Rechner heizen Wohnungen – simple Idee mit Hürden
Die Abwärmenutzung aus Rechenzentren könnte ein Markt mit Zukunft sein. Das Berliner Borderstep-Institut hat herausgefunden, dass die Hälfte der mehr als 50.000 Betreiber von Rechenzentren davon ausgeht, auf diesem Wege Energie sparen zu können. Ein knappes Drittel versucht das schon.
Abwärme als erneuerbare Energie anerkannt
Alle deutschen Rechenzentren zusammen produzieren pro Jahr 13 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Abwärme. Oder, um eine volkswirtschaftliche Größe zu bemühen: 13 Terawattstunden (TWh). Die Haushalte hierzulande verwenden derzeit ungefähr 94 TWh erneuerbare Energien – meist Biomasse – zur Wärmeerzeugung. Das sind zirka 14 Prozent des gesamten Energieverbrauchs. Würde man die Abwärme aus den Rechenzentren komplett einsetzen, könnte man den Anteil schlagartig auf 16 Prozent erhöhen. Das wäre zumindest ein kleiner Schritt in Richtung Klimaneutralität. Denn Abwärme wird voll als erneuerbare Energie anerkannt.
Gleichmäßig verteilt über die Republik sind die Rechenzentren nicht. Schwerpunkt ist Frankfurt am Main als Sitz des Deutschen Commercial Internet Exchange (DE-CIX), dem größten europäischen Internet-Knoten, sowie von zahlreichen Rechenzentren, die zusammen 1,6 TWh Strom verbrauchen. Nutzte man deren Abwärme, könnte man den Wärmebedarf der Mainmetropole vollständig decken.
Kein Wunder also, dass ein erstes großes Projekt auch in Frankfurt startet, und zwar auf dem ehemaligen Avaya-Gelände im Gallusviertel.
Avaya-Gelände Gallusviertel / Frankfurt am Main: Technische Daten |
Nutzung: Gewerbe, Schule / Kindergarten, Wohnen, 6 Baufelder (1.300 WE + Kindertagesstätte und Gewerbeeinheiten) Art: Neubau Wärmequelle: mind. 2.400 MWh/a Abwärme Rechenzentrum, 1.600 MWh/a Fernwärme Mainova Heiztechnik: 2x Wärmepumpe (je 320 kWth), Fernwärme (ca. 624 kW), Pufferspeicher Nutzfläche: 125.000 m2 (BGF) Zeitplan: 2023 erste Wärmelieferung, 2025 Fertigstellung Gesamtprojekt Laufzeit Contracting-Vertrag: 15 Jahre CO2-Reduktion: 400 t im Jahr |
Projekt in Frankfurt: Wärme für's Wohnquartier aus dem Rechenzentrum
Hier wird gerade das Quartier "Westville" mit mehr als 1.300 Wohneinheiten gebaut, und der größte Teil der Wärme kommt aus der Abwärme eines Rechenzentrums auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Vorteile sind vielfältig. Die Abwärme wird CO2-frei gerechnet, was bei der Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben hilft, etwa den Vorschriften des Gebäudeenergiegesetzes (GEG).
Die emissions- und feinstaubfreie Abwärme kann über eine Wärmepumpe via Nahwärmenetz und Wärmetauscher direkt zu Heizzwecken oder zur Erwärmung des Trinkwassers genutzt werden, fast ohne Verluste. Das wiederum erhöht die Energieeffizienz, was sich für die Mieter hinsichtlich der Wärmekosten positiv auswirkt. Und: Die Kosten sind langfristig kalkulierbar, was bei allen anderen in Frage gekommenen Brennstoffen nicht der Fall ist.
Abwärme-Konzepte: Ohne Kooperation geht es nicht
Damit das Konzept aufging, brauchte es unter anderem einer hohen Kooperationsbereitschaft des Rechenzentrumbetreibers: Die Abwärme sollte nicht nur kostenfrei abgegeben werden, es mussten auch die Sicherheitsbedürfnisse des Rechenzentrums gewahrt bleiben – und die Abwärmenutzung muss wettbewerbsfähig mit anderen Versorgungslösungen bleiben, die in Frage gekommen wären.
Mainova wird als Contractor 15 Jahre lang die Wärme, die zu mindestens 60 Prozent aus der Abwärme des Rechenzentrums kommt, liefern. Der Rest kommt aus dem normalen Fernwärmeangebot, unter anderem aus einem Müllheizkraftwerk (MHKW), das auch als Absicherung für Wartungsarbeiten, bei Ausfällen oder bei Spitzenlasten dient. Für die Nutzung wird eine 500 Meter lange Rohrleitungstrasse gebaut, die vom Rechenzentrum in eine Kellerheizzentrale im Wohnquartier führt. Hier wird die niederkalorische Abwärme mit zwei Hochtemperaturwärmepumpen auf das benötigte Temperaturniveau von etwa 70 Grad Celcius angehoben und über ein Nahwärmenetz verteilt.
Das Projekt ist in dieser Größe das bislang erste seiner Art in Deutschland. Mainova investiert einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag.
Interview: "Grundlast vollständig mit Abwärme abdecken"Herr Gerdsmeyer, wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Abwärme des Rechenzentrums für ein neues Quartier zu nutzen?Manuel Gerdsmeyer: Wir verfolgen das Ziel schon länger, Rechenzentrumsabwärme zur Wärmeversorgung zu nutzen. Für eine Machbarkeitsstudie 2018/19 war das Abwärmekataster des Energiereferates der Stadt Frankfurt am Main eine gute Grundlage. Als beim Wohnquartier "Westville" der Bau von Wohnungen in unmittelbarer Nähe zweier Rechenzentren geplant wurde, war das naheliegend. In unserem Angebot haben wir einen Deckungsanteil aus Abwärme von mindestens 60 Prozent zugesichert. In der Praxis rechnen wir mit bis zu 75 Prozent. Die Grundlast werden wir vollständig mit Abwärme abdecken können. Die Fernwärme kommt bei Wärmelastspitzen zum Einsatz, deren Häufigkeit und Höhe auch vom Wetter abhängig sind. Durch die Kombination aus der Abwärme des Rechenzentrums und aus der umweltschonenden Fernwärme zur Abdeckung von Spitzenlasten sparen wir rund 400 Tonnen CO2 im Jahr im Vergleich zu konventioneller Wärmeerzeugung ein. Ist die Wärmeversorgung mit Abwärme im Vergleich teurer? Beim Projekt "Westville" kalkulieren wir mit rund einem Euro monatlich pro Quadratmeter Wohnfläche. Das entspricht den durchschnittlichen Kosten einer konventionellen Heizungsanlage. Manuel Gerdsmeyer ist Sachgebietsleiter Projektentwicklung Vertrieb Wärme & Contracting bei der Mainova AG. Das Interview führte Frank Urbansky. |
Pionier in Sachen Abwärme: Das Dresdner Start-up "Cloud & Heat"
Darüber hinaus gibt es schon seit Jahren immer wieder Projekte, die Abwärme von Rechnern auch in kleinerem Maßstab nutzen. Pionier ist das Dresdner Unternehmen "Cloud & Heat", das mit einem eigenen Server und der Nutzung von dessen Abwärme startete. Immerhin konnten damit vom Projektstart weg gleich drei energieeffizient gebaute Einfamilienhäuser mit Wärme und Warmwasser versorgt werden.
Die Lösung ist relativ einfach: Wasser wird zu Kühlzwecken in feinen Kanälen durch den Serverschrank geleitet. Die Wärme wird direkt an den heißen Prozessoren aufgenommen und zu einem Wärmeüberträger geleitet. Der wiederum speist die Wärme in einen Pufferspeicher ein, aus dem sie bei Bedarf abgerufen werden kann.
Diese Lösung wird bisher vorrangig in Bürogebäuden genutzt, etwa im Eurotheum, dem ehemaligen Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB), ebenfalls in Frankfurt am Main. Nach Auskunft von Cloud & Heat werden mit solchen Anlagen die Hälfte der Ausgaben gespart, die mit klassischer Luftkühlung anfallen würden.
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