Klimawende im Bestand: 31. Brandenburger Hof Gespräch

2045 soll Deutschland treibhausgasneutral sein. Taugen dafür immer strengere Vorgaben an die Energieeffizienz? Die einhellige Antwort lautet: Nein. Sinnvoll sind vielmehr pragmatische Lösungen, die den Fokus auf die CO2-Reduktion legen und die Sorgen der Menschen berücksichtigen.

Wie dramatisch die Situation ist, machte der Klimaforscher Prof. Dr. Mojib Latif in seinem einleitenden Statement deutlich. "Wir müssen den CO2-Ausstoß senken, und zwar drastisch", sagte der Wissenschaftler, der als Präsident der Deutschen Gesellschaft Club of Rome und der Akademie der Wissenschaften in Hamburg tätig ist. "Mit Physik kann man nicht verhandeln und auch keine Kompromisse schließen", betonte Latif und erinnerte dabei an den 1972 unter dem Titel "Die Grenzen des Wachstums" erschienenen ersten Bericht des Club of Rome: "Nichts zu tun", so Latif, "erhöht das Risiko eines Kollapses." 

"Die entscheidende Frage ist: Wie viel kostet die Vermeidung von CO2-Ausstoß?" Prof. Dr. Gerhard Hausladen, Ingenieurbüro Hausladen GmbH

Mit seinen Ausführungen eröffnete der Klimaforscher das 31. Brandenburger Hof Gespräch, das sich im Dezember 2024 mit dem Thema "Neu denken: Klimawende im Bestand" befasste. Ohne Zweifel ein aktuelles Thema: Wenige Wochen zuvor hatten schwere Unwetter in Südspanien ein Schlaglicht auf die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels geworfen. Im November gingen fünf Architekturprofessoren mit einem vom GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. unterstützten Manifest an die Öffentlichkeit, in dem sie dazu auffordern, den Schwerpunkt auf die Verringerung des CO2-Ausstoßes zu legen und verstärkt die Energieversorgung in den Blick zu nehmen, statt immer strengere Vorgaben an die Energieeffizienz von Gebäuden zu machen. Und kurz nach dem Expertengespräch gab der EU-Klimawandeldienst Copernicus bekannt, dass 2024 das erste Jahr gewesen sein dürfte, in dem es im Durchschnitt mehr als 1,5 Grad Celsius wärmer war als im vorindustriellen Mittel.

Das Brandenburger Hof Gespräch

Das Brandenburger Hof Gespräch ist ein traditionsreiches Format der Partner GdW, DW Die Wohnungswirtschaft und Aareal Bank. Zur 31. Auflage des Gesprächs trafen sich die Diskutanten am 2.12.2024 im Hotel SO / Berlin Das Stue. Führende Vertreter der Wohnungswirtschaft kommen mit Experten aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft zusammen, um über aktuelle wohnungswirtschaftliche Fragen zu debattieren. Etabliert wurde das Format vom damaligen GdW-Präsidenten Jürgen Steinert. Ursprünglich fand es im Berliner Hotel Brandenburger Hof statt – daher der Name. Am 31. Brandenburger Hof Gespräch nahmen teil:

  • Axel Gedaschko, Präsident des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V.
  • Dr. Christian Ricken, Vorstandsvorsitzender der Aareal Bank AG
  • Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Gerhard Hausladen, Geschäftsführer der Ingenieurbüro Hausladen GmbH
  • Ralf Klöpfer, Mitglied des Vorstands der MVV Energie AG

Moderiert wurde die Diskussion von Thomas Tuma, Chefautor und Mitglied der Chefredaktion des Magazins "Focus".

Das gesamte 31. Brandenburger Hof Gespräch ist in zwei Teilen als L’Immo-Podcast nachzuhören.
Hier geht es zu Teil 1 und hier zu Teil 2.

Die Kosten im Blick

Von zentraler Bedeutung sei es, weniger CO2 zu emittieren, unterstrich GdW-Präsident Axel Gedaschko in der von "Focus"-Chefautor Thomas Tuma moderierten Runde. Deshalb brauche es einen Paradigmenwechsel – nicht zuletzt deshalb, weil der Staat gar nicht in der Lage sei, die gesamten Kosten zu tragen, die für eine immer höhere Energieeffizienz von Gebäuden erforderlich wären. Unter Berufung auf das Manifest der fünf Wissenschaftler bezifferte Gedaschko die jährlichen staatlichen Zuschüsse, die für die Erreichung der Klimaschutzziele im Gebäudebereich mit den bisherigen Instrumenten erforderlich wären, auf 50 Milliarden Euro. Würde man hingegen den von den Architekten vorgeschlagenen neuen Pfad beschreiten, so wären lediglich 18 Milliarden Euro erforderlich.

Brandenburger Hof Gespräch – Mojib Latif

Unterstützt wurde dieser Ansatz von Prof. Dr. Gerhard Hausladen. "Die entscheidende Frage ist: Wie viel kostet die Vermeidung von CO2-Ausstoß?", sagte der Geschäftsführer der Ingenieurbüro Hausladen GmbH und ehemalige Professor für Bauklimatik und Haustechnik an der Technischen Universität München. Bei Neubauten lassen sich laut Hausladen diese Kosten recht genau beziffern. Um durch die Steigerung des EH-55-Standards auf EH40 eine Tonne CO2 einzusparen, muss man demnach rund 1.800 Euro aufwenden. Setzt man stattdessen auf die Installation von Photovoltaikanlagen vor Ort, so kostet die Einsparung von einer Tonne CO2 lediglich rund 100 bis 200 Euro. Deshalb, führte Hausladen aus, müsse man diskutieren, ob es nicht sinnvoll sei, den gesamten Gebäudebestand mit Photovoltaik zu versorgen.

"Man muss die Komplexität für die Bürger und für die Kunden reduzieren." Ralf Klöpfer, MVV Energie AG

Keine Differenzen gab es in der Runde darüber, dass der Weg von den fossilen Energieträgern Öl und Gas wegführt. "Wir wollen in Mannheim die Wärmeversorgung dekarbonisieren", sagte Ralf Klöpfer, Mitglied des Vorstands der Energieversorgers MVV Energie AG. Das Mannheimer Energieunternehmen, das bis 2035 klimapositiv werden will, machte bundesweit Schlagzeilen mit der Ankündigung, bis 2035 aus der Gasversorgung auszusteigen. Damit, erklärte Klöpfer, habe man den Menschen frühzeitig Klarheit über das weitere Vorgehen geben wollen und sorge gleichzeitig für Aufklärung. Allen müsse bewusst sein, dass Gas perspektivisch teurer werde – und daran werde auch ein Regierungswechsel nichts ändern.

Realismus und Flexibilität

Planungssicherheit sei auch für Investoren wichtig, betonte der vierte Diskussionsteilnehmer, Dr. Christian Ricken. Der seit August 2024 amtierende Vorstandsvorsitzende der Aareal Bank AG, die auch dieses Mal das Brandenburger Hof Gespräch unterstützte, forderte "Realismus und Flexibilität" ein. Die Umsetzungsfristen bezeichnete er als "großes Thema", bei dem man "notfalls Dinge adjustieren" müsse. "Man muss die volkswirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten des Landes im Auge behalten und darf die Wirtschaft und die Bürger nicht überfordern", mahnte der Chef der Aareal Bank.

Brandenburger Hof Gespräch – Diskussion

Ob man also das Ziel der Klimaneutralität Deutschlands von 2045 auf 2050 verschieben müsse, fragte Moderator Tuma. Das wollte Ricken so nicht bestätigen. Aber wenn Ziele unrealistisch seien, dann könne das dazu führen, dass eine Volkswirtschaft in extrem schweres Fahrwasser gerate, gab er zu bedenken. "Und die Gefahr besteht auf jeden Fall." Ricken schlug vor, stärker marktwirtschaftliche Instrumente zu nutzen, und nannte in diesem Zusammenhang den CO2-Zertifikatehandel ein "extrem gutes Beispiel". Der Staat sollte sich laut Ricken darauf konzentrieren, sinnvolle Rahmenbedingungen zu setzen. "Wir sollten", so der Chef der Aareal Bank, "den Glauben an die soziale Marktwirtschaft und eine sinnvolle Ordnungspolitik wiederentdecken, statt mit zentralistischen Ideen alles lenken zu wollen."

Verunsicherung der Menschen bekämpfen

Eine ganz praktische Herausforderung sprach MVV-Vorstandsmitglied Ralf Klöpfer an: Viele Menschen warten nach seinen Worten derzeit ab, weil es ihnen an Orientierung fehlt. Dabei spielten auch "Mythen" eine Rolle wie etwa die längst nicht mehr zutreffende Aussage, eine Fußbodenheizung sei die Voraussetzung für die Installation einer Wärmepumpe. "Man muss alle Akteure mitnehmen", betonte Klöpfer und bezog dabei insbesondere die Handwerker ein. Diese müssten auch über Fördermöglichkeiten informiert werden.

Das sei ein wichtiger Punkt, bestätigte Hausladen: Manche Handwerker hätten Angst vor dem Neuen und vor technologischen Lösungen, mit denen sie nicht vertraut seien. Hier könne man mit Schulungen ansetzen. Denn eigentlich sei die Umstellung von Öl oder Gas auf Wärmepumpe "fast unproblematisch". Sehr wohl ein Problem sind hingegen Normen und Richtlinien, wie die Fachleute übereinstimmend feststellten. Vom "Luxus, dass es einen industriepolitischen Einfluss gibt", sprach GdW-Präsident Gedaschko mit Blick auf die DIN-Normen. Auch die Normen für die Berechnung der Heizlasten haben es in sich: Installateure müssten sich immer noch an einer Tiefsttemperatur von minus zehn bis zwölf Grad Celsius orientieren, erklärte Klöpfer. Dabei sei es in Mannheim seit Jahren über einen längeren Zeitraum nie kälter als minus sieben Grad gewesen.

Hinzu kommt die Schnittstellenthematik. Es könne doch nicht sein, dass es für die Wärmepumpe des einen Herstellers einen anderen Installateur brauche als für die Wärmepumpe eines anderen Produzenten, sagte Klöpfer. Seine Forderung: "Man muss die Komplexität für die Kunden und für die Bürger reduzieren." Das nahmen die anderen Diskutanten gerne auf: Mit Blick auf die zukünftigen variablen Strompreise brauche es eine ausgereifte Regelungstechnik, die es beispielsweise ermögliche, die Heizung einen halben Tag lang auszuschalten und erst wieder in Betrieb zu nehmen, wenn der Strompreis gesunken sei, sagte Hausladen. Solche Prozesse müssten vollautomatisch laufen, bestätigte Klöpfer – denn die Menschen wollten "Freizeit genießen, nicht Hausmeister spielen".

"Wir vergessen komplett den Nutzer." Axel Gedaschko, GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V.

Der GdW-Chef forderte ebenfalls eine die Nutzer unterstützende Technik und bedauerte, dass die Industrie es bisher nicht geschafft habe, im Wohnsegment eine solche Technik zur Verfügung zu stellen. Ohnehin müssen die Bewohner nach Ansicht Gedaschkos viel stärker in den Blick genommen werden. "Wir vergessen komplett den Nutzer", stellte er fest. Deshalb verbrauchten zahlreiche neue, teure Häuser in der Realität viel mehr Energie, als die Planer im Voraus berechnet hätten.

Wer soll das alles bezahlen?

All diese Überlegungen sprechen für ein pragmatisches Vorgehen beim Klimaschutz, wie es die vier Diskussionsteilnehmer übereinstimmend einforderten. Die Frage, wie die nötigen Maßnahmen bezahlt werden sollen, bleibt offen. Die Kunden der GdW-Mitgliedsunternehmen könnten in ihrer großen Mehrheit keine höheren Mieten schultern, gab Gedaschko zu bedenken. Insbesondere Unternehmen, die Durchschnittsmieten von weniger als fünf Euro pro Quadratmeter verlangten und deren Bestände mit Gasetagenheizungen ausgestattet seien, fragten sich, wie sie die nötigen Maßnahmen für den Klimaschutz finanzieren sollten. Aber auch finanziell besser ausgestattete Unternehmen hätten erkannt, dass der bisherige technische Weg auf Basis des Effizienzgedankens ihre Liquidität schon in wenigen Jahren überfordern werde. Deshalb, so Gedaschko, seien geringinvestive Maßnahmen und der Einbezug der Energieversorgung so wichtig. 

"Man darf die Wirtschaft und die Bürger nicht überfordern." Dr. Christian Ricken, Aareal Bank AG

Dennoch sei er nicht dafür, das Gebäudeenergiegesetz (GEG) abzuschaffen, antwortete Gedaschko auf eine entsprechende Frage von Moderator Tuma. Wegen der "Hyperkomplexität" des GEG müsse dieses jedoch geändert werden. Aber selbst dann gebe es noch ein weiteres Problem, nämlich die EU-Taxonomie. Gedaschko übte grundsätzliche Kritik am Ansatz der Taxonomie und insbesondere an der Regelung, wonach nur diejenigen Neubauten als taxonomiekonform gelten, deren Primärenergiebedarf um mindestens zehn Prozent unter dem nationalen Standard liegt.

"Damit sind wir wieder auf dem falschen Pfad", bedauerte der GdW-Präsident. Ein Bestandshalter, der seinen unsanierten Bestand schrittweise modernisiere, werde benachteiligt, obwohl er doch eine wesentliche Verbesserung erziele. Das ist auch aus Sicht von Finanzierern eine Herausforderung, wie Ricken von der Aareal Bank bestätigte: Nach seinen Worten erschweren die Taxonomie-Vorgaben die Finanzierung CO2-intensiver Unternehmungen. Beispielsweise wirkt sich die Modernisierung eines Gas- oder Kohlekraftwerks negativ auf die Reporting-Pflichten der finanzierenden Banken aus – selbst wenn dadurch realwirtschaftlich CO2 eingespart werden könnte.

Ein übergreifendes, pragmatisches Vorgehen wünschten sich die Diskussionsteilnehmer noch bei einem weiteren Thema, nämlich der kommunalen Wärmeplanung. Es sei nicht zielführend, isoliert die Wärme zu betrachten, erklärte MVV-Vorstandsmitglied Klöpfer. Vielmehr müsse man die Wärmeplanung mit der Stadtplanung verknüpfen und zum Beispiel bei der Dimensionierung einer Anlage berücksichtigen, wenn in einem Quartier der Bau einer Sporthalle geplant sei. Auch die Elektromobilität sollte wegen der damit verbundenen Batteriekapazitäten einbezogen werden, ergänzte Hausladen und sprach sich für einen Energienutzungsplan anstelle eines Wärmenutzungsplans aus.

Umsetzungsproblem, nicht Erkenntnisproblem

Wie ein roter Faden durch die Diskussion zog sich die Aussage, die Klimaforscher Mojib Latif in seinem Eingangsstatement getätigt hatte: "Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem." Warum aber ist es so schwierig, den Klimawandel in den Griff zu bekommen? Das liege daran, dass er ein globales Problem sei, erklärte Latif. "Alle Länder müssen gemeinsam handeln." Das mache es schwierig, weil ein Land wie Saudi-Arabien kein Interesse an einem raschen Ausstieg aus dem Öl habe. 

Doch auch wenn CO2 keine Grenzen kenne, brauche es Vorreiter beim Klimaschutz, betonte Latif. Deutschland könne zeigen, wie es gehe, und profitiere auch wirtschaftlich davon, argumentierte er: "Wenn wir den Anschluss an die technologische Entwicklung verlieren, werden wir auch unseren Wohlstand verlieren. Es liegt in unserem ureigenen Interesse, voranzugehen." Klimaschutz koste etwas, stellte Latif klar; deshalb müsse man die Menschen an anderer Stelle entlasten. Dabei dürfte der Klimaforscher den Wohnungswirtschaftlern aus der Seele gesprochen haben, als er sagte: "Wir müssen Klimaschutz immer mit der sozialen Frage verbinden."


Das Brandenburger Hof Gespräch fand mit freundlicher Unterstützung der Aareal Bank statt.

Der Beitrag stammt aus Ausgabe 02/25 der DW Die Wohnungswirtschaft


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