Der Europäische Green Deal in der neuen EU-Legislaturperiode

Der Europäische Green Deal wird fünf Jahre alt. Er ist das größte Transformationsprojekt der EU und der erste Versuch, eine wirtschaftsweite und transformative politische Agenda für mehr Klima- und Umweltschutz in der EU aufzustellen. Was wurde bislang erreicht? Welche Bedeutung hat die Europawahl für die Weiterführung des Green Deals im Unternehmenskontext? Und kann ein Rechtsruck in der EU den Klimaschutz gefährden?

Der Europäische Green Deal (EGD) wurde von der Europäischen Kommission unter Ursula von der Leyen am 11. Dezember 2019 vorgelegt, mit dem Ziel, bis 2050 in der Europäischen Union die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren und somit als erster „Kontinent“ klimaneutral zu werden. Damit dies umgesetzt werden kann, verabschiedete die EU im Jahr 2023 ein Paket neuer und überarbeiteter Rechtsvorschriften mit der Bezeichnung „Fit for 55“. Betroffen ist ein Bündel aus 13 Gesetzesvorschlägen zur Zielerreichung 2030 und für den weitergehenden Wandel in den Bereichen Klima, Energie und Treibstoffe, Transport/Mobilität, Gebäude und Bodenverwendung, Land- und Forstwirtschaft.

Hindernisse und Kritik

Der Umsetzungsprozess des Green Deal ist derzeit immer noch stark politisiert, was häufig dazu führt, dass die grüne Transformation negativ wahrgenommen wird (mangelnder politischer Handlungswillen, Klimaziele in andere Politikbereiche einzubetten). Auch Auswirkungen auf Verteilungsfragen und Wettbewerbsfähigkeit rufen zunehmend Besorgnis hervor. Viele der Instrumente und Regelwerke, die im Rahmen des EGD fortentwickelt und teilweise neu eingeführt wurden, betreffen Unternehmen direkt (zum Beispiel der Europäische Emissionshandel oder die Flottengrenzwerte für Autos und leichte Nutzfahrzeuge, neue Vorschriften zur Förderung der Reparatur und Wiederverwendung von Waren). Eine schnellere Verknappung der CO₂-Zertifikate im Emissionshandel ist bereits beschlossen. Das fordert in allen Bereichen neue Konzepte: im Gebäudesektor, (Stichwort Wärmepumpe als Ergebnis des Heizungsgesetzes), im Verkehrssektor (Stichwort E-Mobilität, Verbrenner-Aus). Auch die Vielzahl an neuen Gesetzen wird von Unternehmen zunehmend als Belastung wahrgenommen: Häufig fehlen noch technologische Möglichkeiten, oder deren Einsatz ist wirtschaftlich nicht darstellbar, nicht jeder kann sich neue Technologien sofort leisten.

Häufig vermissen Unternehmen auch die Verlässlichkeit bei den angekündigten Maßnahmen. Die Anreize für die Emissionsreduktion industrieller Prozesse, vor allem in energieintensiven Industrien, sind noch nicht ausreichend. Unternehmen benötigen vor allem Planungssicherheit und klare, auf die Zukunft ausgerichtete Rahmenbedingungen für Investitionsentscheidungen. Es braucht einen klaren Rechtsrahmen für eine Dekarbonisierung, die in Einklang mit den planetaren Grenzen und dem Anspruch an hohe soziale Standards steht. Als problematisch gilt auch die zunehmende Bürokratie, weshalb Teile der Wirtschaft längere Übergangszeiten fordern.

Positive Entwicklungen

Hervorzuheben ist vor allem die Weiterentwicklung der europäischen Klimapolitik. Ein konkretes Beispiel ist das am 24. Juni 2021 verabschiedete EU-Klimagesetz, das die Ziele einer Emissionsreduzierung um 55 Prozent bis 2030 sowie Klimaneutralität bis 2050 rechtsverbindlich festschreibt. Das ist jetzt rechtlich bindend und stellt einen der großen Fortschritte in der europäischen Klimapolitik dar. Mit dem Paket „Fit for 55“ wurde das 2030-Ziel in allen Säulen der Klimapolitik umgesetzt. Gute Beispiele sind auch die bisher verabschiedeten handelsautonomen Verordnungen, wie das CO₂-Grenzausgleichssystem (CBAM) – dadurch soll die Verlagerung von CO₂-Emissionen in Drittstaaten („Carbon Leakage“) verhindert werden - und die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten, die die Einfuhr von Produkten verbietet, die zur Abholzung von Wäldern beitragen. Die Einführung und Durchsetzung von Kapiteln über Handel und nachhaltige Entwicklung (TSD) in Freihandelsabkommen (FHA) war ebenfalls ein wichtiger Schritt, um den EU-Handel fairer und nachhaltiger zu gestalten (auch wenn noch mehr getan werden muss, um den Schutz von Klima, Umwelt und Arbeitsrechten weltweit zu unterstützen). Es wurde auch der Klimasozialfonds ins Leben gerufen, um finanzielle Belastungen der CO₂-Bepreisung abzufedern (allerdings gibt es auch Kritik, dass dieses Instrument zu schwach ist).

Vorteile des EGD für Unternehmen

  • Schaffung von neuen Arbeitsplätzen (zum Beispiel in den Bereichen erneuerbare Energien, energieeffiziente Gebäude und Prozesse)
  • Anreize für den Ausbau strategischer klimafreundlicher Technologien und Kreislaufwirtschaftsstrategien
  • Sicherstellung einer fairen Energiewende (Einrichtung eines Klimasozialfonds, der durch die Versteigerung von Zertifikaten im EU-Emissionshandelssystem finanziert wird)
  • Absicherung Europas als Industriestandort
  • Stärkung der Innovationskraft von Unternehmen
  • Anreize zu Investitionen in eine klimaschonendere Energieversorgung oder Produktionsprozesse
  • Schaffung eines nachhaltigeren Lebensmittelsystems
  • Verhinderung der Abwanderung von Produktion und Investitionen in Drittstaaten mit weniger strengen Auflagen
  • Schutz der biologischen Vielfalt
  • Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie auf dem Weltmarkt.

Eine starke Demokratie als Voraussetzung für den EGD

Laut den Ergebnissen des Europäischen Green-Deal-Barometers 2023 äußerten 56 Prozent der Befragten ein gewisses Vertrauen darauf, dass die EU-Institutionen den EGD in Gesetzesform bringen werden, um die internationalen Klimaverpflichtungen einzuhalten. Dennoch hält sich diese Zuversicht in Grenzen, denn nur eine Minderheit erklärte, sie sei diesbezüglich „sehr zuversichtlich“. Die Zeiten für die EU werden immer schwieriger: Der Nationalismus breitet sich immer weiter aus, und Europa rückt immer näher an den Krieg in der Ukraine. Allgemeine Kritik an der EU und am Green Deal werden lauter. Das hat verschiedene Gründe: So wird das europäische Projekt oft als Abstraktum wahrgenommen (die EU ist etwas Abstraktes, die Nation ist das Konkrete), Verteidigung der eigenen nationalen Interessen, Interessengegensätze und Interessenskonflikte oder die Trägheit und Funktionsunfähigkeit der EU. Doch keine Nation kann allein die großen Herausforderungen und Probleme bewältigen.

Im Wahlkampf und in den Parteiprogrammen schienen Klimafragen und der Green Deal keine große Rolle mehr zu spielen. Unternehmen können nur nachhaltig wirtschaften, wenn die Rahmenbedingungen dafür gegeben sind. Klima- und Umweltschutz sowie Vielfalt sind essenziell für den Wirtschaftsstandort Europa. Dafür braucht es eine starke Demokratie. Je stärker die rechten Parteien kooperieren, desto einflussreicher können sie in der Gestaltung der Klimapolitik für die Dekade 2030 bis 2040 sein. 2019 wurde die Europawahl noch als „Klimawahl“ bezeichnet. Im Vorfeld der Europawahl unterzeichneten mehr als 600 Unternehmen Position für die sozial-ökologische Transformation. Zu den Unterzeichnenden des Bündnisses „ Wirtschaft wählt Vielfalt und Nachhaltigkeit - Für die Zukunft Europas“ gehörten u.a. OTTO, SMA, ebmpapst, techem und Patagonia, viele Familienunternehmen und Mittelständler, die Messe München oder badenova. Alle erteilten damit menschen- und demokratiefeindlichen Haltungen eine klare Absage.

Die Umsetzung des Europäischen Green Deal in der neuen EU-Legislaturperiode

Mit der Wiederwahl Ursula von der Leyens zur Kommissionspräsidentin ist der Auftrag für Fortentwicklung und Umsetzung des EGD verbunden. Vor der Abstimmung in Straßburg hatte sie ihre politischen Leitlinien für die nächste Legislatur vorgestellt: Mit einer klaren Strategie für die industrielle Modernisierung als Teil des EGD kann die EU ihre Klimaziele erreichen und gleichzeitig wirtschaftliche Stabilität und neue Arbeitsplätze schaffen. Dies wird mit dem „Clean Industrial Deal“ betont. Es geht nun darum, das Klimaziel für 2040 zu verhandeln und einen entsprechenden konkreten Legislativvorschlag zur Änderung des Klimaschutzgesetzes vorlegen.

Prioritäten für die nächste Phase des EGD:

  • Bessere Berücksichtigung der Außenpolitik in die EGD-Agenda
  • Unterstützung der Agrar- und Ernährungswende: Ausarbeitung einer neuen Vision für die gemeinsame Agrarpolitik (GAP) und die Landnutzung (einschneidende Änderungen in der GAP und dem EU-Haushalt)
  • Konkrete Lösungen zur Biodiversitätskrise
  • Stärkere Ausrichtung des Clean Industry Deals in Richtung ressourcenschonender Kreislaufwirtschaft als einer der stärksten Hebel zur Dekarbonisierung der Industrie
  • Finanzierungsmodelle für die industrielle Transformation, das auch private Investitionen mobilisiert, und die soziale Absicherung des Wandels
  • Verbesserung der EGD-Governance vom Gesetzesentwurf bis zur Umsetzung
  • Investitionen in den grünen, sozial gerechten Übergang zur Klimaneutralität
  • Tiefgreifende Reformen in einigen Bereichen, die bisher vernachlässigt wurden (zum Beispiel Rahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme und biologischen Diversität, Überarbeitung der Chemikalienverordnung, Tierwohlpaket und „blaue Agenda“)
  • konsequente Umsetzung und Weiterentwicklung der europäischen Regulierungsvorhaben wie der Richtlinie für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD), der EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) und den auf Finanzinstitutionen abgestellten Regulierungen wie der Eigenkapitalrichtlinie (CRD), der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID), der Offenlegungsverordnung (SFDR) und der Taxonomieverordnung
  • Entschärfung des Top-down-Ansatzes durch die angemessene Einbeziehung von lokalen Behörden und durch die voranschreitende Digitalisierung
  • Klare Kommunikation von Wirkung und Nutzen der grünen Übergangspolitik
  • Stärkung und Vereinheitlichung der Ziele bei Umwelt- und Klimaschutz durch kohärente politische Maßnahmen und Umsetzungsmechanismen.
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