Im ersten Teil des Vortrages erläuterte Sven Krüger, in welchem Ausmaß bereits heute Wertschöpfung durch Künstliche Intelligenz (KI) generiert wird. Als Auftakt zeigte er das Beispiel des Finanzdienstleisters Klarna, der Ende 2023 entschieden hat, aufgrund des erfolgreichen Einsatzes von KI, bis auf Weiteres keine neuen Mitarbeiter einzustellen, was laut Krüger faktisch einem sukzessiven Personalabbau von 20% der Belegschaft entsprechen würde.
Digitale Technologieriesen mit rasanter Wertsteigerung
Anhand der bisher erfolgreichen digitalen Geschäftsmodelle von Google (Search) und Amazon (Retail), die schon seit geraumer Zeit KI einsetzen, werde deutlich, welches Geschäftsvolumen in diesem Zweig der digitalen Transformation stecke. Als Beleg verwendet Krüger u.a. die schnelle Adaption digitaler Technologien, die jüngst durch das Erreichen von 100 Millionen Nutzern in nur zwei Monaten durch ChatGPT einen neuen Rekord erreichte. Krüger zeigte auf, dass im Rahmen dieses Wandels in den vergangenen Jahrzehnten eine massive Verschiebung der dominierenden Sektoren weg von Mineralöl- und Industriekonzernen hin zu digitalen Technologieriesen stattgefunden habe. Als Beispiel der Dimensionen: Ende März 2023, so Krüger, betrug der kumulierte Wert der fünf Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung an der New Yorker Börse, (Alphabet, Amazon, Nvidia, Apple und Microsoft) mehr als 11,6 Billionen US-Dollar, was dem 2,6-fachen des deutschen Bruttoinlandsproduktes von 2023 entspreche.
Mehr als nur ein Hype: Die Durchdringung der Wirtschaft durch KI
Einer der aktuellen Treiber der rasanten Wertsteigerung sei generative KI. Das Gros der globalen Wertschöpfung, die im Wesentlichen auf digitalen Plattformen stattfinde, konzentriere sich dabei zu 80% in US-amerikanischen Unternehmen. Deutsche Unternehmen spielten in diesem internationalen Vergleich aktuell so gut wie keine Rolle. Einzig SAP bilde eine Ausnahme, die jedoch in dem gerade einmal 2,2% des globalen Wertes ausmachenden Block europäischer Unternehmen so gut wie untergehe. Die Schlussfolgerung des ersten Teils lautete, dass KI und insbesondere generative KI schon jetzt fast alle Spitzenpositionen der Unternehmensbewertungen beeinflussen würden, obwohl die Technologie immer noch erst am Anfang ihrer Entwicklung stehe. Hier haben wir es laut Krüger nicht mit einem Hype zu tun, sondern mit einer langfristigen wirtschaftlichen Veränderung.
Sollte in Deutschland und Europa kein deutlicher Wandel der Geisteshaltung in Bezug auf Innovation und Investition in Innovation einsetzen, so könne der Vorsprung der amerikanischen Unternehmen dauerhaft nicht aufgeholt werden.
Der aktuelle Stand der KI: Von Turing zu Transformer
Der zweite Teil der Präsentation ging auf die Wurzeln und technologischen Grundlagen Künstlicher Intelligenz ein und zeigte schematisch die Funktionsweise von KI und generativer KI in Form der aktuell so erfolgreichen "großen Sprachmodelle" (Large Language Models, LLM) sowie beispielhaft einige reale Anwendungsfälle in Unternehmen.
Multimodale KI-Modelle
Beginnend bei Alan Turings wegweisender Arbeit Computing Machinery and Intelligence von 1950, in der er die Frage stellt "Können Maschinen denken?", über die von John McCarthy 1955 initiierte Dartmouth Conference, in denen die Fundamente der heutigen KI gelegt wurden, spannte Sven Krüger den Bogen bis hin zu dem Meilenstein der Entwicklung der sogenannten Transformer-Modelle in der Arbeit Attention is all you need von 2017 durch Entwickler von Google. Er erklärte überblicksartig die Entwicklung hin zu neuronalen Netzen, die eine grob vereinfachte Nachbildung der Wirkungsweise des menschlichen Gehirns darstellten. Heute seien multimodale Modelle State of the Art - diese sind also in ihrem Input und Output zwischen verschiedenen Formaten (Texte, Bilder, gesprochene Sprache, Code usw.) variabel. Diese sogenannten "Foundation Models", große vortrainierte KI-Modelle, böten eine breite Wissensbasis und könnten z.T. für spezifischere Aufgaben verwendet und verfeinert — "getuned" — werden.
Krüger erläuterte, dass die Tatsache, dass ChatGPT viele der gängigen Wissens- und Zulassungstests, z.B. für amerikanische Hochschulen, insgesamt erfolgreicher bestehe als Menschen, ein Grund für die Vielzahl dystopischer Meldungen rund um KI sei, von denen sich Unternehmen aber nicht ablenken lassen sollten. Künstliche Intelligenz sei ein breites Toolset, mit dem mehr Produktivität und Effizienz erreicht werden könne. Zu den vielen bereits seit Monaten verfügbaren Anwendungsfällen zähle Grafiksupport durch generative KI wie z.B. Dall-E, Midjourney oder Integrationen in Canva oder Adobe Photoshop. Ebenso gängig seien fotorealistische Abbildungen frei erfundener Personen, zunehmend auch in Bewegtbild. Die ersten dieser Charaktere, z.B. Lil´Miquela, seien bereits seit einiger Zeit als sogenannte virtuelle Influencer im Netz anzutreffen.
Gezielter Einsatz von KI-Tools
Viele Unternehmen nutzten KI-Tools, insbesondere in Bereichen wie Social Media und Marketing, z.B. um Inhalte gezielt zu erstellen und zu verbreiten, für größere Reichweite und bessere Interaktionen. Krüger zeigte, dass KI auch im Finanzsektor schon vielseitig eingesetzt werde, von Datenanalyse und Prognose über Prozessautomatisierung bis hin zur Betrugserkennung. Viele Unternehmen, z.B. die Deutsche Bahn, Schaeffler und Bosch arbeiteten zudem an eigenen GPT-Modellen, die spezifisch auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten seien. Zu den schon seit längerem produktiven Anwendungen zähle „Jim“, der Chatbot der Lemonade Versicherung, der autonom Schadensfälle online reguliert. Das System hält aktuell den Rekord für die schnellste Schadensabwicklung — innerhalb von zwei Minuten von der Einreichung der Daten über die App bis zur Auszahlung der Versicherungssumme.
Anpassung der Organisation: Strategien für die Zukunft
Der dritte Teil der Präsentation drehte sich darum, dass Organisationen und Führung sich an die Veränderungen, die durch Künstliche Intelligenz getrieben werden, anpassen müssten. Sven Krüger erörterte, warum das so sei und wie die Anpassung gelingen könne.
Die Notwendigkeit der Adaption ergebe sich aus verschiedenen nachweisbaren Trends. Unter anderem glauben 75% der befragten CEOs, dass ein zukünftiger Wettbewerbsvorteil eng mit einer gut entwickelten generativen KI verknüpft sei. Auf Unternehmensseite entstehe so der Druck, KI in so vielen Bereichen und Ebenen wie möglich einzusetzen. Dem gegenüber stünden jedoch eine Menge von Risiken und ungelöster Fragestellungen, z.B. hinsichtlich Datenschutz, Compliance, Strafen, Intransparenz, ethischer Bedenken etc. Aus Managementsicht solle der Einsatz von KI vor allem Produktivität und Effizienz steigern und sei in Konsequenz mit dem Trend zum Abbau von Stellen verbunden, wie schon das Beispiel von Klarna zeigte.
Probleme beim Einsatz von KI
Eine von Horváth durchgeführte Studie identifizierte bei der Potenzialerschließung von KI u.a. fehlende Kenntnisse im Aufbau und der Anwendung der Technologie in den Unternehmen. Aus der Perspektive der Angestellten ergeben sich Fragen und z.T. Besorgnis um die weitere Entwicklung ihrer Beschäftigung. Entsprechend, konstatiert Krüger, ist eine Einführung von (generativer) künstlicher Intelligenz in Unternehmen immer auch ein Change-Thema und führe mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass sich mit der technischen Innovation auch die Organisation erneuern müsse.
Hier entstehe meist die Schwierigkeit, dass einerseits die neuen Prozesse und Systeme nicht parallel von den Menschen entwickelt werden können, die das laufende Tagesgeschäft regeln, andererseits die Ausgliederung der Change Projekte in Hubs, Labs etc, oft später zu einer Abwehr bzw. Abstoßung des Neuen durch die etablierte Organisation führten. Dies sei in der immer wieder zu beobachtenden Ablehnung und Resilienz von Menschen gegenüber Veränderungen begründet. Letztere dauerten genau darum oft sehr lange, bis sie erfolgreich etabliert seien. Als Lösung schlug Krüger das Etablieren zweier paralleler, jedoch unterschiedlicher Betriebsmodi im Unternehmen vor: Einen operativen Modus für das laufende Geschäft und einen zukunftsgerichteten Modus für innovative Experimente und Entwicklungen. Diese Modi sollten zwar von denselben Personen umgesetzt, jedoch strikt voneinander getrennt sein, um Stabilität und Innovationskraft gleichermaßen nachhaltig zu gewährleisten.
Mitarbeiter im Wandel begleiten
Ein wesentlicher Punkt in Krügers Vortrag war die Notwendigkeit, die Mitarbeiter in diesem Wandel von Anfang bis Ende zu begleiten, um Vorbehalten besser begegnen zu können. Dies könne durch Schulungen, die Bildung von übergreifenden Change-Teams, die Festlegung klarer Regeln und die Initiierung kleiner Projekte geschehen. Letztlich solle der iterative Prozess des Lernens und Wachsens gefördert werden, um eine nachhaltige und erfolgreiche Integration von KI in die Unternehmensstruktur zu gewährleisten.
Fazit: Die Zukunft der Unternehmenssteuerung
Die Keynote von Sven Krüger auf dem "Forum digitale Unternehmenssteuerung" bot aufschlussreiche Einblicke in die gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen künstlicher Intelligenz und arbeitete heraus, warum KI weit mehr sei als ein vorübergehender Trend; sie durchdringe die Wirtschaft und habe das Potenzial, Geschäftsmodelle grundlegend zu verändern. Unternehmen müssten sich dieser Herausforderung stellen, indem sie ihre Organisationen anpassen und ihre Mitarbeiter in den Wandel einbeziehen. Nur so könne das volle Potenzial von KI ausgeschöpft werden, um nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu erzielen.