetagen pro Jahr evaluiert. Diese könnte beispielsweise 30 Hitzetage pro Jahr betragen. Der eigentliche Bewertungsschritt des physischen Klimarisikos Hitze besteht darin, im Unternehmen zu bewerten, wie stark die Auswirkungen eines Anstiegs um durchschnittlich 15 Hitzetage pro Jahr sein kann. 15 Hitzetage mehr pro Jahr könnten beispielsweise für ein Lager mit verderblichen Lebensmittel folgende Auswirkungen haben:
- Höherer Kühlbedarf – führt zu höherem Energieverbrauch und höheren Betriebskosten.
- Überlastung der Kühltechnik – kann zu Ausfällen der Kühlung führen und den Verderb der Lebensmittel beschleunigen, wodurch wieder höhere Materialkosten und höhere Entsorgungskosten entstehen können.
Das Unternehmen beurteilt in diesem Schritt, ob der Anstieg der Hitzetage für sein Geschäftsmodell ein wesentliches Risiko darstellt. Handelt es sich bei dem analysierten Lager um das Hauptlager des Unternehmens, in dem 80 Prozent der Lebensmittel umgeschlagen werden, und ist das Kühlsystem nicht auf dem neuesten Stand der Technik, kann die Zunahme der Hitzetage ein erhebliches Klimarisiko darstellen.
4. Identifikation von Anpassungsmaßnahmen
Nach der Bewertung der physischen Klimarisiken folgt die Entwicklung geeigneter Anpassungsmaßnahmen. Maßnahmen können sowohl technischer als auch prozessualer Natur sein.
Im fiktiven Beispiel des risikobehafteten Lagers wäre eine Investition in ein neues Kühlsystem eine mögliche technische Maßnahme. Als prozessuale Anpassungsmaßnahme könnten Maßnahmen zur Optimierung der Lagerlogistik gewählt werden.
Fazit
Die Bewertung von physischen Klimarisiken ist angesichts des Klimawandels keine Kür, sondern eine Pflicht für Unternehmen, die ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber physischen Risiken sicherstellen wollen.
Praktische Leitfäden zur Umsetzung von Klimarisikoanalysen
- ISO 14091:2021 - Anpassung an den Klimawandel - Vulnerabilität, Auswirkungen und Risikobewertung
- KlimTAX Leitfaden zur Durchführung einer robusten Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse
- Empfehlungen des Umweltbundesamts zur Durchführung einer robusten Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse nach EU Taxonomie
Quellen
- Chimani B., Heinrich G., Hofstätter M., Kerschbaumer M., Kienberger S., Leuprecht A., Lexer A., Peßenteiner S., Poetsch M.S., Salzmann M., Spiekermann R., Switanek M. und H.Truhetz, 2016. ÖKS15 – Klimaszenarien für Österreich. Daten, Methoden und Klimaanalyse. Projektendbericht, Wien.
- IPCC. (2023). Climate Change 2023: Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Core Writing Team, H. Lee and J. Romero (eds.)] (First). Inter-governmental Panel on Climate Change (IPCC).
- ISO. (2019). ISO 14090:2019 Anpassung an die Folgen des Klimawandels - Grundsätze, Anforderungen und Leitlinien.
- ISO. (2021). ISO 14091:2021 Anpassung an den Klimawandel—Vulnerabilität, Auswirkungen und Risikobewertung.
- Loew, T., Glatzner, L., Rink, S., & Dorsch, L. (2024). Management von Klimarisiken in Unternehmen: Grundlagen, Anleitungen, Stand der Praxis und Empfehlungen [Abschlussbericht].
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