Ewigkeitschemikalien: „Den größten Hebel haben immer Firmen“

Die sogenannten Ewigkeitschemikalien finden sich überall: Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) sind unter anderem in Textilien, Medizinprodukten und im Menschen. Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) hat im November 2024 einen Bericht zum Stand des Verfahrens zur Beschränkung von PFAS unter der europäischen Chemikalienverordnung REACH veröffentlicht. Die wasser-, schmutz- und fettabweisenden Stoffe sollen nur noch in Bereichen zum Einsatz kommen, in denen es auf absehbare Zeit keine geeigneten Alternativen geben wird. Der Chemiker Manfred Santen war bis Oktober 2024 Experte für Umweltfragen bei Greenpeace und hat sich intensiv mit PFAS befasst.
Herr Santen, würden Sie die Teflonpfanne verbieten?
Im Prinzip schon. Doch bei der Nutzung der Teflonpfanne passiert nichts, solange die Oberfläche unbeschädigt ist. Deswegen muss man sie nicht unbedingt verbieten. Die Beschichtung selbst ist in der Herstellung und in der Entsorgung ein Problem, daher sollte man sich darum kümmern, welche Ersatzstoffe es gibt, die weniger gefährlich sind.
PFAS sind als Ewigkeitschemikalien bekannt. Lohnt es sich, den Kampf zu führen?
Ja, denn es sind Schadstoffe, die vom Menschen hergestellt werden, die es in der Natur nicht gibt. Einmal in die Umwelt entlassen, bleiben sie eigentlich für immer. Trotzdem lohnt es sich gegen den Einsatz ins Feld zu ziehen, um für spätere Generationen die Belastung möglichst gering zu halten. Es geht darum, aufzuklären und aufzuzeigen, wo die Probleme liegen. Ebenso müssen wir verhindern, dass noch mehr in die Umwelt gelangt.

Die Macht der Firmen und Verbraucher
Inzwischen müssen Unternehmen mit empfindlichen Sanktionen rechnen, wenn sie PFAS einsetzen. Doch was tun, wenn es noch keine Alternativen gibt?
Die Frage ist: Gibt es da wirklich keine Alternative oder wird es nur behauptet? Für viele Anwendungen gibt es Alternativen, doch muss eventuell eine Einschränkung der Funktion in Kauf genommen werden. In der Medizin gibt es nicht für alle Anwendungen Ersatzstoffe, aber bei Textilien schon. Sicherheit geht vor, aber für viele Gebrauchsgegenstände sind PFAS nicht erforderlich und sollten auch wirklich verschwinden. Es gibt keine Materialien, die alles können und komplett unschädlich sind.
Gut fürs Geschäft klingt das nicht
Doch, aber es liegt am Unternehmen. Wenn ein Unternehmen das Erste ist, das umstellt, dann gilt es als „grün“, als Pionier. Wenn beispielsweise H&M in Regenjacken auf PFAS verzichtet, und stattdessen ein Alternativprodukt nutzt, um Kleidung wasserabweisend zu machen. Der Einfluss ist riesig, weil H&M ein großer Abnehmer von Stoffen ist, die unter anderem in China hergestellt werden, sodass sich die Fabriken komplett umstellen müssen. Firmen und Verbraucher können schneller entscheiden als eine Regierung.
Heißt das, Verbraucher sind mächtiger als Regierungen?
Den größten Hebel haben immer Firmen. Der ist sogar größer als der von Regierungen, weil sie schneller sind. Aber der Einfluss von Verbrauchern ist nicht zu unterschätzen. Zwar ist die Macht der Gewohnheit größer – Kunden, die immer Adidas kaufen, ändern nicht ihr Verhalten, aber sie können fordern, dass die Lieblingsmarke „sauber“ produziert wird, und lenken mit ihrer Kaufentscheidung.
Die Substanzgruppe ist schwer zu regulieren
Sind die Diskussionen zu den Regulierungen zu PFAS und der europäischen Chemikalienverordnung REACH dann noch nötig?
Der Kampf, die PFAS als Gruppe in die REACH-Regulierung aufzunehmen, läuft aktuell noch. Die PFAS als Gruppe müssen unbedingt reguliert werden, nicht nur einzelne Substanzen. Es ist ein Dilemma: Eine Substanz wird verboten, dafür kommt z.B. eine neue aus derselben Substanzgruppe. Heißt ein bisschen anders, ist weniger erforscht und wird dann eingeführt. Ist aber nicht minder gesundheitsgefährdend. Um diesen Mechanismus zu umgehen, soll der Einsatz vor allem von industriell genutzte PFAS minimiert werden. Wobei REACH dann auch immer noch viele Ausnahmen und Übergangsfristen zulässt, aber es ist ein Anfang.
Kann Europa noch mehr tun?
Europa kann auf jeden Fall mehr tun. Zunächst muss die Regulierung mit möglichst wenig Ausnahmen implementiert werden. Die Industrie betreibt sehr viel Lobbyarbeit und so haben Bundeskanzler Scholz und Robert Habeck der Industrie viele Zugeständnisse gemacht. Und das passiert auch auf europäischer Ebene in Brüssel.
Haben Sie noch Hoffnung?
Puh Ja.
Das ist aber eine verhaltene Zustimmung.
Ich bin schon lange dabei. Ein Beispiel: Atomkraft wurde in Deutschland erfolgreich bekämpft und beendet. Jetzt gibt es wieder die Überlegung, alte AKWs wieder anzuschalten oder süße kleine zu bauen, weil wir ja so viel Energie brauchen, etwa für künstliche Intelligenz. Das kann nicht wahr sein, zumal mit den Erneuerbaren Energien Alternativen zur Verfügung stehen.
Verliert man da nicht eher die Hoffnung?
Man wird zumindest nachdenklich. Aber die vielen aktiven jungen Menschen machen mir Hoffnung.
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