Aufschieberitis und Prokrastination – Ursachen, Wirkung und Gegenmaßnahmen
Planen oder aufschieben?
Wir müssen an dieser Stelle sehr genau unterscheiden zwischen einer Verschiebung, deren Basis eine zumindest grobe Planung der Aufgaben ist, und einem ungeplanten Aufschieben.
Wenn wir eine Aufgabe planen, richten wir uns nach dem Zeitpunkt, zu dem sie fertiggestellt sein muss. Dann schätzen wir den gesamten Aufwand und verteilen diese Stunden auf die Zeitfenster bis zum Fertigstellungs- / Abgabetermin. Zusätzlich schaffen wir in der Planung einen Puffer, um auch unvorhergesehene Dinge berücksichtigen zu können. Damit ergibt sich die Möglichkeit, den Starttermin bewusst nach hinten zu verlegen. Wir planen den Beginn der Aufgabe für einen späteren Zeitraum und sichern dennoch einen fristgerechten Abschluss.
Diese Planung klingt für aufwändigere Aufgaben wunderbar. Sie gibt uns einen Überblick zu den inhaltlichen Anforderungen und dem jeweiligen Zeitaufwand. Wir schaffen eine Transparenz für die Aufgabe und ermöglichen uns selbst so, die Aufgabenpakete in den Arbeitsalltag einfließen zu lassen. Nun muss man sie nur noch umsetzen.
Aufgaben mit einem Zeitaufwand von wenigen Stunden muss man diesem Procedere nicht unbedingt unterziehen. Es ergibt sich aber schon eine andere Beurteilung, wenn wir eine Fülle von Aufgaben mit jeweils nur wenigen Stunden Aufwand haben. Nun müssen wir planen, wenn wir nicht in die Gefahr geraten wollen, etwas zu vergessen oder unter hohem Zeitdruck erledigen zu müssen.
Das ungeplante Verschieben nennt sich im Fachbegriff Prokrastination. Im Alltag wird es sehr trefflich als „Aufschieberitis“ oder „Arbeit auf die lange Bank schieben“ bezeichnet.
Die Ursachen – Warum schieben wir Aufgaben vor uns her?
Warum soll ich den Report heute beginnen, wenn ich das Ziel auch erreichen kann, wenn ich in 14 Tagen beginne? Selbstverständlich bedeutet dies für uns Flexibilität. Außerdem haben wir das Gefühl von Freiheit – wir können entscheiden, wann wir diese Aufgabe starten.
Leider verleitet uns dies dazu, Aufgaben einfach nur zu verschieben. Wir prüfen nicht, welche Teilaufgaben und welche Recherchen erforderlich sind, um diese Aufgabe zu erledigen. Somit kennen wir auch nicht den vermutlichen Zeitaufwand. Wir schieben sie einfach nur auf – in die Zukunft.
Darin besteht die Hauptursache für das Problem. Inhaltlich ändert sich an den meisten Aufgaben im Zeitablauf nichts mehr. Die Auswertung, der Bericht zum Net Operating Cashflow, das Konzept für den Investitionshaushalt, sie alle werden mit dem Zeitablauf keine Veränderungen in der inhaltlichen Betrachtung erhalten. Allerdings steigt mit jedem Tag der Zeitdruck, weil der Abgabetermin immer näher rückt.
Erlerntes Verhalten aus der Schulzeit
Es gibt sehr verschiedene Ursachen, warum wir anstehende Aufgaben nicht sofort in Angriff nehmen, sondern schieben. Häufig kommt dazu, dass man dieses Verhalten schon aus der Schulzeit kennt. Manche von uns haben die Aufgaben immer auf den letzten Drücker erledigt. In Wochenend- und Nachtarbeit wurde oft das Ergebnis erzielt. Wenn es nun auch noch erfolgreich war, hat das leider unser Verhalten bestätigt und verfestigt.
„Ich muss nicht planen, ich habe es auch so im Griff“.
Prüfen Sie bitte, seit wann Sie selbst dazu neigen, Arbeit auf die lange Bank zu schieben. Überlegen Sie gleichzeitig, wie erfolgreich Ihre Arbeiten waren und in welcher Gefühlswelt Sie sich bei deren Erledigung befanden.
Aufschieben aus Zeitnot
Oft schieben wir angeblich aus Zeitnot. Allerdings löst ein Verschieben das Problem in dieser Situation keinesfalls. Jetzt müssen wir alle Aufgaben betrachten, den Aufwand schätzen und vor dem Hintergrund von Wichtigkeit und Dringlichkeit priorisieren. Um die Zeitnot zu überwinden brauchen wir also einen aktiven Part. Wir müssen analysieren und planen.
Unklares Ziel und kein Zugang zum Thema
Oft wird auch erklärt, das Ziel sei nicht klar. Dann müsste man allerdings ein Gespräch mit dem Auftraggeber führen und genau diesen Punkt klären. Liegenlassen ergibt dabei keine Klarheit. Gleiches gilt, wenn die Erklärung lautet: „Ich habe keinen Zugang zum Thema.“ Eigenes Nachdenken rettet nicht immer die Situation, aber mit Kolleg:innen zu sprechen gibt einen Impuls.
Verschieben verschafft Entspannung
Aufschieberitis ist ein reagierendes und passives Verhalten. Wir verschieben die Aufgabe jetzt einfach ohne nähere Betrachtung und schon stellt sich Entspannung ein. Das Motto „aus den Augen aus dem Sinn“ und einfach nicht daran zu denken führt später aber leider zu noch größerem Zeitdruck.
Hohe Belastung und starker Druck
Eine hohe Belastung und ein starker Druck sind weitere übliche Begründungen für das Aufschieben. Diese Komponenten nehmen uns die Freiräume. Wir fühlen uns getrieben und rasen gefühlt durch den Tunnel, um einfach am anderen Ende anzukommen. In dieser Phase wählen wir Aufgaben, die uns Spaß machen und die zudem leicht von der Hand gehen. Neue oder schwierige Aufgaben verlieren im Wettbewerb und werden geschoben.
Lähmung durch vorangegangenen Misserfolg
Lähmend wirkt sich sicherlich ein vorangegangener Misserfolg aus. Wir haben mit viel Aufwand und Engagement das neue Modell der Kennzahlen erarbeitet, leider dann aber kein Lob, sondern massiven Tadel geerntet. Wenn wir diese Aufgabe nun erneut bearbeiten müssen oder später ähnliche Aufgaben von uns gefordert werden, neigen wir dazu, die Aufgabe zu schieben. So glauben wir, dem möglichen Misserfolg zu entkommen.
Wenn dieser Mechanismus öfter greift, entsteht eine oft lähmende Angst vor den Aufgaben. Wir finden keinen Zugang zu der Aufgabe und geben daher schnell auf. Demotivation ist die Folge und unsere generelle Leistungsfähigkeit sinkt.
Die Ausreden
Aktuell bin ich nicht in der Stimmung für diese Kalkulation.
Im Moment bin ich zu müde, um diese Daten noch auswerten zu können.
Ich habe jetzt dazu einfach keine Lust.
Ich kenne mich doch, ich kann eben nur unter Druck arbeiten.
Leider können wir uns unsere Aufgaben nicht immer aussuchen und nicht jede unserer Aufgaben bereitet uns wirklich Freude. Das ist aber die Realität. In den Ausreden sehen wir jedoch die psychologische Wirkung sehr deutlich. Wenn es mir doch nicht gut geht, kann ich anspruchsvolle Aufgaben bestimmt nicht erfolgreich erledigen. Daher wäre es Zeitverschwendung, wenn ich mich jetzt damit beschäftige.
Wer die Aussage „ich kann nur unter Druck erfolgreich arbeiten“ nutzt, sollte sich verdeutlichen, dass er damit externen Zeitdruck fordert und akzeptiert. Besser ist es dann, sich den Druck selbst zu erzeugen. „Bis zum Abend erledige ich…“, „Bis zum Freitag erledige ich…,“ und ähnliche Zielsetzungen sind hier hilfreich. Wichtig ist dann, sich auch daran zu halten.
Gerne werden auch Aussagen wie „Dafür habe ich jetzt zu wenig Zeit“, „Es lohnt sich für die 20 Minuten nicht, mit der Kalkulation zu beginnen“ genutzt. Darin zeigt sich allerdings deutlich die misslungene Planung. Die anstehende Aufgabe wird nur als ganzes Paket gesehen, statt in möglichen Arbeitsschritten. Für die Investitionsrechnung brauche ich 3,5 Stunden – jetzt habe ich aber nur 20 Minuten. Eine nachvollziehbare Erklärung, aber leider dennoch nicht zielführend.
Die Wirkung – niedrigere Qualität
Vermeintlich haben wir jetzt Zeit für andere Dinge, weil die Aufgabe ja verschoben ist. Real erleben wir die Freizeit nicht wirklich. Denn im Hinterkopf ist ständig der Gedanke an die anstehende Aufgabe und das Monatsmeeting mit der Geschäftsführung rückt ständig näher. Die gewonnene Zeit können wir daher nicht zwangsläufig genießen.
Wir suchen uns auch gerne – oft unterbewusst – Ersatzaufgaben, die auf jeden Fall verhindern, sich um die anstehende Aufgabe zu kümmern. „Die Excel-Tabelle wollte ich schon lange aktualisieren; dringend muss ich mich über das neue Kennzahlensystem mit den Kollegen austauschen. Alles wichtiger als die eigentliche Aufgabe.“ Privat erledigen wir dann sogar Aufgaben, die uns sonst nie einfallen würden, wie etwa Putzen, Regale umsortieren, alte E-Mails löschen oder alte Zeitschriften lesen.
Leider nimmt der Druck mit jedem verstrichenen Tag zu. Die Aufgabe wird dann gegebenenfalls in einer Nacht- und Nebel-Aktion erledigt. Jetzt sind wir unheimlich schnell in der Bewältigung der Aufgabe. Der Bericht geht auf einmal leicht von der Hand. Für viele von uns ist es dann einfacher, weil wir klar zielorientiert sind und der enorme Zeitdruck den Ausflug in Randthemen verhindert. Wir lassen uns durch nichts mehr ablenken. Wir verzetteln uns nicht und bleiben eng am Thema. Leider nur oberflächlich, weil für mehr keine Zeit bleibt. Nur so können wir das Ziel überhaupt noch erreichen.
Wir können eindeutig festhalten: die Qualität der Leistung wäre höher, wenn wir geplanter arbeiten würden.
Die Lösung – in Etappen denken und loslegen
Sie klingt einfach, ist aber der einzige Weg zum Erfolg: Wir müssen mit der Arbeit sofort beginnen! Der Beginn ist immer eine Planung und Strukturierung der Inhalte dieser Aufgabe und eine Aufwandsschätzung. Jetzt können wir die Teile in die kommenden Tage und Wochen einplanen.
Wir denken die Aufgabe nicht mehr als undurchdringliches Gesamtpaket, sondern als Etappen, die wir sehr gut bewältigen können. Die Etappen können dabei auch unterschiedlich zeitaufwändig sein. Wenn wir nun ungeliebte Aufgaben vor uns haben, werden wir mit sehr kleinen Etappen beginnen. So erlangen wir den Zugang zum Thema und gleichfalls haben wir Erfolgserlebnisse, die uns die Motivation für die nächsten Schritte liefern.
Dieses Vorgehen wird als Salami-Taktik oder Schweizer-Käse-Methode bezeichnet. Der große 30 kg schwere Käse ist für das Frühstücksbuffet nicht wirklich appetitlich vorbereitet. Wenn er aber in Scheiben oder kleine Stücke zerlegt ist, greifen wir gerne zu.
Übertragen wir es auf eine unserer Aufgaben:
Das Ziel: ein neues Reporting-Konzept. Eine umfangreiche und gleichzeitig herausfordernde Aufgabe. Wenn wir nun mehrere Schritte definieren, wird sie auf einmal zugänglich, überschaubar und erscheint uns lösbar. Wir nehmen uns eine Viertelstunde Zeit und notieren unsere Gedanken und die erhaltenen Informationen zu Mängeln bei den aktuellen Reports. In einem nächsten Schritt sammeln wir die schon geäußerten Wünsche. Dann notieren wir Punkte für einen grundsätzlichen Aufbau. Und so geht es weiter, bis das finale Konzept fristgerecht abgeschlossen und vorgestellt werden kann.
Wie kann ich mich zusätzlich motivieren?
Setzen Sie sich bei jeder Aufgabe ein zeitliches Limit. Es fällt uns sicherlich nicht schwer, mehrfach am Tag solche Einheiten zu einem Thema einzubauen. Wir dürfen uns also nicht vornehmen, etwas fertig zu stellen, sondern uns für eine Zeitdauer von x mit der Sache zu beschäftigen. Nach Ablauf der Zeit halten wir die Ergebnisse fest und widmen uns einer anderen Aufgabe. Wir schaffen es bestimmt, uns für eine Zeiteinheit von 15 oder 20 Minuten für eine Sache zu motivieren und den Ablenkungen zu widerstehen. So gelingt es uns auch den Kreislauf der Aufschieberitis zu durchbrechen.
Fazit
Bei ungeliebten und schwierigen Aufgaben schieben wir diese gerne vor uns her. In der Phase, in der die Aufgabe geschoben wird, fühlen wir uns oft unwohl, weil wir sehr genau wissen, dass wir eigentlich an dieser Aufgabe arbeiten müssten. Durchbrechen können wir den Mechanismus nur, wenn wir die Aufgaben sofort beginnen und durch eine geeignete Planung in überschaubare Etappen zerlegen und konsequent in kleinen Zeiteinheiten abarbeiten.
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