Von 28 Paar Schuhen zu 18 Millionen Produkten
OTTO wurde 1949 von Werner Otto gegründet und brachte 1950 einen ersten Schuhkatalog mit 28 Paar Schuhen auf 14 Seiten heraus (dieser kann durch Glasscheiben geschützt auch heute noch bestaunt werden). Inzwischen können bei OTTO.de 18 Millionen Produkte von mehr als 34.000 Marken und über 6.500 Anbietern bestellt werden. 11,7 Millionen Kunden nutzen das breite Angebot gerne und bestellen bis zu 35-mal pro Sekunde auf der Website.
OTTO hat sich dabei selbst neu erfunden: das Unternehmen war viele Jahre als reiner (Online-) Händler am Markt, hat den Onlinehandel 2020 aber auch für andere Marken und Partner geöffnet. Seitdem ist OTTO nicht mehr nur Händler, sondern auch Plattform. Der Fokus soll künftig nicht mehr allein auf dem B2C-Geschäft liegen - insbesondere die B2B-Umsatzströme sollen ausgebaut werden.
Herausforderung der Weiterentwicklung zu einer Plattform
OTTO musste dafür einige Hürden meistern: Einerseits müssen die Veränderungen des Geschäftsmodells auch im Steuerungsmodell des Unternehmens abgebildet werden. Fragen, die es nun zu beantworten gilt, sind beispielsweise:
- Welchen Erfolgsbeitrag erzielen wir mit welcher Aktivität?
- Welche Produkte verkaufen wir selbst, welche sollen besser von anderen Händlern auf unserer Plattform verkauft werden?
- Wie viel Geld verdienen wir mit dem neuen Plattform-Ansatz?
Darüber hinaus muss OTTO Anforderungen des Kartellrechts beachten und beispielsweise den "Händler OTTO" auf der Plattform gleich behandeln, wie jeden anderen Partner. Dies hat zahlreiche Implikationen, zum Beispiel dass Mitarbeiter der Handelseinheit keine oder nur sehr eingeschränkte Einblicke in die Daten des Plattformgeschäfts bekommen dürfen.
Definition der Geschäftsfelder
Um die Veränderungen des Geschäftsmodells im Steuerungsmodell abzubilden, hat OTTO seine Geschäftsfelder neu strukturiert: "Handel" und "Plattform" sind die beiden übergreifenden Bereiche, wobei sich der Bereich "Plattform" weiter unterteilt in
- B2C-Geschäft Waren (andere Unternehmen verkaufen Waren auf OTTO.de),
- B2C-Geschäft Service (OTTO bietet bspw. Langzeitgarantie, Anschlussservice oder Altgeräte-Rücknahme an) und
- B2B-Geschäft (OTTO bietet Werbemöglichkeit für andere Unternehmen).
Die folgende Abbildung zeigt die interne Steuerungsstruktur. Um die oben genannten Steuerungsfragestellungen beantworten zu können, ordnet OTTO nun jede Kosten- und Ertragsbuchung einem der vier Geschäftsfelder zu. So kann der Erfolg je Geschäftsfeld berechnet werden.
Durchgehende Deckungsbeitragsrechnung COIN
Zentrales Steuerungsinstrument bei OTTO ist COIN, das im Wesentlichen eine mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung ist. Für jedes Geschäftsfeld wurden passende Schemata der Deckungsbeitragsrechnung definiert, die den Besonderheiten des Geschäftsmodells gerecht werden, sich aber auch zu einer gesamtheitlichen Deckungsbeitragsrechnung aggregieren lassen (in stark vereinfachter Form auf dem folgenden Bild dargestellt). So hat das Unternehmen Transparenz über den Erfolg einzelner Unternehmensteile, aber auch über den Erfolg des gesamten Unternehmens.
Zentrales Berichtswesen ergänzt um dezentrale Flexibilität
OTTO greift für die Unternehmenssteuerung auf ein sehr großes Datenmodell zurück, ein paar Zahlen verdeutlichen dies:
- Die durchschnittlichen täglichen Bestellpositionen liegen bei über 300.000.
- COIN verarbeitete allein 2023 ca. 457 Millionen Datensätze.
- Das laufende Geschäftsjahr wird täglich neu berechnet.
- Das Kennzahlensystem umfasst über 700 analysierbare Kennzahlen und mehr als 250 Merkmale für die Analyse.
Dafür werden verschiedene Datenquellen (bspw. Daten der Lagersysteme, Website-Daten, Daten des Kundencenters, usw.) angezapft, aus denen die wichtigsten Daten – jedoch längst nicht alle – in COIN genutzt werden.
Die gewaltige Datenbasis ist bei OTTO grundsätzlich für alle relevanten Stellen frei verfügbar (im Rahmen der kartellrechtlichen Einschränkungen). Die einzelnen Bereiche sollen bewusst auf die Daten zugreifen und auch Reporting-Lösungen beziehungsweise Dashboards, die auf spezifische Anforderungen zugeschnitten sind, aufbauen dürfen.
Jedoch gibt es auch Standardberichte, die von der zentralen Controllingabteilung in Power BI bereitgestellt werden. Diese werden auf einer Einstiegsseite gebündelt zur Verfügung gestellt und enthalten die wichtigsten Informationen für die Geschäftsfelder (teilweise tagesaktuell). PDF-Berichte werden bei OTTO nicht mehr versandt, Berichtsempfänger können direkt auf die Dashboards zugreifen.
Zukunftsaussichten und kontinuierliche Verbesserung
Zum Abschluss des Vortrags gaben die Referierenden einen Ausblick auf die zukünftigen Entwicklungen im Bereich des Reportings bei OTTO. Sie betonten dabei die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Verbesserung und Anpassung der Tools und Systeme, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. COIN muss ständig weiterentwickelt werden, um den Mitarbeitern die besten Werkzeuge zur Verfügung zu stellen und sicherzustellen, dass OTTO auch in Zukunft datengetriebene Entscheidungen treffen kann.
Außerdem sollen neben der retrospektiven Berichterstattung künftig auch KI-basierte Prognoselösungen für Einkauf, Logistik und den Finanzbereich zur Verfügung gestellt werden, die bessere und automatisierte Vorhersagen der Zukunft möglich machen. In manchen Bereichen und Fragestellungen wird KI bereits eingesetzt, in anderen (funktioniert dies) noch nicht. Hier besteht jedoch die Hoffnung, dass die Weiterentwicklung der Technologien in den nächsten Jahren weitere Verbesserungen mit sich bringt.
Fazit: Der Vortrag auf der Fachkonferenz Reporting 2024 bot einen interessanten Einblick in die Herausforderungen und Lösungen des datengetriebenen Reportings bei OTTO. Eine umfassende Datenbasis und die darauf aufbauende mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung bilden den Kern der Unternehmenssteuerung. Das zentrale Berichtswesen setzt Standards und ist der Single Point of Truth. Dennoch ist die Datennutzung demokratisiert und die verschiedenen Bereiche sollen Daten auch eigenständig nutzen.