Technologischer Fortschritt bedeutet höhere Komplexität
Harald Neidhardt, CEO und Kurator des futur/io Institute, ist sich sicher: „Es kommen verschiedene Technologien, die uns alle betreffen werden, aber derzeit noch nicht sichtbar sind“. Der Trend der technologischen Entwicklung geht in Richtung der Nano-Technologie und synthetischen Biologie. Immer komplexere und ausgereiftere Technologien werden auf kleinste Größen reduziert und folgen damit dem Moore‘schen Gesetz. Dadurch können diese Technologien in Zukunft in immer mehr Bereichen Anwendung finden. Neue Materialien, wie Upsalite, einem zufällig entdeckten Material mit stark feuchtigkeitsabsorbierenden Fähigkeiten, können in Zukunft reale Anwendung finden. Neuartige Möglichkeiten aus der Bio-Technologie werden zukünftig Auswirkungen auf unser Leben haben, so z. B. die CRISPR-Methode, welche das gezielte Verändern von Genen ermöglicht, oder die Entwicklung von biologischen Speichern. Wie Neidhardt am Beispiel des Nanocar Race, dem kleinsten Rennen der Welt auf molekularer Basis, zeigt, können auch abstrakte Visionen realisiert und umgesetzt werden.
Mobiler Lifestyle - Wie die Technologie uns beeinflussen kann
Durch den kontinuierlichen technologischen Fortschritt (s. Abb.1) stellt sich auch die Frage, welche Auswirkungen und Einflüsse dieser Fortschritt auf unser Leben haben wird. Zu Beginn seines Vortrags stellt Neidhardt dem Publikum die Frage, wie das Smartphone im Jahre 2020 aussehen könnte. Digitale Entwicklungen und neue Materialien lassen die Vision eines dezentral im menschlichen Körper verbauten Smartphones durchaus zu. So werden die einzelnen Funktionen gezielt dort am Körper angesetzt, wo diese auch benötigt werden. Dadurch wird die Linse direkt am Auge und Sensoren oder Chips am Mund oder am Ohr eingesetzt. Schon heute gibt es bereits sogenannte Body und Lenseless Sensors, die um ein vielfaches kleiner als die gegenwärtig genutzten Sensoren sind. Durch das Kombinieren verschiedener Technologien ist daher den Möglichkeiten kaum Grenzen gesetzt. Die Frage bleibt jedoch, inwieweit wir den Einfluss der Technik zulassen.
Desirable Futures - Wie wollen wir in Zukunft leben?
Bei den vorgestellten Entwicklungen bleibt offen, wie wir in Zukunft leben möchten und wie wir die „Desirable Futures“ definieren. Es geht darum, das Undenkbare zu denken und sich etwas zu gestalten wovon es bislang noch keine Pläne, jedoch Visionen und Vorstellungen gibt. Die Gesellschaft wird definieren müssen, wie sie in Zukunft leben möchte. In diesem Rahmen beschäftigt man sich mit Konzepten zur Smart City und der Mobilität, die das Leben in urbanen Räumen neu gestalten. Am Beispiel eines Projekts in Hamburg stellt Neidhardt die Umsetzung und Innovationen einer Smart City in einem neuen Wohngebiet in der Hansestadt vor. Sharing Economy spielt dabei, vor allem im Bereich der Mobilität, eine immer wichtigere Rolle. Der Besitz eines Autos wird dabei durch Car-Sharing Modelle, wie es sie bereits heute in deutschen Großstädten gibt, überholt werden. Ein sogenannter Vision Van kann in Zukunft die Paketlieferungen vereinfachen, indem er für die kostenintensive „letzte Meile“ Drohnen einsetzt. Dies sind nur einige Beispiele, die in Zukunft umgesetzt werden können. Allerdings wird auch in Frage gestellt, ob das Konzept der Smart City in Zukunft die einzige Lösung sei oder es Alternativen gebe. Das Konzept des digitalen Dorfes, welches die Digitalisierung und Vernetzung der ländlichen Räume fördert, könnte die Attraktivität der ländlichen Räume steigern und gegen die Abwanderung und den demographischen Wandel auf dem Land wirken.
Europa muss sich zusammenschließen
Im Bereich der technologischen Entwicklung sieht Neidhardt die Gefahr, dass Europa von anderen Regionen der Welt abgehängt wird. Bereits heute befinden sich die größten und wertvollsten Plattformen in den USA und Asien. Neidhardt betont, dass sich Europa zusammenschließen müsse, um beim technologischen Fortschritt mit diesen Regionen mithalten zu können. Während in Neidhardts Augen die Voraussetzungen und das Know-how vorhanden seien, fehle es derzeit noch an konkreter Positionierung und Zielsetzung. Dabei zähle auch, eine neue „Dream Big“ Mentalität aufzubauen und Pioniergeist zu etablieren.
Zur Inspiration erzählte der Referent die Geschichte von Robert Böhme, der mit seinem internationalen Team die Raumfahrtbranche revolutionieren möchte. Angefangen als privater Teilzeitwissenschaftler, im Rahmen eines Wettbewerbs und einer skurrilen Idee, baut das Team um Robert Böhme derzeit an einem eigenen, privaten Mondfahrzeug. Diese Geschichte gilt auch als Aufforderung an die europäische Gesellschaft, in Zukunft groß zu denken und diesen Pioniergeist zu verinnerlichen, um weiterhin Fortschritt zu erzielen und nicht vollständig von den anderen Regionen der Welt abgehängt zu werden.
Der Mensch gestaltet die Zukunft und definiert den Fortschritt
Außer Frage steht also, dass der technologische Fortschritt Leben und Alltag beeinflussen und weiterhin verändern wird. Dennoch ist es an den Menschen, diese Zukunft mitzugestalten und wünschenswerte Zukunftsbilder für sich zu definieren. Im globalen Kontext ist es für Europa entscheidend, gegenüber Amerika und Asien aufzuholen und sich Ideenreichtum und Innovationsgeist zunutze zu machen.