EU-Taxonomie

Die Einstufung von Erdgas und Atomkraft als nachhaltige Technologien im Rahmen der EU-Taxonomie hat große Wellen geschlagen. Welche Idee eigentlich hinter der EU-Taxonomie steckt und welche Herausforderungen bei der Umsetzung auftreten, erklärt Herr Prof. Dr. Müller.

Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaft angestrebt

Die EU nutzt zur Transformation der Wirtschaft hin zu einer nachhaltigeren und ab spätestens 2050 klimaneutralen Wirtschaft verschiedene Instrumente. Neben des direkten Eingriffs durch Vorgaben (etwa zum Aus für Verbrennermotoren oder den Emissionshandel) und der Schaffung von Transparenz (bislang über die nichtfinanzielle Erklärung nach § 289b HGB sowie zukünftig über eine deutlich ausgeweitete Nachhaltigkeitsberichterstattung), ist auch die Notwendigkeit zur Umleitung von Finanzströmen in nachhaltige(re) Unternehmen erkannt worden. Unter dem Schlagwort Sustainable Finance wurden dabei Finanzinstitute reguliert, ihre Anlagestrategie an Nachhaltigkeitsaspekten auszurichten. Damit sollen die enormen benötigten Mittel für die Transformation der Wirtschaft aufgebracht werden können. Jedoch erweist sich die Umsetzung dieser zunächst sehr überzeugend wirkenden Idee als sehr herausfordernd. 

EU-Taxonomie: Die ersten Schritte

Ausgangspunkt ist die Verordnung 2019/2088/EU vom 27.11.2019 (EU-Amtsblatt v. 9.12.2019, L 317/14) über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor, mit der die Finanzinstitute etwa zur Offenlegung einer Nachhaltigkeitsstrategie insgesamt und für ihre Finanzprodukte inkl. der Beratung auf der Internetseite verpflichtet werden. Auch Transparenz über nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen und -risiken muss auf Ebene des Finanzinstituts und der einzelnen Finanzprodukte geschaffen werden. Nachhaltigkeit bezieht sich dabei sowohl auf ökologische als auch soziale Aspekte. Anzuwenden ist diese Verordnung ab dem Geschäftsjahr 2020 bzw. einige spezielle Angaben erst ab dem Geschäftsjahr 2022.

EU-Taxonomie: Überarbeitung mit Klimaschutz im Fokus

Schnell wurde aber klar, dass die Finanzinstitute diese geforderte Einteilung ihrer Anlageportfolios nur vornehmen können, wenn auch die Unternehmen als Anlageobjekte die entsprechenden Angaben dazu liefern. Wurde zunächst noch davon ausgegangen, dass sich diese aus der nichtfinanziellen Erklärung ergeben würden, musste schon am 18.6.2020 die Verordnung 2020/852/EU über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088 beschlossen werden (EU-Amtsblatt v. 22.6.2022, L 198/13). In dieser wird der Klimaschutz deutlich in den Vordergrund der Betrachtung gerückt und es werden nun auch die Unternehmen direkt verpflichtet, zusätzlich zur nichtfinanziellen Erklärung Angaben für die Finanzinstitute offenzulegen, damit diese wiederum ihre Berichterstattung überhaupt durchführen können. Konkret haben demnach insbesondere Nicht-Finanzunternehmen Folgendes anzugeben:

  • den Anteil ihrer Umsatzerlöse, der mit Produkten oder Dienstleistungen erzielt wird, die mit Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind, die als ökologisch nachhaltig gemäß Art. 3 und Art. 9 einzustufen sind; und
  • den Anteil ihrer Investitionsausgaben und, soweit zutreffend, den Anteil der Betriebsausgaben im Zusammenhang mit Vermögensgegenständen oder Prozessen, die mit Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind, die als ökologisch nachhaltig gemäß Art. 3 und Art.  9 einzustufen sind.

Art. 3 sieht dann zunächst allgemein für den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines oder mehrerer der 6 Umweltziele vor:

  • Klimaschutz
  • Anpassung an den Klimawandel
  • Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
  • Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft
  • Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
  • Schutz und Wiederherstellung von Ökosystemen und Biodiversität

Eine Wirtschaftsaktivität ist nicht taxonomiekonform, falls sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines oder mehrerer der Umweltziele führt oder den festgelegten Mindestschutz nicht einhält.

Der Kommission wurde das Recht zum Erlassen von technischen Bewertungskriterien gegeben. Zudem wurde die Anwendung etwas verschoben: Nur noch Angaben zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel sind seit dem 1.1.2022 nötig. Über die restlichen 4 Umweltziele ist erst ab dem 1.1.2023 zu berichten.

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Online-Seminar: EU-Taxonomie – Funktionslogik und Umsetzung in der Praxis
Di, 11.10.2022, 14:00 Uhr (90 min.)

Mit der Taxonomie-Verordnung hat die EU ein Klassifikationssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten geschaffen. Für deren Klassifizierung sind zunächst 6 Umweltziele festgelegt worden, die der Bewertung der ökologischen Nachhaltigkeit zugrunde gelegt werden. Basierend auf diesen werden sog. technische Bewertungskriterien für die Einstufung einer Wirtschaftstätigkeit definiert.

Die Umsetzung der EU-Taxonomie in Unternehmen gestaltet sich als mehrstufiger Prozess. Allerdings offenbart sich deren Übersetzung in die Praxis vielfach herausfordernd und ist mit Anwendungsfragen sowie Auslegungsunsicherheiten verbunden.

Zur Anmeldung

Delegierte Verordnungen legen Kriterien fest

Seither erlässt die Kommission Delegierten Verordnungen, wie die (EU) 2021/2139 vom 4.6.2021 (EU-Amtsblatt v. 9.12.2021, L 442/1), durch die eine Festlegung der technischen Bewertungskriterien erfolgt.

Auf insgesamt 349 Seiten wird darin für die einzelnen Branchen – klassifiziert nach der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft (NACE) – und deren Tätigkeiten in die Kriterien klassifiziert, die direkte Wirkungen für Unternehmen von öffentlichem Interesse (kapitalmarktorientierte Unternehmen sowie Banken und Versicherungen) sowie hohe Relevanz für alle übrigen Unternehmen haben.

Inhaltlich besteht die Delegierte Verordnung aus 3 Artikeln, wobei diese durch sehr detaillierte Beschreibungen der jeweiligen Bewertungstechniken der Branchen (Wirtschaftstätigkeiten) ergänzt werden:

Artikel 1:

Die technischen Bewertungskriterien, anhand deren bestimmt wird, unter welchen Bedingungen davon auszugehen ist, dass eine Wirtschaftstätigkeit wesentlich zum Klimaschutz beiträgt und anhand deren bestimmt wird, dass diese Wirtschaftstätigkeit erhebliche Beeinträchtigungen der übrigen Umweltziele gemäß Artikel 9 der Verordnung (EU) 2020/852 vermeidet, sind in Anhang I (S. L 442/12-145) enthalten.

Artikel 2:

Die technischen Bewertungskriterien, anhand deren bestimmt wird, unter welchen Bedingungen davon auszugehen ist, dass eine Wirtschaftstätigkeit wesentlich zur Anpassung an den Klimawandel beiträgt und anhand deren bestimmt wird, dass diese Wirtschaftstätigkeit erhebliche Beeinträchtigungen der übrigen Umweltziele gemäß Artikel 9 der Verordnung (EU) 2020/852 vermeidet, sind in Anhang II (S. L 442/146-345) enthalten.

Im Artikel 3 wird das Inkrafttreten mit Wirkung zum 1.1.2022 festgelegt.

Zusätzlich sind noch Anlagen

  • zur Klassifikation von Klimarisiken,
  • Kriterien für die nachhaltige Nutzung und
  • den Schutz von Wasser- und Meeresressourcen,
  • Kriterien für die Verwendung und das Vorhandensein von Chemikalien sowie
  • Kriterien für Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme

enthalten. 

Nachhaltige Atomkraft und Gaskraftwerke

Anfang Juli 2022 hat das EU-Parlament eine von der Kommission vorgelegte ergänzende Delegierte Verordnung zum Klimaschutz verabschiedet, nach der unter strengen Bedingungen bestimmte Kern- und Gasenergietätigkeiten in die Liste der von der EU-Taxonomie erfassten nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten aufgenommen werden. Diese Einstufung ist auf ein großes Medienecho gestoßen, so äußerte sich beispielsweise  Christoph Hoffmann, Referent für klimakompatible Finanzflüsse bei Germanwatch, wie folgend:

 Die Grundidee der Taxonomie ist weiterhin gut. Umso bedauernswerter ist, dass sie durch die heutige Entscheidung deutlich an Glaubwürdigkeit verliert - bei Investoren, aber auch auf internationaler Ebene. Das ist fatal, denn die gesamten europäischen Bemühungen um nachhaltige Finanzen basieren maßgeblich auf einer soliden und vor allem von den Marktakteuren akzeptierten Taxonomie.

Die Diskussion darum zeigt, wie schwierig die klare Einteilung in nachhaltige und nicht-nachhaltige Tätigkeiten ist und dass es sich dabei häufig schlicht um politische Kompromisse handelt.

Auswirkungen der EU-Taxonomie auf Unternehmen

Die Konsequenzen sind für die Unternehmen jedoch enorm – letztlich läuft es darauf hinaus, dass zukünftig primär nur noch nachhaltige Tätigkeiten finanziert werden – entweder durch Anlagen in Aktien oder in Anleihen der betreffenden Unternehmen. Bislang betrifft dies somit nur am Kapitalmarkt notierte Unternehmen direkt. Eine Ausweitung auf den Kreditmarkt ist aber schon absehbar und wird auch bereits von einigen Kreditinstituten angewendet, wie die Aussage des Vorstands der Commerzbank bestätigt:

Ich kenne keinen Firmenkunden in Deutschland, der nicht erkannt hat, dass Nachhaltigkeit für ihn ein Thema sein muss. Aber tatsächlich wird unsere Kreditvergabe auch davon abhängen, ob ein Kunde Fortschritte auf diesem Pfad zur Klimaneutralität macht. Wenn der Fortschrittsbericht nicht überzeugt, werden wir das Engagement beenden müssen.

(Mußler/Schönauer/Brunner, Interview mit Manfred Knof, FAZ v. 2.7.2022, S. 24).

Ausblick: Dimension der sozialen Nachhaltigkeit bleibt nicht außen vor

Analog wird neben den Umwelttaxonomien auch eine Sozialtaxonomie von der EU entwickelt, der Diskussionsstand ist hier abrufbar.


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