Günstige Refinanzierung als positives Rahmenwerk für Staat und Investoren
Inflation in Europa hängt maßgeblich von der Kreditversorgung der Unternehmen ab
Volkswirte prognostizieren seit mittlerweile mehr als zehn Jahren vergebens steigende Inflationsraten für die Mitgliedsstaaten der Eurozone, wobei sich diese bereits vor der Eurokrise in einzelnen Mitgliedsländern vom Durchschnitt der EU bzw. EWWU abzukoppeln schienen. Zu beachten ist zudem, dass das Verbraucherverhalten von der sinnbildlichen Zusammenstellung des Warenkorbes zur Bemessung der Preisniveauveränderung auf deutscher und europäischer Ebene, deutlich abweicht. Daraus ergibt sich eine für private Haushalte nachteilige, gefühlt höhere Inflation, die deutlich über den gemessenen und publizierten Raten liegt. Trotz der bisherigen Inflationsprognosen ist die EWWU demnach weit von einer Hyperinflation entfernt. Allerdings führen die angekündigten Geldmengenausweitungen der Notenbanken nicht zwangsläufig zu einer Preissteigerung der Güter im Warenkorb.
Dazu ist es nötig, dass
- die Rekapitalisierung und Liquiditätsversorgung der Banken erfolgreich verläuft,
- die Kreditversorgung bei Unternehmen und privaten Haushalten ankommt und
- insbesondere in Investitionen und letztendlich in Konsum mündet.
Entwicklungen von Inflationsraten und Zinsniveau im Vergleich zu Sachwertbewertungen
Die durchschnittliche Teuerungsrate der letzten Jahre lag teilweise nennenswert unter dem Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB), das bei etwa 2 % taxiert wird, um Preisstabilität zu gewährleisten.
Es ist zwangsläufig anzunehmen, dass sowohl gefühlte als auch offiziell ermittelte Inflationsraten, in Folge von Basiseffekten, ansteigen,
- soweit die Liquiditätsausstattung des Banksystems und die Kreditversorgung der Wirtschaft funktionsfähig sind,
- sich die wirtschaftlichen Aktivitäten erholen und
- auch Rohstoffpreise wieder von ihren Tiefständen entfernen.
Auch diese Tendenz lässt sich aus der Historie ablesen. In der Vergangenheit war eine grundsätzliche und überproportionale Steigerung des Preisniveaus jedoch nicht auf den Warenkorb zu übertragen. Es entwickelte sich eine sog. Asset Price Inflation (Vermögenspreisinflation: bezeichnet, im Gegenzusatz zu einer Preissteigerung von Waren und Dienstleistungen, einen Preisanstieg bei Vermögenswerten). Durch diesen Effekt stiegen die Preise von Sachwerten, also insbesondere Unternehmensbeteiligungen und Immobilien, womit sich auch die Sicherheitspositionen der Banken deutlich verbessern, falls diese kreditfinanziert erworben wurden.
Erhöhung der Bundesbürgschaft bei Corona-Krediten
Hinsichtlich der Kreditversorgung der Wirtschaft durch das Bankensystem muss derzeit konstatiert werden, dass die, durch eine Bundesbürgschaft zu 90 % abgesicherten, Corona-Kredite nur sehr eingeschränkt an Unternehmen weitergereicht werden. Per Ende März 2020 wurden entsprechende Kreditanfragen, aufgrund negativer Bonitäts-Voten der Banken, zahlreich abgelehnt oder nur zu horrenden Zinssätzen bereitgestellt. Die derzeitige wirtschaftliche Situation lässt jedoch fast ausnahmslos keine positive Einschätzung der Kreditwürdigkeit zu. Andernfalls würden die Unternehmen schließlich keine entsprechenden Kredite benötigen. Sollten Banken bei ihren Prüfungskriterien im Rahmen der Kreditvergabe nachweislich geringere Anforderungen gelten lassen, haften sie zu 100 % und die Bundesbürgschaft entfällt. Dieser systemische Fehler wurde mittels der „KfW Schnellkredite 2020“ behoben. Dies geschah deshalb, um insbesondere kleinen und mittleren Betrieben (KMU) eine überlebensfähige Liquiditätsausstattung zuzusichern und nicht in einer ausufernden Arbeitslosigkeit zu münden. Die Kreditzusage samt der Bürgschaftserhöhung steht unter einem vergleichsweise geringen Prüfungsvorbehalt der Banken. Maßgeblich ist, dass es sich bei den beantragenden Unternehmen, vor Ausbruch der COVID-19-Krise, nicht um Unternehmen in Schwierigkeiten gem. EU-Definition handelte. Diese und weiter Kriterien stellen sicher, dass der Garantierahmen i. H. v. 150 Mrd. EUR zielgerichtet für Kreditnehmer bereitgestellt wird, die grundsätzlich ein funktionsfähiges Geschäftsmodell aufweisen.
Günstige Refinanzierungsmöglichkeiten zielgerichtet nutzen
Die Zinssätze solcher Kredite können während der Laufzeit an das Kapitalmarktniveau angepasst werden. Doch eine Befürchtung steigender Zinsen in den nächsten Jahren entbehrt jeglicher Grundlage. Das Zinsniveau wird auf nicht absehbare Zeit auf dem aktuell günstigen Level bleiben. Deshalb können sich Unternehmen, private und öffentliche Haushalte, unter Voraussetzung einer ggf. wiedererlangten guten Bonität, auch zukünftig günstig refinanzieren. Dies dient als weiterer Treiber für eine sich erholende Wirtschaft und Börsenbewertung etablierter Unternehmen. Den Notenbanken sind die Hände gebunden, denn zahlreiche Staaten sind dermaßen hoch – und seit Ausbruch der COVID-19-Krise noch viel höher – verschuldet, dass Zinssteigerungen nahezu ausgeschlossen sind. Von diesen Bedingungen kann ein Staatsfonds aufgrund der anhaltend günstigen Refinanzierungsbedingungen maßgeblich, mittels eines positiven Leverage-Effektes (Leverage-Effekt: beschreibt hier die positive Hebelwirkung des günstig aufgenommenen Fremdkapitals auf die Portfoliorentabilität, wenn die Rendite der erworbenen Vermögenswerte, den Fremdkapitalzins übersteigt), profitieren.
Zeichnungsgewinne durch Underpricing am Bondmarkt
Unabhängig von der Entwicklung risikoloser Notenbankzinsen werden die Kapitalmärkte mit dem Ausmaß der Risikoaufschläge, analog der Jahre nach der Insolvenz der Lehman Brothers Holdings Ltd., am 15. September 2008, genaue Unterschiede zwischen bonitätsstarken und eher schwächeren Schuldnern machen.
Diese Bewertung wird erneut sowohl für öffentliche als auch private Schuldner gelten und ist aktuell bereits bei Anleiheemissionen zu verzeichnen. Diese Tendenz ist derzeit jedoch nicht abgeschlossen, sondern es ist davon auszugehen, dass sie sich weiter verstetigen wird. Denn Geld steht zwar nahezu unbegrenzt und quasi kostenlos zur Verfügung und die Notenbanken sind mittlerweile die größten Käufer am Primär- und Sekundärmarkt für diverse Anleihearten.
Free Lunch als seltenes Phänomen
Es ist ferner davon auszugehen, dass sich durch ansteigende Liquiditätsbedürfnisse eine nennenswerte Tendenz des Underpricings von Unternehmens- und Staatsanleihen ergibt, um Anlegern eine positive Emissionsrendite zu ermöglichen. Diese wird durch die zusätzliche Nachfrage der Notenbanken noch weiteren Auftrieb erfahren, als es in den Vorjahren zu verzeichnen war.
Das hat zur Folge:
- Unternehmen und Staaten werden freiwillig einen Aufschlag auf die rechnerisch gerechtfertigte Addition von laufzeitadäquatem, risikolosem Zins zzgl. gerechtfertigtem Risikoaufschlag (z. B. bemessen anhand der CDS-Spreads des jeweiligen Schuldners) zahlen, um Investoren für deren Zeichnungsmut am Primärmarkt zu belohnen.
- Es tritt ein sonst eher selten vorzufindendes Phänomen des Free Lunch auf. Also ein quasi risikoloser Ertrag, durch positive Zeichnungsrenditen in den ersten Tagen nach Handelsaufnahme der entsprechenden Anleihen am Sekundärmarkt.
Selbst vermeintlich bonitätsstarke Schuldner mit Investmentgrade-Ratings werden diesem Phänomen zeitweise unterliegen, was eine weitere Risikoverringerung für Investoren zur Folge hat. Vergleichbare Entwicklungen wurden auch während der Finanzmarkt- und späteren Eurokrise in Deutschland verzeichnet. Entsprechende Auswertungen kamen zu folgendem Schluss: Wer damals Zeichnungszuteilungen ausgewählter Corporate Bonds erhielt, konnte kurzfristige Kurssteigerungen am Sekundärmarkt vereinnahmen.
Notenbanken nehmen durch Anleihekäufe Einfluss auf das Preisniveau
Auf die volkswirtschaftlichen Auswirkungen bezogen, bedeutet dies: Die mittlerweile zusätzlich geschaffene Nachfrage durch die Ankaufprogramme der Zentralbanken für Staats- und Unternehmensanleihen müsste eigentlich das grundsätzliche Preisniveau beeinflussen. Sowohl öffentlich-rechtliche als auch private Anleiheemittenten werden das aufgenommene Fremdkapital ceteris paribus (unter sonst gleichen Rahmenbedingungen) für Investitionen, Gehaltszahlungen und weitere Güternachfrage nutzen. Auch in den Jahren ab 2015, also vor dem Ausbruch der COVID-19-Krise, war in Deutschland ersichtlich, dass der steigende Konsum einen Teil der verringerten wirtschaftlichen Leistung des verarbeitenden Gewerbes kompensierte. Diese Entwicklung ist insbesondere für Deutschland eher untypisch, weil hierzulande das Sparen tendenziell vorrangig zum Konsum angestrebt wird. Da die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, zuletzt durch verringerte bzw. negative Wachstumsraten im produzierenden Gewerbe, jedoch nur noch verhalten zunahm, führte auch die Konsumsteigerung nicht zu einem nennenswerten Preisniveauanstieg.
Sachwerte zur Vermögenssicherung und -mehrung
Historisch beurteilt, haben Sachwerte (z. B. Immobilien und Unternehmensbeteiligungen) Krisenszenarien und sogar Währungsreformen deutlich wertstabiler überstanden, als reine Geldwerte (z. B. Kontoguthaben und Schuldversprechen). Die Preisentwicklung einer Asset Price Inflation, die bereits in den letzten Jahren zu verzeichnen war, lässt sich auch auf die zu erwartenden zukünftigen wirtschaftlichen Ereignisse übertragen. Investoren, die Gelder in Krisenszenarien werterhaltend anlegen möchten, sollten daher tendenziell langfristig orientiert, überwiegend in Sachwerte investieren. Kurzfristig wird es jedoch möglich sein, von den Erkenntnissen eines Underpricings am Bondsmarkt zu profitieren. Diese Rahmenbedingungen lassen den aktuellen Zeitpunkt positiv erscheinen, um einen deutschen Staatsfonds zu initiieren, der öffentliche Gelder günstig aufnimmt und sie zielgerichtet und langfristig am Kapitalmarkt anlegt.
Fortbestand der EWWU und des Euro als gesetzliches Zahlungsmittel in aktueller Ausprägung
Die angenommene Entwicklung einer erneuten Sachwertsteigerung steht unter dem Vorbehalt, dass das existente Euro-Währungssystem und somit auch die EWWU weiterhin bestehen bleiben, was uneingeschränkt zu befürworten ist.
Sämtliche historisch angedachte Nachfolgesysteme, in Anlehnung an die Aufteilung der EWWU
- in einen Nord- und einen Süd-Euro oder
- die Wiedereinführung nationaler Währungen
bringen nicht absehbare Probleme mit sich. Die Grundgedanken der Währungsunion sollten gemeinschaftlich verteidigt werden. National unterschiedliche Perspektiven sind nachvollziehbar, jedoch dürfen sie nicht in einem vollständigen Zerwürfnis enden. Vielmehr ist es wichtig, an den Geburtsfehlern der Union zu arbeiten und zielgerichtete Reformen einzuleiten, die jedoch von den nationalen Parlamenten getragen werden müssen. Zudem wären die finalen Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte und die entstehenden Kapitalströme nicht absehbar. Ausländisches Geld würde voraussichtlich in die Länder der Kernunion fließen, wodurch die Target-Salden (Target-Saldo: Saldo aus Forderungen und Verbindlichkeiten eines Landes ggü. der Zentralbank) weiter anstiegen. Treten diese Länder dann aus der Währungsunion aus,
- wären entsprechende Wertberichtigungen der EZB nötig und
- die nationalen Zentralbanken müssten dauerhaft auf Ausschüttungen verzichten, was wiederum die öffentlichen Haushalte beeinträchtigen würde.
Die Herausforderungen, die Krise gemeinschaftlich zu überwinden, sind groß, doch sollten sie nicht davor abschrecken, ein gemeinsames Ziel entschlossen zu verfolgen.
Bürokratie und geringe strategische Denke lassen günstige Ausgangslage ungenutzt bleiben
In Deutschland sollte die Auflage eines Staatsfonds aktiv erwogen werden, um zeitnah die beschriebenen Rahmenbedingungen und sich damit bietende historisch günstige Chancen zu nutzen, die selten und vergänglich sind. Zudem können gesamtwirtschaftliche Herausforderungen und die aktuellen deutschen und europäischen wirtschaftlichen Problematiken anteilig mitfinanziert und gelöst werden.
Leider ist jedoch zu befürchten, dass die strategische Denke für solche Maßnahmen in Deutschland – analog zu zahlreichen anderen Ländern – eher unterrepräsentiert ist und die vorherrschende Bürokratie diesem Unterfangen im Wege steht. Soweit der Appell jedoch ungehört verklingt, wovon leider auszugehen ist, sollten zumindest private Investoren versuchen, daraus im Rahmen der eigenen Anlagepolitik, einen persönlichen Nutzen zu ziehen und die Umsetzung für sich individuell betreiben.
Wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn für Politik, Unternehmen und Bevölkerung
Als Lehre aus der COVID-19-Krise sollte die Gesellschaft zukünftig der wissenschaftlichen Forschung in vielerlei Hinsicht eine höhere Anerkennung und Bedeutung zubilligen, denn die Welt und auch zukünftige krisenbedingte Herausforderungen entwickeln sich weiter. Ohne eine entsprechende Grundlagenforschung wird die Menschheit den sich aktuell und zukünftig stellenden Anforderungen nicht standhalten. Auch bei daraus abzuleitenden, anteiligen Finanzierung von Forschungs- und Entwicklungszentren, kann ein Staatsfonds eine bedeutende Aufgabe übernehmen. Er kann beispielsweise mit Gründungskapital dazu beitragen, dass ergründete Zusammenhänge in erfolgreichen Geschäftsmodellen umgesetzt werden. Somit könnte auch eine in Deutschland eher unterrepräsentierte Gründerkultur unterstützt werden.
Quellen:
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