Klimabeirat will weniger neue Wohnungen für Hamburg
Der frisch eingesetzte Klimabeirat – ein unabhängiges Expertengremium mit 15 stimmberechtigten Mitgliedern aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen – hat dem Hamburger Senat seine ersten Empfehlungen zur Umsetzung des Klimaschutzgesetzes und des Klimaplans vorgelegt. Eine zentrale Forderung in dem neunseitigen Papier lautet: Die Wohnungsbaustrategie soll überdacht werden, damit sie klimagerecht ist.
Im Koalitionsvertrag ist festgehalten, dass eine klimafreundliche Neubauoffensive den Ressourcenschutz und die Verringerung der Flächenversiegelung im Blick haben muss. Der rot-grüne Senat hat mit der Wohnungswirtschaft vereinbart, 10.000 neue Wohnungen jährlich bauen zu wollen – der Klimabeirat leitet aus amtlichen Zahlen ab, dass für die Hansestadt nur ein Jahresbedarf von zirka 5.000 neuen Wohnungen besteht. Nach der bis 2035 reichenden jüngsten Bevölkerungsprognose sei bis dahin "lediglich von einem Bedarf von zirka 74.000 neuen Wohnungen" auszugehen, heißt es in dem Papier an den Senat, das am 10. Dezember veröffentlicht wurde.
Klimaschutz versus bezahlbares Wohnen
"Hamburg gilt auch nach neuesten Untersuchungen vollständig als angespannter Wohnungsmarkt", kommentierte Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), die Empfehlung des Rates. Anhaltspunkte dafür seien die wachsende Wohnbevölkerung, eine durchschnittliche Mietbelastung der Haushalte, die den bundesweiten Durchschnitt deutlich übersteigt, sowie ein geringer Leerstand bei großer Nachfrage. Er warnte davor, das Tempo des Wohnungsbaus zugunsten des Klimaschutzes zu drosseln: "Klimaschutz und bezahlbares Wohnen dürften nicht gegeneinander ausgespielt, sondern müssen miteinander versöhnt werden."
Jetzt den Neubau einzustellen, würde das bezahlbare Wohnen in Hamburg gefährden, so Breitner. Der Bau von mehr als 80.000 Wohnungen in den vergangenen zehn Jahren habe den Mietenanstieg gedämpft. Geltende wohnungspolitische Leitlinie in Hamburg sei das "Bündnis für Wohnen", das Senat und Wohnungswirtschaft in diesem Jahr in dritter Auflage vereinbart hatten.
Der Klimabeirat fordert außerdem unter anderem die kurzfristige Anhebung der Sanierungsquote im Wohnungsbestand auf mindestens zwei Prozent pro Jahr, höhere Anteile bei der Holzbauweise und mehr Photovoltaikanlagen auf allen Dächern, kombiniert mit der schon vorhandenen Gründachstrategie.
Klimapolitische Empfehlungen an den Hamburger Senat 2021
Studie: Klima ohne mehr Wohnungsneubau?
Die deutschen und europäischen Klimaziele sind nur durch deutlich mehr privaten Wohnungsneubau zu erreichen. Davon ist der Investmentmanager Empira überzeugt. Denn "Wohnungsneubau bringt erheblich größere Energie- und Emissions-Einsparpotenziale mit sich als Bestandssanierung", erklärte Prof. Steffen Metzner, Head of Research der Empira Gruppe und Autor einer Studie, die im August 2021 publiziert wurde.
Mit der Änderung des Klimaschutzgesetzes hatte die Bundesregierung ihre Vorgaben noch einmal verschärft: Bis 2045 soll das Land klimaneutral sein, bereits bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um 65 Prozent sinken gegenüber 1990. Doch laut Empira hinkt Deutschland den eigenen Ansprüchen – auch im europäischen Vergleich – weit hinterher. Um aufzuholen, führt laut Empira-Experte Metzner kein Weg an größeren professionellen und kapitalstarken Immobilienunternehmen vorbei: "Diese werden auch künftig bei der Realisierung von Wohnraum in Deutschland mit Abstand die wichtigste Rolle spielen."
Wohnbestand in Deutschland älter als im EU-Schnitt
Die Empira-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der deutsche Wohngebäudebestand deutlich älter ist als im EU-Schnitt und nur zu 13,8 Prozent vollsaniert oder neu gebaut. Ein unsanierter Altbau verbrauche durchschnittlich 151 Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter und Jahr fürs Heizen und Warmwasser. Dieses Segment mache allein mehr als ein Drittel (36 Prozent) am deutschen Wohngebäudebestand aus, so die Rechnung.
Teilsanierte Gebäude (Umsetzung von mindestens einer und maximal drei energieeinsparenden Maßnahmen) verbrauchen laut Studie mit 143 kWh pro Quadratmeter und Jahr nur fünf Prozent weniger Energie. Bei vollsanierten Wohnimmobilien kann der Verbrauch um 24 Prozent auf 115 kWh pro Quadratmeter und Jahr reduziert werden. Den höchsten Einspareffekt macht Empira bei Neubauten aus, die nach neuen technischen Standards errichtet wurden. In diese Kategorie gehören Immobilien ab Baujahr 2002 mit einem durchschnittlichen Heizenergieverbrauch von 89 kWh pro Quadratmeter und Jahr – gegenüber dem unsanierten Referenzobjekt könne so mehr als die Hälfte (59 Prozent) der Energie gespart werden, heißt es in der Studie.
"Deutschland und Europa brauchen dringend mehr und schnelleren Wohnungsneubau, gerade in den Großstädten und ihrem direkten Umland", so Lahcen Knapp, Verwaltungsrat der Empira AG. Insgesamt werde in Deutschland im europäischen Vergleich weniger neu gebaut: 3,47 Wohnungen auf 1.000 Einwohner waren es laut Empira im Jahr 2018. Zum Vergleich: In Österreich kamen in diesem Jahr 6,48 Wohnungen auf 1.000 Einwohner. Tschechien und Italien (jeweils 1,35 Wohnungen pro 1.000 Einwohner) liegen am unteren Ende der Skala.
Empira-Studie "Wohnungsneubau für einen nachhaltigen und energieeffizienten Gebäudebestand"
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