Mein Nachbar, das Data-Center
Noch bis in die 2010er-Jahre hinein waren die allermeisten Rechenzentren mehr oder weniger fest im Eigentum von großen Unternehmen. Dementsprechend befanden sich die Server früher auf Werksarealen oder innerhalb von Bürogebäuden. Als die Rechenleistung immer größer wurde, steigerte sich auch der Flächenbedarf für Rechenzentren. Nirgendwo wird das so deutlich wie in Frankfurt am Main, wo die großen Rechenzentren in der Nähe der Börse beziehungsweise des Bankenviertels entstanden.
Mit dem Aufkommen von Clouds und Operatoren, die Rechenleistung als Service anbieten, hat sich das radikal geändert. Dementsprechend entstehen seither auch Data-Center an anderen Standorten. Neben Frankfurt haben sich auch Standorte wie Berlin und das Ruhrgebiet etabliert. Allerdings ist die Mainmetropole die unangefochtene Rechenzentrumshauptstadt in Deutschland. Das liegt daran, dass die dortige Infrastruktur inklusive der notwendigen redundanten Stromversorgung gut ausgebaut ist. Außerdem steht geschultes Fachpersonal zur Verfügung – und die Behörden sind mit den Genehmigungsprozessen vertraut oder werden damit immer vertrauter.
Individuelle Anforderungen – neue Mikrostandorte
Dementsprechend ist aus immobilienwirtschaftlicher Sicht das Preisgefälle nach Makrolage so groß wie in kaum einer anderen Nutzungsart, denn für den jeweiligen Operator zählt vor allem der Zeitfaktor, wann ein Data-Center in Betrieb gehen kann und wie sicher dieser Betrieb ist. Der Preis ist weniger wichtig, da die Grundstückskosten gemessen am gesamten Investitionsvolumen einen untergeordneten Anteil ausmachen. Ideal sind somit unbebaute, direkt nutzbare Grundstücke mit Baurecht und redundanter Stromversorgung in der benötigten Menge. Für Eigentümer von geeigneten Grundstücken bieten sich starke Anreize, an einen Käufer mit Fokus auf Rechenzentren zu veräußern.
Zwar entstehen die meisten deutschen Rechenzentren nach wie vor in und um Frankfurt am Main, die Mikrolagen haben sich indes über die Jahre hinweg deutlich ausdifferenziert. Bereits heute findet sich der weltgrößte Internetknotenpunkt, der DE-CIX, nicht im Bankenviertel, sondern in der Nähe des Osthafens. Neue Rechenzentren werden beispielsweise in gewerblich geprägten Gegenden wie Kelsterbach und abseits gelegen wie auf dem ehemaligen Neckermann-Areal gebaut – und darüber hinaus in Wohngegenden wie Fechenheim oder im Rahmen gemischt genutzter Quartiersentwicklungen wie in Frankfurt-Griesheim. Areale, die historisch einen erhöhten Strombedarf hatten, wie beispielsweise chemisch genutzte Standorte, haben mitunter Vorteile bei der Sicherung von Stromkapazitäten, da sie bereits über Stromreserven verfügen.
Ein Faktor der sozialen Nachhaltigkeit
Diese Nähe der Rechenzentren zur Stadtbebauung wiederum bringt neue Herausforderungen mit sich, aber auch Chancen. Unter anderem muss sichergestellt werden, dass kein Unbefugter Zugriff auf das Areal erhält. Außerdem verbrauchen Rechenzentren viel Fläche und schaffen auf dem Areal selbst kaum Arbeitsplätze. Dennoch können Rechenzentren wichtige Impulse für die Nachbarschaft geben.
Bestes Beispiel ist die schwedische Stadt Luleå, in der Facebook im Jahr 2013 sein europäisches Data-Center in Betrieb genommen hat. Das hat in den Folgejahren dazu geführt, dass zahlreiche andere Unternehmen sich dort ebenfalls angesiedelt haben – und die Bewerbungen für die dortige Universität haben sich im Jahr 2013 um 18 Prozent verglichen mit dem Vorjahr gesteigert. Entsprechende Partnerschaften mit lokalen Bildungseinrichtungen oder Unternehmen ermöglichen beispielsweise eine bessere Ausbildung im IT-Sektor.
Energiekonzepte für das Quartier
Für sich genommen sind Rechenzentren Energiefresser – selbst bei einer nachhaltigen Bauweise mit leistungsstarken Photovoltaikanlagen auf dem Dach und modernen Kühlsystemen. Als Teil eines modernen, gemischt genutzten Quartiers jedoch können Rechenzentren in übergeordnete Energiekonzepte beziehungsweise in Energiegemeinschaften eingebunden werden.
Ein Beispiel dafür ist die Abgabe der erzeugten Abwärme an die Nachbarschaft, die ohnehin bald gemäß Energieeffizienzgesetz verpflichtend wird. Über ein System mit Wärmetauschern und isolierten Rohren werden dabei die umliegenden Wohngebäude, Büros und Gewerbeimmobilien beheizt. Somit können die herkömmlichen Heizmethoden ersetzt werden, was den CO2-Fußabdruck dieser Gebäude deutlich schmälert. Je größer das Rechenzentrum, desto höher sind die erreichbaren Skaleneffekte, sofern das Konzept zentral gesteuert und koordiniert wird.
In Dublin betreibt Amazon Web Services (AWS) ein Rechenzentrum, das gemäß eigenen Angaben 50.000 Quadratmeter Fläche, bestehend aus Büros und Gebäuden der öffentlichen Hand sowie 135 Haushalten, beheizt. In einer Zeit, in der der Trend zu sogenannten Hyperscale-Rechenzentren, also sehr leistungsstarken und großformatigen Anlagen geht, sind die potenziellen Effekte eines solchen "Fernwärmesystems" nochmals deutlich höher.
Rückgrat moderner Stadtquartiere
Obwohl Rechenzentren meist als graue Monolithen wahrgenommen werden, haben sie – genau wie jede Form der physischen Stadtinfrastruktur – somit eine wichtige Rolle bei der sozioökonomischen Weiterentwicklung der jeweiligen Stadtviertel und Städte. Die digitale Infrastruktur ist inzwischen genauso wichtig für unsere Lebensqualität wie die physische – ansonsten würde weder unser Wirtschaftssystem noch unsere Freizeitgestaltung, wie wir sie inzwischen kennen, möglich sein. Stichwort Netflix.
Genauso wichtig ist aber auch die energetische Komponente. Besonders in groß angelegten Quartieren mit ausgefeilten Energiekonzepten profitieren die verschiedenen Flächentypen voneinander: Wenn beispielsweise Gewerbe- und Produktionsimmobilien konsequent mit Photovoltaikanlagen überbaut werden, können diese die Elektrizität für die Nachbarhaushalte und teilweise auch für das Rechenzentrum liefern. Die Data Center wiederum könnten in Form von Energiespeichersystemen überschüssigen Strom aufnehmen, die Versorgungssicherheit des gesamten Quartiers sowie auch dessen Grad an Energieautarkie erhöhen. Auf diese Weise schafft jedes Gebäude einen Mehrwert für die jeweils anderen.
Je häufiger solche übergeordneten Lösungen zum Einsatz kommen, desto stärker kann die private Wirtschaft die öffentliche Hand bei der Energiewende unterstützen. Vor diesem Hintergrund wäre es kurzsichtig, die Energiebilanzen von Rechenzentren nur auf Objektebene zu analysieren. Stattdessen ist es wichtig, die Kooperation zwischen Immobilienentwicklern, Operatoren und Kommunen zu vertiefen, um möglichst großflächige Lösungen zu finden und die enormen potenziellen Skaleneffekte auch auszunutzen.
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