Genossenschaftliches Modell für den Bau von Werkswohnungen
Wie wichtig das Thema Mitarbeiterwohnungen ist, haben die beiden Studien gezeigt, die das Institut Regiokontext 2016 und 2019 im Auftrag des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen und anderer Verbände vorgelegt hat. Das Instrument der Mitarbeiterwohnungen, stellten die Autoren der zweiten Untersuchung fest, "kann nicht nur Unternehmen bei der Personalgewinnung dienen – es hilft auch bei der Entlastung angespannter Wohnungsmärkte und verbessert das Angebot an bezahlbaren Wohnungen".
Ganz ähnliche Erfahrungen hat Dr. Peter Diedrich gemacht. "Ein Thema brennt fast jedem mittelständischen Unternehmen unter den Nägeln: der Fachkräftemangel", sagt der Berliner Rechtsanwalt, der auch Vorsitzender der Bundeskommission Recht im Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) und Vorsitzender des 2019 gegründeten Deutschen Verbands Job & Wohnen ist. "Und der Fachkräftemangel", betont Diedrich, "hängt wesentlich mit dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum zusammen."
Um der Knappheit abzuhelfen, hat Diedrich ein neues Modell für den Bau und die Bewirtschaftung von Mitarbeiterwohnungen entwickelt. Es sieht vor, dass Unternehmen eine Genossenschaft gründen, um bezahlbaren Wohnraum für die Mitarbeiter zu schaffen. Die Mitglieder der Genossenschaft sichern sich ein Belegungsrecht, das im Grundbuch eingetragen ist. Damit können sie potenziellen neuen Mitarbeitern mit der Arbeitsstelle gleich eine Wohnung anbieten – nach Überzeugung der Initiatoren ist das ein entscheidender Vorteil im Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte.
Genossenschaftliche Werkswohnung: Pilotprojekt in Berlin
Ein erstes Projekt ist auf einem rund 6.400 Quadratmeter großen Grundstück im Berliner Bezirk Spandau geplant. An der Havelschanze will die Erste Mitarbeiter-Wohnungsbaugenossenschaft Job & Wohnen Berlin eG vier Wohngebäude mit zirka130 Wohnungen und 6.500 Quadratmeter Wohnfläche errichten. In einem fünften Gebäude sollen ein Kindergarten, ein Coworking-Bereich und ein Gemeinschaftscafé untergebracht werden. Das Investitionsvolumen beziffert Dr. Peter Diedrich auf 20 Millionen Euro, die Bruttoherstellungskosten (also sämtliche Kosten ohne Grundstück) auf maximal 2.750 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche.
Erreichen wollen Diedrich und seine Mitstreiter diese im Vergleich zu anderen Bauvorhaben ausgesprochen günstigen Kosten durch eine serielle Bauweise, die vorzugsweise als Holzhybridbau ausgeführt wird. Die Pläne stammen von der Berliner Architektin Eva Dedering vom Büro DGK Architekten, die auch im Vorstand des von Diedrich als "Think Tank" bezeichneten Deutschen Verbands Job & Wohnen sitzt. Den Baubeginn stellen die Verantwortlichen für das zweite Quartal 2022 in Aussicht. Die Genossenschaft hat bisher acht Unternehmen als Mitglieder. Prüfverband ist der Genossenschaftsverband – Verband der Regionen.
Grundstücke im Erbbaurecht
Aus wohnungswirtschaftlicher Sicht stellen sich dabei einige Fragen – zum Beispiel, wie die Genossenschaft auf dem hart umkämpften Berliner Markt an Grundstücke kommt. Im Fall von Spandau hat das Abgeordnetenhaus laut Diedrich im Sommer 2020 empfohlen, das Grundstück direkt an die Genossenschaft zu vergeben. Dafür habe sich besonders der damalige Staatssekretär und heute Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Die Linke) eingesetzt, so Diedrich. Die Direktvergabe eines Grundstücks durch die Berliner Immobilienmanagement GmbH ist in Ausnahmefällen zulässig, wenn das dadurch ermöglichte Vorhaben im speziellen Interesse des Landes Berlin liegt.
Unterzeichnet ist der Erbbaurechtsvertrag für das Spandauer Grundstück allerdings noch nicht. Diedrich begründet das damit, dass gegenwärtig eine neue Regelung zur Höhe des Erbbauzinses diskutiert werde. Derzeit beträgt dieser in Berlin für Wohnungsbaugrundstücke 2,25 Prozent für die ersten 20 Jahre; danach sind es 4,5 Prozent. Die Genossenschaft hofft, dass der Zins auf 1,5 Prozent gesenkt wird. Grundsätzlich bevorzugt sie Grundstücke im Erbbaurecht. "Weil aber die Kapitalmarktzinsen sehr niedrig sind, schließen wir auch den Kauf von Grundstücken nicht aus", sagt Diedrich.
Zweite Frage: Woher nimmt die Genossenschaft das nötige Know-how? Dafür haben sich die Initiatoren ein Modell ausgedacht, bei dem die Genossenschaft ohne eigenes Personal auskommt. Mit dem Bau der Wohnanlage will sie einen Generalunternehmer beauftragen, wobei laut Diedrich derzeit Verhandlungen mit drei Unternehmen geführt werden. Für die Projektentwicklung und den Betrieb soll eine eigenständige Servicegesellschaft gegründet werden – ein Modell, das laut Diedrich von den Energiegenossenschaften stammt. Denkbar ist nach seinen Worten aber auch eine punktuelle Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft. "Wir haben viele Gespräche mit Wohnungsgenossenschaften und -unternehmen geführt und können uns eine Zusammenarbeit bei der Bewirtschaftung unserer Wohnungen vorstellen", sagt Diedrich.
Für die Finanzierung strebt die Genossenschaft einen Mix aus 20 Prozent Eigenkapital sowie 80 Prozent Fördermitteln und Kapitalmarktdarlehen an. Für das Eigenkapital müssen die Genossenschaftsmitglieder ein Nachrang-Gesellschafterdarlehen einbringen, das 20 Prozent der Baukosten entspricht. Bei Baukosten von 2.750 Euro pro Quadratmeter sind das 550 Euro pro Quadratmeter. Das Darlehen wird mit 0,25 Prozent pro Jahr verzinst. Hinzu kommt ein Genossenschaftsanteil, der bei einer Einzimmerwohnung zwei Anteile à 250 Euro beträgt. Auf diese Weise soll für die frei finanzierten Wohnungen eine Kaltmiete von 8,50 Euro pro Quadratmeter (für Vierzimmerwohnungen) bis zehn Euro pro Quadratmeter (für Einzimmerwohnungen) ermöglicht werden. 30 Prozent der Wohnungen in Spandau sollen öffentlich gefördert sein.
GdW: Wohnungsnutzer sollten Genossenschaftsmitglied sein
"Im Allgemeinen begrüßen wir Anstrengungen im Bereich des Mitarbeiterwohnens", kommentiert GdW-Hauptgeschäftsführerin Ingeborg Esser das Modell. "Grundsätzlich würden wir es jedoch befürworten, wenn die Wohnungsnutzer auch Mitglieder der Genossenschaft sind." Zwar erlaube es das Genossenschaftsrecht, dass Nichtmitglieder unter bestimmten Voraussetzungen Wohnungen nutzten. "Hierbei gibt es jedoch Grenzen", gibt Esser zu bedenken. "Das Nichtmitgliedergeschäft darf nicht überwiegen oder ausschließlich betrieben werden." Jedenfalls, sagt Esser, handle es sich bei der Job & Wohnen eG "nicht um eine klassische Wohnungsgenossenschaft".
Eine Besonderheit ist darüber hinaus die Koppelung von Arbeits- und Mietvertrag. Weil die Regelungen der Werksmietwohnung gelten, kann der Arbeitgeber eines Wohnungsmieters die Genossenschaft auffordern, den Mietvertrag zu kündigen, wenn ein Mitarbeiter den Arbeitsplatz wechselt. Wenn aber ein langjähriger Mitarbeiter in Rente gehe, so werde in aller Regel das Mietverhältnis unverändert fortgeführt werden, so Diedrich.
Ausrollen wollen Diedrich und seine Mitstreiter da Modell auch in anderen deutschen Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt. Dabei wollen sie für jeden Standort eine eigene Genossenschaft gründen. Hilfreich wäre es laut Diedrich, wenn alle Bundesländer ein spezielles Förderprogramm für Mitarbeiterwohnungen auflegen würden, wie es derzeit nur Mecklenburg-Vorpommern anbietet. "Wirklich bedauerlich" findet Diedrich zudem, "dass bei den gemeinwohlorientierten Investitionen der Staat die gezahlte Mehrwertsteuer in Höhe von 19 Prozent nicht zurückbezahlt".
Weitere Informationen: www.jobundwohnen.de
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