EU-Chemikalienstrategie: Kritik aus der Wirtschaft wächst
Mit dem „European Green Deal“ will die Europäische Kommission die Wirtschaft in der EU klimaneutral machen. Eine der zentralen Initiativen dieses Green Deals ist die EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (Chemicals Strategy for Sustainability, CSS), die 2020 von der Kommission vorgestellt wurde. Dabei soll unter anderem der Schutz von Mensch und Umwelt vor gefährlichen Chemikalien deutlich verbessert werden. Erreicht werden soll das insbesondere durch die Verschärfung der REACH-Verordnung, der CLP-Verordnung (Classification, Labelling and Packaging) und vieler anderen einschlägiger Regelwerke.
EU-Chemikalienstrategie: Über 80 Maßnahmen geplant
Die EU-Chemikalienstrategie plant mehr als 80 Einzelmaßnahmen, die in den kommenden Jahren im Rahmen zahlreicher Gesetzgebungsverfahren implementiert werden sollen. Für rund 12.000 chemische Stoffe ändern sich damit wesentliche Gesetze, Zulassungen und Bestimmungen. Hierzu zählen Maßnahmen zur Förderung innovativer Lösungen für sichere und nachhaltige Chemikalien, zur Verbesserung des Schutzes der menschlichen Gesundheit und der Umwelt, zur Vereinfachung und Stärkung des Rechtsrahmens für Chemikalien, zum Aufbau einer umfassenden Wissensbasis als Grundlage einer faktengestützten politischen Entscheidungsfindung und zur Übernahme einer weltweiten Vorbildfunktion für ein verantwortungsvolles Chemikalienmanagement.
EU-Chemikalienstrategie: Wirtschaft sieht ungünstigen Zeitpunkt
Obwohl eines der erklärten Ziele der Strategie die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in der EU ist, werde mit ihr, so kritisieren Stimmen aus der Wirtschaft, teilweise genau das Gegenteil erreicht. Zunächst einmal erfolge ihre Umsetzung zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Die Unternehmen seien aufgrund der Folgen der COVID-19-Pandemie und des Ukraine-Kriegs bereits am Rande ihrer Belastbarkeit angelangt. Die Umsetzung der neuen Regelungen würde daher viele Unternehmen überfordern, im Wettbewerb mit Unternehmen aus dem außereuropäischen Ausland mit weitaus weniger ambitionierten Regelwerken gerieten sie ins Hintertreffen. Aufgrund der sehr wahrscheinlich langjährigen Gesetzgebungsverfahren verlören die Unternehmen, die Chemikalien herstellen oder verwenden, zudem ihre Planungssicherheit. Ganz besonders relevant für die Unternehmen aber sind die möglicherweise zu erwartenden geschäftlichen Verluste: Das Wirtschaftsforschungsunternehmen Ricardo Energy & Environment prognostiziert beispielsweise 2021, dass die durch die Chemikalienstrategie betroffenen Stoffe bis zu 43 Prozent des Gesamtumsatzes der europäischen Chemieindustrie ausmachen könnten, was einen Umsatzverlust von rund 214 Milliarden Euro bedeutet.
EU-Chemikalienstrategie: Risikobewertung wird ersetzt
Unternehmen und Wirtschaftsverbände kritisieren vor allem den Wegfall des risikobasierten Regulierungsansatzes durch ein vorsorge- und gefahrenbasiertes System. Denn hat eine Chemikalie bestimmte Gefahreneigenschaften, soll es mit dem neuen Ansatz schneller und unkomplizierter möglich sein, deren Herstellung und Verwendung zu verbieten.
Mit dem neuen System und dem damit verbundenen „Generischen Bewertungsfaktors für Gemische“ (Mixture Assessment Factor, MAF) bestünde die Gefahr, dass Stoffe und ganze Stoffgruppen nur aufgrund von Gefahrstoffeigenschaften und ohne Betrachtung von Expositionsrisiken verboten werden, mit allen damit verbundenen Gefahren für den Wirtschaftsstandort Europa.
Der Verband der Mineralfarbenindustrie formuliert es so: „Daher würde ein MAF die Grundprinzipien einer angemessenen und proportionalen Risikobewertung zunichtemachen und keinerlei Vorteile bringen, außer die regulatorischen Bürden zu erhöhen und gleichzeitig viele Chemikalienanwendungen gefährden. (…) Die aktuelle Risikoermittlung unter REACH und sektoralen Verordnungen beinhaltet bereits mehrere Sicherheitsfaktoren, um eine ausreichend niedrige Exposition auch für vulnerable Gruppen zu gewährleisten.“
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