Wie steht es eigentlich um das Thema „Verhaltensorientierung im Controlling“?
Kern der Rationalitätssicherung im Controlling
Das Thema Verhaltensorientierung hat im Controlling eine lange Tradition. Wer kennt nicht die Wortspiele „Logik und Psycho-Logik“ oder „über und unter dem Tisch“ von Albrecht Deyhle? Verhaltensorientierung war vor einem knappen Jahrzehnt Schwerpunktthema der ICV Ideenwerkstatt. Sie ist Kern der rationalitätssicherungsorientierten Controllingsicht: Ohne Rationalitätsdefizite gibt es keinen Sicherungsbedarf. Defizite liegen nicht nur auf der Ebene des Wollens (opportunistisches Verfolgen eigener Ziele), sondern auch auf der Könnensseite der Manager vor (mangelndes Wissen, Fehler in der Anwendung des Wissens).
Biases und Emotionen berücksichtigen
Verhaltensorientierte Themen stehen aktuell in der Forschung hoch im Kurs, viele davon unter dem mittlerweile gut bekannten Begriff der Biases eingeordnet. Die Forschung zeigt auch, dass wir solchen Biases nicht hilflos ausgeliefert sind. Es besteht ein breites Spektrum von Möglichkeiten, um das Auftreten und/oder die Fehlerwirkungen von Biases zu reduzieren. Daneben kommen aktuell auch Emotionen mehr und mehr in den Fokus – mit spannenden Ergebnissen: So fällen z.B. Richter vor dem Mittagessen härtere Urteile als danach. Vielleicht sollten Manager Abweichungsgespräche mit ihren Controllern nur nach dem Mittagessen einplanen?
Der große Durchbruch ist ausgeblieben
Verhaltensorientierung ist auch in der Praxis kein Fremdwort mehr. Ein bekanntes Beispiel liefert die RWE, die sich nach diversen Fehlentscheidungen Rat bei einer großen internationalen Unternehmensberatung geholt und mit dieser einen ganzen Katalog von Gegenmaßnahmen entwickelt hat. Dafür gewann RWE den ControllerPreis 2015. Das ist allerdings noch eher die große Ausnahme denn ein einträgliches Beratungsgeschäft. Bis heute ist der Verhaltensorientierung im Controlling der große Durchbruch nicht vergönnt gewesen.
- Manche Manager sehen das Thema – wenn überhaupt – eher in der HR verortet.
- Andere haben bei bisherigen Versuchen schlechte Erfahrungen gesammelt („DebiasingTechniken sind hauptsächlich ein Ritual der Legitimierung“).
- Wieder andere sehen sie eher als eine Spielerei, für die sie keine Zeit haben.
Und noch ein weiterer wichtiger Grund liegt auf der Hand: Die Management-Aufmerksamkeit wird aktuell durch ein anderes Thema in den Unternehmen stark gebunden: durch die Digitalisierung. Die Auseinandersetzung damit gilt als „alternativlos“ – und ist es in meinen Augen auch.
Hilfestellung kommt auch nicht von der Ausbildungsseite: In die Lehre an den Hochschulen scheint das Thema Verhaltensorientierung noch nicht ausreichend Eingang gefunden zu haben. Zumindest können wir in den regelmäßigen Seminaren für Nachwuchscontroller von unseren Partnerunternehmen keinen großen Wandel der Vorkenntnisse feststellen. Jeder kennt das Activity Based Costing, kaum jemand die wichtigsten Debiasing-Techniken.
Neue Sichtweisen und Einstellungen können nur langfristig verankert werden
Ist das enttäuschend und unerwartet? Ich meine nein! Analytische Instrumente lassen sich ziemlich schnell einführen; solche, die eine grundlegende Veränderung der Sichtweisen und Einstellungen von Menschen betreffen, brauchen dagegen für ihre Verankerung sehr viel Zeit. Das zeigt sich auch bei den analytischen Instrumenten, und zwar in deren Nutzungsphase: Ob sie dann wirklich dazu führen, dass die Manager besser entscheiden und steuern, ist fraglich – die Unternehmenswelt ist bei näherem Hinsehen voller Instrumentenruinen! Und auch die angesprochene Digitalisierung bestätigt diese Erkenntnis: Gerade Unternehmen, die auf dem Weg der Digitalisierung schon ein gutes Stück vorangekommen sind, betonen, wie wichtig kulturelle Fragen für den Erfolg der neu geschaffenen Möglichkeiten sind.
Dass es so langsam mit dem Thema Verhaltensorientierung im Controlling vorangeht, ist also nicht verwunderlich. Allerdings bedeutet dies nicht, dass man auf die Geschwindigkeit der Umsetzung gar keinen Einfluss hat. Und auch hier gilt die Erkenntnis: Wer später anfängt, ist auch später fertig! Setzen Sie das Thema deshalb auf Ihre Agenda, auch wenn dort schon jetzt sehr viel steht!
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