Nach Shitstorm: Adidas entschuldigt sich und zahlt jetzt doch
Nach heftiger Kritik an Adidas in den sozialen Netzwerken, in den Medien und vor allem in der Politik, teilte der Sportartikelhersteller später mit, seine Mieten für April entgegen ersten Ankündigungen nun doch bezahlen zu wollen. Bei der Öffentlichkeit entschuldigte sich der Konzern in einem offenen Brief. Zuvor musste Adidas mit einem Imageverlust rechnen. Man habe einen Fehler gemacht und damit viel Vertrauen verspielt, so der Konzern.
Jan Marco Luczak, rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hatte dem Adidas-Konzern unsolidarisches Verhalten und Missbrauch des von ihm sogenannten "Corona-Gesetzes" – auch als Mietenmoratorium bekannt – vorgeworfen. "Unsere Intention (...) war nicht, dass finanzstarke Konzerne aufgrund dieses Gesetzes keine Miete mehr zahlen und sich nicht mehr an geschlossene Verträge halten", so der Unionspolitiker. Schuld daran habe auch die SPD, die einen "Sicherungsmechanismus vor einer missbräuchlichen Anwendung im Gesetz" verhindert habe.
Das vor Kurzem in Kraft getretene Gesetz zur Abmilderung der Covid-19-Folgen sieht vor, dass ein Mieter, der wegen der Coronakrise die Miete zwischen April und Juni nicht zahlen kann – die Beweislast liegt bei ihm – nicht vor die Tür gesetzt wird. Es handelt sich dabei nicht um einen Erlass der Miete, sondern um eine faktische Mietstundung für drei Monate – der Bund hat sich die Option vorbehalten, das Gesetz zu verlängern. Ab dem 30. Juni hat der Mieter vorerst zwei Jahre Zeit, seine Mietschulden zu begleichen. Die Mieter bleiben also zur Zahlung verpflichtet.
Gerät ein Mieter dann in Verzug, können die Mietzahlungsansprüche vom Vermieter wie üblich durchgesetzt werden, sei es mit außergerichtlichen oder gerichtlichen Mahnverfahren, Zwangsvollstreckung, Verzugszinsen – der liegt derzeit bei Gewerbemieten etwa bei acht Prozent – oder anderen rechtlichen Forderungsmaßnahmen. Es gilt uneingeschränkt der Grundsatz "pacta sunt servanda" ("geschlossene Verträge sind einzuhalten").
Mietstundung nach Mietenmoratorium oder Wegfall der Geschäftsgrundlage?
Die heftige Kritik an Adidas wurde vor allem deshalb laut, weil der Konzern zuletzt kräftige Gewinne machte – knapp zwei Milliarden Euro im Jahr 2019. Wieso stellt ein so erfolgreiches Großunternehmen die Mietzahlungen ein, wenn "der kleine Bäcker nebenan" noch weiterzahlt, lautete oft die Frage. Ist das angebracht oder solidarisch, wenn kleine Unternehmen in der Existenz bedroht sind?
Dabei gilt es zu unterscheiden, auf welcher Grundlage Adidas – als prominentes Beispiel – die Zahlungen ausgesetzt hat: Unter Berufung auf das Mietenmoratorium oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage? Das blieb unklar. Hatte sich Adidas auf das Mietenmoratorium berufen, musste das Unternehmen nachweisen, dass die Aussetzung der Miete auf Zahlungsschwierigkeiten wegen der Coronakrise zurückzuführen ist. Mieter von Gewerbeimmobilien können den Zusammenhang zwischen Covid-19-Pandemie und Nichtleistung bereits glaubhaft machen, wenn der Betrieb des Unternehmens im Rahmen der Bekämpfung von Sars-CoV-2 durch Rechtsverordnung oder behördliche Verfügung untersagt wurde.
Auf die konkrete Nachfrage nach der Rechtsgrundlage für das Aussetzen der Miete antwortete Adidas eher undifferenziert: Im Detail werde man sich dazu nicht äußern. Es sei richtig, dass Adidas, wie "viele andere Unternehmen auch, vorsorglich" Mietzahlungen für April temporär stunden wollte, dort "wo unsere Läden geschlossen sind". Adidas sei von der Coronakrise stark betroffen, teilte eine Sprecherin mit.
Man könnte in die aktuelle Diskussion auch einwerfen, dass ein finanzstarkes Unternehmen wie beispielsweise Adidas andere rechtliche Wege einschlagen könnte: Mit einer Anpassung über § 313 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – Störung der Geschäftsgrundlage – könnte womöglich ein Ausgleich zwischen den Vertragsparteien gefunden werden, der beiden Seiten gerecht würde. Die Coronakrise könnte in den Sachverhalt passen: Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorhandene grundlegende Umstände haben sich so schwerwiegend verändert, dass die Parteien den Vertrag gar nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten.
Im Austausch mit den Gewerbevermietern
Die Frage ist auch: Wurden für die Mietaussetzung alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft, etwa Staatshilfen für größere Unternehmen aus dem "Wirtschaftsstabilisierungsfonds" (WSF)? Auch Adidas Vorstandschef Kasper Rorsted betonte in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", dass sich die Lage bei Adidas in den vergangenen Wochen dramatisch verändert habe. "Ohne E-Commerce wären wir allein in Deutschland bei 100 Prozent Umsatzrückgang", so Rorsted. Staatliche Hilfe werde man nicht in Anspruch nehmen, aber man werde Kredite brauchen.
Ein Sprecher des Gewerbevermieters ECE betonte auf Nachfrage, das Gesetz zur Abmilderung der Covid-19-Folgen, sei "ausdrücklich nur" für Unternehmen gedacht, die aufgrund der Pandemie die fälligen Mieten vorübergehend nicht fristgerecht zahlen könnten: "Das Gesetz solle geraden den Mietern helfen, die derzeit vor besonders großen Problemen stehen".
Auch Adidas ist nach eigenen Angaben mit seinen Ladenvermietern in einem engen Austausch zu Stundungen. "Unsere Vermieter, große Immobilienvermarkter und Versicherungsfonds, haben für diese Maßnahme überwiegend Verständnis gezeigt", sagte die Sprecherin. Privatpersonen, vier an der Zahl, hätte ihre April-Miete sowie wie gewohnt weiter erhalten.
Medienberichten zufolge setzen immer mehr Filialisten ihre Mieten aus. Der Schuhverkäufer Deichmann rechtfertigte sich nach Kritik in der Öffentlichkeit: Aufgrund der staatlich verordneten Schließungen sämtlicher Verkaufsstellen sei es nicht mehr möglich, den Betriebszweck der Läden zu erfüllen. Mit den Vermietern sei man in laufenden Gesprächen, auch zu Ausmaß und Dauer der Schließungen und wie man mit den gestundeten Zahlungen umgehen will. Die Verhandlungen mit den Vermietern seien bereits vor der veränderten Gesetzeslage und ohne Bezug auf andere Rechtsgrundlagen erfolgt. "Wir haben kein Interesse daran und werden verhindern, dass Vermieter dadurch in eine Notlage kommen", heißt es in der Mitteilung von Deichmann.
Gewerbliche Immobilienvermieter: Ein Risiko bleibt – auch nach der Coronakrise
"Der kritische Faktor bei der Abschätzung der wirtschaftlichen Effekte ist der weitere Pandemie-Verlauf, der die Dauer und Intensität der Stilllegung der deutschen Wirtschaft bestimmt", schreibt die Kapitalverwaltungsgesellschaft Quantum in einem Marktausblick. Die wirtschaftlichen Folgen des Covid-19-Virus vor allem im Highstreet-Segment seien durch die angeordneten Ladenschließungen schon jetzt massiv. Daher komme es nun bereits vermehrt zu Forderungen nach Mietkürzungen oder Mietstundung. Dabei geraten auch große Unternehmen geraten unter Druck. Deichmann etwa musste in Deutschland nach eigenen Angaben bereits im März 1.500 Filialen schließen.
Der ifo Geschäftsklimaindikator (März 2020) im Handel ist nach Angaben von Quantum zuletzt massiv eingebrochen. Bereits in den ersten zwei März-Wochen hat laut Quantum-Studie der stationäre Handel Umsatzeinbußen in Höhe von rund 1,15 Milliarden Euro pro Tag verzeichnet. Hinzu kommen Fixkosten, Personalausgaben, Mieten und Unterhaltung in bis zu sechsstelliger Höhe. Dauere der Lockdown an, könnte es der Studie zufolge bereits in drei, vier Wochen zu Insolvenzen kommen. Besonders betroffen: Retailer mit niedrigen Gewinnmargen.
Insolvente Unternehmen fallen laut Quantum letztlich auch nach der Corona-Krise als Gewerbemieter aus. Insgesamt dürfte es außerdem schon mittelfristig weniger Nachrücker für freiwerdende Flächen geben als bisher. Es dürfte in einigen Fällen auch zu Rechtsstreitigkeiten kommen, die auf einen Vergleich hinauslaufen.
Der ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel hat angesichts der Coronakrise einen staatlichen Hilfsfonds gefordert, der Unternehmen die Tilgung ihrer Schulden möglich machen soll. Mit Blick auf das bereits laufende staatliche Rettungskreditprogramm sagte Gabriel: "Ich fürchte, das hilft vielen Unternehmen nicht, weil sie nicht wissen, wie sie die neuen Schulden zurückzahlen sollen".
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