Keine Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Durchführung von „Fürsorgegesprächen“


Mitbestimmungrecht des Betriebsrats bei sog. Fürsorgegesprächen

Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates besteht nach einem Beschluss des LAG Nürnberg nicht, wenn der Arbeitgeber mit einzelnen Arbeitnehmern Fürsorgegespräche führt, die das Ziel haben, Krankheitsursachen und damit zusammenhängende Arbeitsbedingungen zu klären und die Auswahl der Arbeitnehmer keinen abstrakten Kriterien folgt.

Der Fall: Betriebsrat fordert die Unterlassung sog. Fürsorgegespräche

Die Beteiligten streiten um Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Durchführung sog.  „Fürsorgegespräche“. Der Arbeitgeber hat seinen Sitz in N. und betreibt bundesweit ambulante Einrichtungen, sog. Nierenzentren. Dort werden nierenkranke Menschen behandelt und insbesondere ambulant Blutwäschen durchgeführt. In A. wird ebenfalls ein Nierenzentrum mit etwa 44 Mitarbeitern betrieben. Der Beteiligte zu 2) ist der dort gewählte Betriebsrat. Es besteht ein Gesamtbetriebsrat und ein Konzernbetriebsrat.

Am 01.04.2018 nahm im Nierenzentrum A… eine neue Verwaltungsleitung ihre Tätigkeit auf. In einer Betriebsversammlung am 20.12.2018 kündigte diese an, Krankenrückkehrgespräche führen zu wollen. In einem späteren Vortrag zur Umstrukturierung wurde die Absicht angekündigt, Fürsorgegespräche mit Mitarbeitern führen zu wollen, bei denen vermehrt Krankheitstage auftreten. Diese hätten das Ziel, Krankheitsursachen und damit zusammenhängende Arbeitsbedingungen zu klären. In der Folgezeit fanden immer wieder Gespräche mit länger erkrankten Arbeitnehmern statt, allerdings nicht mit allen, die dieses Kriterium erfüllt hatten.

Der Betriebsrat in A fordert den Arbeitgeber auf, dieses zu unterlassen, da die Durchführung solcher Gespräche seiner Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unterliegen würden.

Das Arbeitsgericht lehnte den Antrag des Betriebsrats bereits aus formalen Gründen ab.

LAG Nürnberg: Mitbestimmungsrechte liegen nicht vor

Auch das LAG Nürnberg (Urteil vom 02.03.2021, Az. 7 TaBV 5/20) sah die Anträge des Betriebsrats bereits aus formellen Gründen als unzulässig an, äußerte sich jedoch inhaltlich weitergehend:

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG habe der Betriebsrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Dieses kann der Arbeitgeber kraft seiner Leitungsmacht durch Verhaltensregeln oder sonstige Maßnahmen beeinflussen und koordinieren.

Zweck des Mitbestimmungsrechtes sei es, so das LAG unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BAG, die Arbeitnehmer hieran gleichberechtigt zu beteiligen. Dagegen seien Regelungen und Weisungen, welche die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisieren - das sog. „Arbeitsverhalten“ -, nicht mitbestimmungspflichtig. Wirke sich eine Maßnahme zugleich auf das Ordnungs- und das Arbeitsverhalten aus, kommt es darauf an, welcher Regelungszweck überwiegt.

Ob das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten betroffen ist, beurteile sich nicht nach den subjektiven Vorstellungen, die den Arbeitgeber zu einer Maßnahme bewogen haben. Entscheidend sei der jeweilige objektive Regelungszweck. Dieser bestimme sich nach dem Inhalt der Maßnahme sowie nach der Art des zu beeinflussenden betrieblichen Geschehens (so das BAG in seinem Urteil vom 23.08.2018, Az. 2 AZR 235/18). Im Zusammenhang mit Mitarbeitergesprächen wegen krankheitsbedingten Fehlzeiten hat das BAG dies konkretisiert (Beschluss vom 8.11.1994, Az. 1 ABR 22/94). Danach unterliegen formalisierte Krankengespräche der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.

Formalisierte Krankengespräche hat das BAG bejaht, wenn

  1. die Auswahl der zu den Gesprächen herangezogenen Arbeitnehmer nach abstrakten Regeln erfolgt,
  2. das Gespräch durch einen gleichförmigen Ablauf formalisiert ist und
  3. es um eine betriebliche Aufklärung zur Erkennung der Einflüsse der Arbeit auf den Krankenstand geht.

Nicht der Mitbestimmung unterfällt, so das LAG, danach jedenfalls das fallweise Gespräch mit einem oder mehreren Mitarbeitern in unstrukturierter Form über krankheitsbedingte Ausfallzeiten und eventuelle Einflüsse der Arbeit hierauf. Solche Gespräche würden hier vorliegen.

Wichtig für die betriebliche Praxis. Klare Vereinbarungen vermeiden Streit!

Dieser Fall ist der klassische Beleg dafür, dass Streitigkeiten im Betrieb daraus entstehen können (werden), dass das Arbeitsschutzgeschehen nicht formalisiert stattfindet. Eine Betriebsvereinbarung zum Arbeitsschutz, in der auch Kriterien für Krankenrückkehrgespräche auftauchen können, die zugleich deutlich macht, wie sich diese vom betrieblichen Eingliederungsmanagement (das es bei der hier beklagten Arbeitgeberin auch gab) abgrenzen lassen, würde hier das Problem lösen.

Der Arbeitgeber entging im vorliegenden Fall der Mitbestimmung (und damit einer gerichtlichen Niederlage), weil er beweisen konnte, dass seine Fürsorgegespräche ohne jedes Konzept und vollkommen auf Zufälligkeiten aufgebaut waren. Ob und was solche Gespräche bringen sollen, steht in den Sternen!

Schlagworte zum Thema:  Mitbestimmung, Arbeitsschutz, Rechtsprechung