Außerplanmäßige Abschreibungen im Jahresabschluss 2019/2020 und 2020 nach HGB
Wertbegründendes Ereignis: Bewertungsanpassungen erst für Stichtage nach dem 31.12.2019 möglich
Da zum Stichtag 31.12.2019 keine objektiven Anhaltspunkte für eine Wertminderung von Vermögensgegenständen vorlagen, bestand keine Möglichkeit, die später ggf. offenbar werdenden ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie bereits in den damaligen Stichtagswerten als wertaufhellende Ereignisse einzustufen, vgl. dazu den Fachlichen Hinweis des IDW vom 3.4.2020.
Vielmehr ist von einem wertbegründenden Ereignis für das Geschäftsjahr 2020 auszugehen. Spätestens für Abschlüsse ab dem Stichtag 29.2.2020 dürfte somit die Herausforderung bestehen, die Folgen der Pandemie nicht nur
- im Nachtragsbericht des Anhangs und
- im Prognose- sowie Risiko- und Chancenbericht des Lageberichts zu beschreiben, sondern ggf. bereits
- als Abschreibungen von Vermögensgegenständen und/oder als drohende Verluste in den Rückstellungen
zu berücksichtigen. In diesem Fall reicht die Berichterstattung im Nachtragsbericht nicht aus, da dann spätestens für die Stichtage der Abrechnungsperioden (auch Zwischenmitteilungen und Halbjahresfinanzberichte kommen in Betracht) neben der Erfassung der operativen, ggf. durch die Coronakrise beeinflussten Geschäftsvorfälle die Vermögensgegenstände auf außerplanmäßige Abschreibungen hin zu überprüfen sind.
Hier gilt, dass im Anlagevermögen (z.B. Maschinen) von einer Dauerhaftigkeit einer Wertminderung ausgegangen werden muss, für Vermögensgegenstände des Umlaufvermögens (z.B. Vorräte oder Forderungen) ist dagegen jede Wertminderung erfolgswirksam zu erfassen. Zudem ist auch zu überprüfen, ob Rückstellungen zu bilden sind, etwa für drohende Verluste, da bestimmte Verträge nicht mehr durch die Kontaktsperre und Reisebeschränkungen kostendeckend erfüllt werden konnten.
Außerplanmäßige Abschreibungen sind auf alle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens vorzunehmen, wenn voraussichtlich dauerhafte Wertminderungen vorliegen. Das HGB fordert dabei den Ansatz des beizulegenden Werts für den Vermögensgegenstand am Abschlussstichtag, sofern dieser niedriger ist als der ggf. um planmäßige Abschreibungen reduzierte Buchwert. Nur für die Vermögensgegenstände des Finanzanlagevermögens sind auch Wertminderungen bei lediglich vorübergehender Wertminderung erlaubt, die dann allerdings nicht in die steuerliche Gewinnermittlung übernommen werden dürfen.
Beizulegender Wert: keine Definition im HGB
Der beizulegende Wert wird im HGB, anders als nach den IFRS, nicht definiert. In den IFRS wird nach IAS 36
- der Buchwert im Rahmen des Wertminderungstests verglichen mit dem höheren von
- Nutzwert (Welchen Nutzen kann das Unternehmen noch aus dem Vermögensgegenstand ziehen?) und
- Nettoveräußerungswert (Für welchen Preis könnte der Gegenstand verkauft werden, abzüglich der zur Veräußerung ggf. nötigen Aufwendungen?).
In der deutschen Praxis werden zur Bestimmung des beizulegenden Werts dagegen folgende Möglichkeiten diskutiert (vgl. Heusinger-Lange, in Haufe HGB Bilanz Kommentar, 11. Aufl. 2020, § 253, Rz. 220 ff.):
- Wiederbeschaffungs(zeit)wert: Unter dem Wiederbeschaffungswert wird der Wert verstanden, zu dem ein gleichartiger (ggf. gebrauchter) Vermögensgegenstand am Markt erworben werden könnte. Da in der Corona-Pandemie viele Märkte nur eingeschränkt funktionieren, d.h. ggf. die Preise durch Über- oder Unterangebot verzerrt sein können, gestaltet sich die Ermittlung als schwierig.
- Rekonstruktionswert: Für Vermögensgegenstände, für die kein Beschaffungsmarkt existiert (z. B. selbst hergestellte Vermögensgegenstände), kommt anstelle des Wiederbeschaffungswerts der Rekonstruktionswert als Vergleichswert in Betracht. Da bei seiner Ermittlung auf die Kosten abzustellen ist, die notwendig sind, um entweder ein exaktes Duplikat oder einen nutzenäquivalenten Vermögensgegenstand herzustellen, ergeben sich hier in der Coronakrise auch Herausforderungen, da etwa Märkte wie o.g. verzerrt sein können.
- Ertrags-/DCF-Wert: Der beizulegende Wert von Vermögensgegenständen ist häufig nur anhand des Ertragswerts zu bestimmen. Hierbei handelt es sich um den Barwert der auf den Bewertungsstichtag abgezinsten zukünftigen Nettoerträge, die aus dem Vermögensgegenstand voraussichtlich zu erzielen sind. Als Abwandlung dazu gilt der Discounted-Cashflow-Wert (DCF-Wert), der anstelle von Ertragsüberschüssen die Zahlungsüberschüsse (Cashflows) heranzieht.
- Einzelveräußerungswert: Der Einzelveräußerungswert repräsentiert den Preis, der beim isolierten Verkauf des zu bewertenden Vermögensgegenstands voraussichtlich erzielt werden kann. Bei der Bestimmung des Einzelveräußerungswerts sind vom voraussichtlichen Verkaufserlös die Verkaufsaufwendungen (z. B. Maklerkosten, Provisionen) abzuziehen. Somit entspricht dieser dem Nettoveräußerungswert nach IAS 36. Der Einzelveräußerungswert kommt bei der Bestimmung des beizulegenden Werts von Gegenständen des Anlagevermögens nur in Ausnahmefällen in Betracht, da diese dem Unternehmen dauerhaft dienen und gerade nicht zur Veräußerung bestimmt sind. Mögliche Anwendungsfälle können aber ggf. durch die Coronakrise entbehrlich gewordene Gegenstände sein, wie dauerhaft stillgelegte Anlagen oder nicht betrieblich genutzte Grundstücke, wobei dann die Problematik der ggf. nicht funktionierenden Märkte wieder greifen könnte.
- Teilwert: Der steuerliche Vergleichswert zu den Anschaffungs- und Herstellungskosten bezeichnet den Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs i. R. d. Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut unter der Annahme einer Fortführung des Betriebs ansetzen würde. Letztlich entspricht dieser Wert nach der Rechtsprechung des BFH den Wiederbeschaffungskosten.
Bei der Bestimmung des beizulegenden Werts mittels dieser Werte sind die Grundsätze der Fortführung der Unternehmenstätigkeit, der Einzelbewertung und der vorsichtigen Bewertung zu beachten. Daher wird im Ergebnis eine enge Anlehnung an die ausführlicher beschriebene Regelungen der Wertminderungen nach IAS 36 empfohlen.
Außerplanmäßige Abschreibung des Anlagevermögens aufgrund der Corona-Krise
Außerplanmäßige Abschreibungen sind nur möglich (Ausnahme Finanzanlagevermögen), wenn der Vermögensgegenstand des Anlagevermögens voraussichtlich dauerhaft gemindert ist (dies würde nach IAS 36 der vorgeschaltete Indikatortest abfangen). Dies wird im HGB nicht konkretisiert. In den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) wird eine Trennung vorgenommen in abnutzbare und nicht abnutzbare Vermögensgegenstände. Bei den abnutzbaren Vermögensgegenständen muss die Wertminderung nur vorgenommen werden, wenn ab dem jeweiligen Stichtagswert voraussichtlich während eines erheblichen Teils der verbleibenden Nutzungsdauer der jeweilige Stichtagswert unter dem planmäßigen Restbuchwert liegt. Bei nicht abnutzbaren Vermögensgegenständen ist eine dauerhafte, d.h. zumindest sehr langjährige Wertminderung notwendig, bevor eine außerplanmäßige Abschreibung erfolgen kann.
Daher dürften auch in der Corona-Pandemie außerplanmäßige Abschreibungen bei Vermögensgegenständen des Anlagevermögens nur in seltenen Fällen, d. h. bei signifikanten Wertminderungen, (dauerhaften) Nutzungseinschränkungen und/oder kurzen Restnutzungsdauern, vorzunehmen sein.
Außerplanmäßige Abschreibungen des Umlaufvermögens aufgrund der Corona-Krise
Sicherlich ein deutlich höheres Abschreibungspotenzial besteht bei Vermögensgegenständen des Umlaufvermögens, insb. bei Vorräten und Forderungen. Hier gilt das strenge Niederstwertprinzip, d.h. es ist jede Wertminderung unabhängig von der Dauerhaftigkeit zu berücksichtigen. Dabei ist der Buchwert zu vergleichen mit dem Börsen- oder Marktpreis am Abschlussstichtag. Ist dieser nicht feststellbar, wie etwa bei Forderungen, bildet der niedrigere beizulegende Wert den relevanten Vergleichsmaßstab (Berechnung s.o.). Die Ableitung aus einem Börsen- oder Marktpreis erfolgt durch Berücksichtigung von Transaktionskosten. Bei einer beschaffungsmarktorientierten Bewertung sind diese hinzuzurechnen, bei einer absatzmarktorientierten Bewertung abzuziehen.
Später eintretende Änderungen der relevanten Vergleichswerte sind wertbegründend und vermögen weder eine außerplanmäßige Abschreibung zum Abschlussstichtag zu begründen noch zu verhindern. Eine andere Beurteilung ist nur denkbar, wenn es sich bei den am Abschlussstichtag festgestellten Börsen-, Markt- oder sonstigen Preisen um Zufallskurse handelt. Dies ist bei sich signifikant vom allgemeinen Kursniveau abweichenden Kursen der Fall, wie etwa der am 20.4.2020 an der Börse kurzzeitig festgestellte negative Rohölpreis. In derartigen Fällen sind Durchschnittskurse zu verwenden.
Bestimmung der Herstellungskosten aufgrund der Corona-Krise
Unfertige und fertige Erzeugnisse sind mit den Herstellungskosten anzusetzen. Bei der Ermittlung der Herstellungskosten dürfen gemäß § 255 Abs. 2 Satz 2 HGB aber nur angemessene Teile der Materialgemeinkosten, der Fertigungsgemeinkosten sowie des Werteverzehrs des Anlagevermögens berücksichtigt werden, soweit diese durch die Fertigung veranlasst sind. Aufgrund der Auswirkungen der Bekämpfung der Corona-Pandemie können aus vorübergehenden Stilllegungen oder Nutzungseinschränkungen im Jahr 2020 nicht unerheblichen Beschränkung bei der Auslastung von Anlagen resultieren. Die auf diese Zeiträume entfallenden Gemeinkosten stellen grundsätzlich nicht angemessene und nicht aufgrund der Fertigung veranlasste Kosten dar. Folglich dürfen sie als sog. „Leerkosten“ nicht in den Herstellungskosten berücksichtigt werden, sondern sind Aufwand der Periode, in der sie anfallen. Allerdings ist der Vergleichsmaßstab die „Kosten der normalen Beschäftigung“. Wurden etwa nach dem Stillstand der Produktion im Frühling/Sommer 2020 der Ausfall durch eine intensivere Beschäftigung im Herbst 2020 wieder (teilweise) ausgeglichen, so sind nur die von der Normalauslastung abweichenden Beträge sofort erfolgswirksam zu erfassen und die Kosten der Normalbeschäftigung des gesamten Geschäftsjahres in die Berechnung der Herstellungskosten einzubeziehen.
Prüfung des Abschreibungsbedarfs von Forderungen aufgrund der Corona-Krise
Eine besondere Herausforderung besteht bei der Prüfung der Werthaltigkeit von Forderungen. Der beizulegende Wert hat hier alle bis zum Abschlussstichtag eingetretenen erkennbaren Risiken und Verluste zu berücksichtigen, wozu auch wertaufhellende Informationen, die erst nach dem Abschlussstichtag bekannt werden, gehören. Daher sind für die Bewertung von Forderungen die bestehenden Risiken zu würdigen, wie:
- Ausfallrisiko: Risiko einer nicht vollständigen Begleichung der Forderung wegen mangelnder Bonität des Schuldners, was in der Corona-Krise besonders relevant erscheint.
- Verzögerungsrisiko: Risiko einer verspäteten Zahlung seitens des Schuldners ohne Kompensation durch einen Anspruch auf Zinsen, was auch aktuell höchst relevant sein dürfte.
- Preisminderungsrisiko: Risiko der Geltendmachung von Abschlägen aus rechtlichen Gründen (z. B. wegen mangelhafter Leistung) durch den Schuldner, was auch zur Senkung der Aufwendungen von einigen Schuldnern extensiver gemacht werden dürfte.
- Währungs- und Länderrisiko: Diese Risiken dürften sich nicht erheblich geändert haben.
Forderungen sind grds. mit dem Betrag anzusetzen, mit dem sie wahrscheinlich realisiert werden können. Seine Schätzung muss sowohl der Zahlungsfähigkeit als auch der Zahlungswilligkeit des Schuldners Rechnung tragen, wobei die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten einer Durchsetzung des Anspruchs insb. bei ausländischen Schuldnern zu berücksichtigen sind. Es bietet sich hier an, im Rahmen der innerbetrieblichen Statistik möglichst viele Informationen zu sammeln, um diese Einschätzungen mit eigenen, möglichst aktuellen Erfahrungen zu untermauern.
Überprüfung von Gängigkeitsabschlägen und Sätzen für die Pauschalwertberichtigungen aufgrund der Corona-Krise
Diese innerbetriebliche Datensammlung ist auch für ggf. nötige Anpassungen von Gängigkeitsabschlägen sinnvoll. Diese sind in der Vergangenheit auf Basis von statistisch belegten Erfahrungen in den Unternehmen entwickelt worden und greifen etwa bei dem am häufigsten anzutreffenden Reichweiteverfahren auf das Verhältnis zwischen Lagerbestand und durchschnittlichen Lagerabgängen zurück. Durch die Corona-Pandemie kann es bei vielen Unternehmen hier aber zu großen Abweichungen zu früheren Jahren kommen, die eine aufwendige Justierung des Gängigkeitsabschlags – mit all den Problemen der Abstimmung mit den Steuerbehörden und dem Abschlussprüfer – zur Folge haben dürfte. Letztlich ist vielfach neben dem bislang verwendeten Gängigkeitsabschlag auch noch eine Betrachtung der einzelnen Vorräte bzw. Vorratsgruppen notwendig.
Dies kann auch auf die Sätze der Pauschalwertberichtigungen übertragen werden. Das IDW empfiehlt auch die Pauschalwertberichtigungen auf den nicht bereits einzelwertberichtigten Bestand an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen zu überprüfen und ggf. anzuheben ( IDW Praxis Hinweis Teil 2 v. 25.3.3020, S. 10). Hier wirken sich gestiegene Arbeitslosen- und Kurzarbeiterzahlen ggf. erheblich auf das Risiko des Forderungsbestands von Unternehmen mit vielen Privatkunden aus. Bei Unternehmen mit vielen Geschäftskunden hingegen erhöht sich das Risiko ggf. erheblich durch die temporär ausgesetzte Insolvenzantragspflicht (im Februar noch einmal verlängert bis Ende April 2021) sowie die in vielen Branchen verschlechterte wirtschaftliche Lage.
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