Lehrermangel an Grundschulen ist bald vorbei

Nach Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung wird es ab dem Jahr 2024 ein Überangebot an ausgebildeten Lehrkräften für Grundschulen geben. Die Studie empfiehlt, die zusätzlichen Lehrkräfte für die Verbesserung des Unterrichts einzusetzen.

Seit Jahren leiden die Grundschulen in Deutschland unter dem Mangel an Lehrkräften, doch nach einer neuen Prognose der Bertelsmann-Stiftung wird sich dieser Trend bis Mitte des Jahrzehnts umkehren. Wie der Bildungsforscher Klaus Klemm gemeinsam mit dem Bildungsexperten Dirk Zorn berechnete, dürften von 2023 bis 2035 insgesamt rund 96.250 fertig ausgebildete Lehrkräfte fürs Grundschullehramt zur Verfügung stehen. Der Bedarf an neuen Einstellungen im selben Zeitraum wird jedoch voraussichtlich nur etwas mehr als 50.000 Personen umfassen. Bis zum Jahr 2035 werden also zusammengenommen 45.800 Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer mehr bereitstehen, als erforderlich wären, um den Unterricht abzudecken. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hatte in ihrer Prognose aus dem vergangenen Monat noch einen Gesamtüberschuss von nur 6.300 Absolventinnen und Absolventen ermittelt.

Aus Sicht der Bertelsmann-Stiftung ist für diese Abweichung die Trendwende in der demografischen Entwicklung verantwortlich. Während im Jahr 2021 in Deutschland noch 795.500 Kinder geboren wurden, waren es 2022 noch 738.800 und 2023 hochgerechnet nur noch 689.300. Dieser deutliche Rückgang um mehr als 100.000 Geburten führt dazu, dass auch die Anzahl der Schülerinnen und Schüler ab dem Jahr 2028 stärker zurückgehen wird, als in der KMK-Prognose angenommen. Auch für die Folgejahre gehen die Studienautoren von geringeren Geburtenzahlen aus. Laut den Berechnungen wird der Bedarf an Grundschullehrkräften im Jahr 2025 mit mehr als 213.000 seinen Höchststand erreichen und dann bis 2035 auf rund 180.000 abnehmen. Der Bedarf an Neueinstellungen wird voraussichtlich in den Jahren 2029 bis 2032 besonders stark sinken, danach allerdings wieder etwas ansteigen, da mehr Lehrkräfte in den Ruhestand eintreten.

Mehrangebot an Lehrkräften bedeutet pädagogische Chance und politische Verantwortung

"Der Lehrkräftemangel in der Grundschule wird schon bald vielerorts überwunden sein. Angesichts der schlechten Nachrichten für das deutsche Bildungssystem in den vergangenen Monaten, vom IQB-Bildungstrend bis PISA, ist das eindeutig ein Lichtblick", sagt Bildungsexperte Dirk Zorn. Allerdings bleibe die Lage in anderen Schulstufen und in bestimmten Fächern weiterhin angespannt, merkt der Experte an. Vor allem in den nicht-gymnasialen weiterführenden Schulen sowie in den MINT-Fächern herrscht noch auf absehbare Zeit ein großer Mangel an Lehrkräften.

Das zu erwartende Mehrangebot an Lehrkräften im Grundschulbereich – schon für das laufende Jahr 2024 rechnen die Studienautoren mit einem Überschuss von rund 2.300 Personen – stellt an die Schulpolitik aber zugleich die Herausforderung, den Absolventinnen und Absolventen verlässliche Perspektiven zu bieten.

Einsatzmöglichkeiten für die zusätzlichen Lehrkräfte

Die Studienautoren empfehlen, drei Bereiche besonders in den Blick zu nehmen: Erstens könnten die zusätzlichen Lehrkräfte das ab dem Schuljahr 2024/2025 von Bund und Ländern geplante Startchancen-Programm verstärken. Es soll dazu dienen, 4.000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schülern gezielter zu fördern, davon ca. 2.400 Grundschulen. Die Experten raten dazu, zusätzliche Lehrkräftestellen für das Programm einzurichten, die aktuell nicht vorgesehen sind. "Es besteht die seltene Gelegenheit, die Schulen mit den größten Bedarfen personell deutlich besser auszustatten", betont Zorn.

Zweitens könnten die Lehrkräfte im Grundschul-Ganztag zum Einsatz kommen. Hier besteht Handlungsdruck, da ab 2026 der Rechtsanspruch auf eine ganztägige Förderung von Kindern im Grundschulalter greift. Im Rahmen multiprofessioneller Teams könnten die Lehrerinnen und Lehrer den großen Zusatzbedarf an pädagogischen Fachkräften zumindest teilweise abfedern. Drittens erscheint es sinnvoll, einen Teil der Lehrkräfte in den Jahrgangsstufen fünf und sechs einzusetzen, wo weiterhin viele Lehrerinnen und Lehrer fehlen. Dazu bedarf es allerdings einer zusätzlichen Qualifizierung, etwa bereits im Zuge des Lehramtsstudiums.

Angesichts des zu erwartenden Mehrangebots an regulär ausgebildeten Lehrkräften stellt sich auch die Frage, welche Rolle Quereinsteiger an Grundschulen künftig spielen. Dirk Zorn geht davon aus, dass sie punktuell nach wie vor benötigt werden. Das gelte etwa für Grundschulen in Regionen, in denen weiterhin mit einem Mangel an Lehrkräften zu rechnen ist.

Den Zyklus aus Mangel und Überschuss durchbrechen

Grundsätzlich regen die Studienautoren an, die Geburtenentwicklung aktueller zu berücksichtigen, um belastbarere Prognosen zur Schülerzahl und damit auch den künftigen Bedarf an Lehrkräften zu treffen. Ausbildungswege sollten so flexibel gestaltet sein, dass sie besser auf demografische Schwankungen reagieren können, etwa durch Quereinstiegs-Masterstudiengänge. Solche Maßnahmen könnten dazu beitragen, den schon oft beobachteten Zyklus aus Mangel- und Überschussphasen in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern zu durchbrechen.

Hier können Sie die Studie „Weniger Geburten, mehr Lehrkräfte“ herunterladen.

Bertelsmann-Stiftung

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