Fachleute empfehlen weniger Krankenhäuser für bessere Versorgung
Wenn die Zahl der Kliniken von derzeit knapp 1.400 auf weniger als 600 sinke, könnten die verbleibenden Häuser deutlich mehr Personal und eine bessere Ausstattung erhalten, heißt es in der Untersuchung des Berliner Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Bei Krankenhäusern und Ärzten stießen die Empfehlungen auf heftige Kritik.
Bundesgesundheitsmister: Mix aus Wohnortnähe und Spezialisierung
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach sich für einen Mix aus wohnortnaher Versorgung und Spezialisierung aus. «Nicht jedes Krankenhaus muss alles machen. Hier sollten wir unsere Kräfte besser bündeln», sagte er. «Kompliziertere Fälle gehören in ein Krankenhaus, das in der Behandlung Routine hat.» Denn die Qualität einer Behandlung hänge stark mit der Erfahrung des Krankenhauses zusammen. Kliniken, denen diese nötige Routine fehle, stehe bereits jetzt keine Vergütung für diese Behandlung zu.
Autoren der Studie sehen Vorteile in Spezialisierung
«Nur Kliniken mit größeren Fachabteilungen und mehr Patienten haben genügend Erfahrung für eine sichere Behandlung», betonen die Autoren der Studie dagegen. Kleine Kliniken verfügten dagegen häufig nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung, um lebensbedrohliche Notfälle wie einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall angemessen behandeln zu können. Viele Komplikationen und Todesfälle ließen sich durch eine Bündelung von Ärzten und Pflegepersonal sowie Geräten in weniger Krankenhäusern vermeiden.
Für die Studie wurde ein Zielbild für Deutschland entwickelt, das sich an den benannten Qualitätskriterien orientiert. Im Anschluss berechnete das IGES in einer Simulation, wie sich eine verpflichtende Einhaltung dieser Vorgaben auf die Kliniklandschaft einer ganzen Region auswirken würde. Die Wahl fiel dabei auf den Großraum Köln/Leverkusen, der sowohl von städtischen als auch ländlichen Gebieten geprägt ist. In dieser Region könne mit 14 statt den aktuell 38 Akutkrankenhäusern eine bessere Versorgung angeboten werden, ohne dass die Patienten im Durchschnitt viel längere Fahrzeiten in Kauf nehmen müssten.
"Das Ergebnis, dass in der betrachteten Region eine Reduzierung auf weniger als die Hälfte der Kliniken zu einer Verbesserung der Versorgung führen würde, klingt zunächst drastisch", sagt der internationale Krankenhausexperte Uwe Preusker. An vielen Stellen lägen der Berechnung jedoch eher zurückhaltende Annahmen zugrunde, so zum Beispiel bei der medizinisch erforderlichen Leistungsmenge oder der Verweildauer im Krankenhaus. "Beide liegen in vergleichbaren Ländern deutlich niedriger", erklärt Preusker. Wenn man sich am internationalen Standard orientieren würde, müsste man einen deutlich konsequenteren Umstrukturierungsprozess einleiten, so der Experte.
Deutschland weist im internationalen Vergleich im Durchschnitt mehr medizinisches Personal pro Einwohner auf als vergleichbare Länder, aber weniger pro Patient. Diese paradoxe Situation liegt daran, dass in der Bundesrepublik viel mehr Patienten in Krankenhäusern versorgt werden als im Ausland. Wie Untersuchungen ergaben, müssten rund ein Viertel der heute in deutschen Kliniken behandelten Fälle nicht stationär versorgt werden.
Die Autoren der Bertelsmann-Studie schlagen einen zweistufigen Aufbau einer neuen Krankenhausstruktur vor. Neben Versorgungskrankenhäusern mit durchschnittlich gut 600 Betten soll es etwa 50 Unikliniken und andere Maximalversorger mit im Schnitt 1.300 Betten geben. Aktuell hat ein Drittel der deutschen Krankenhäuser weniger als 100 Betten.
Debatte wird schon länger geführt
Die Debatte über eine Verringerung der Zahl der Krankenhäuser in Deutschland ist nicht neu. «Zugänglichkeit und Qualität der Klinken stehen seit langem in einem Spannungsverhältnis», sagte Jürgen Wasem, Professor für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen. «Es geschieht auch schon einiges. Mit dem Krankenhausstrukturfonds werden die Zusammenlegung und die Schließung von Krankenhäusern finanziell unterstützt.»
In den Städten wäre die Nahversorgung zwar auch bei einer Schließung von Kliniken gesichert, glaubt Wasem. Aber: «Im ländlichen Raum sieht das anders aus. Dort stellt sich das Problem der Zugänglichkeit deutlich krasser.»Die Bertelsmann-Untersuchung räumt dazu auch ein: In ländlichen Kreisen mit unter 75 Einwohnern pro Quadratkilometer - derzeit 28 Kreise in acht Bundesländern - werde es dann wohl kaum möglich sein, binnen 30 Minuten ein größeres Krankenhaus zu erreichen.
Deutsche Krankenhausgesellschaft warnt vor Zerstörung von Infrastruktur
Die Vorstellung, dass die Krankenhausversorgung vor allem im ländlichen Raum ausgedünnt wird, löst vielerorts Besorgnis aus. Ein solcher Schritt würde auch den Forderungen der Kommission «gleichwertige Lebensverhältnisse» nach Sicherung einer gut erreichbaren, wohnortnahen Gesundheitsinfrastruktur widersprechen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft warnte vor einer «Zerstörung von sozialer Infrastruktur in einem geradezu abenteuerlichen Ausmaß». Spahn hatte kürzlich betont: «Ein Krankenhaus vor Ort ist für viele Bürger ein Stück Heimat.»
Die Einschätzung des Berliner Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung sei «absolut unbelegt», so die Krankenhausgesellschaft. Die Qualität der Versorgung in den Kliniken werde seit Jahren gemessen, mit wenigen Ausnahmen werde jedes Jahr allen beteiligten Kliniken ein hohes Niveau bestätigt. Bei einem Großteil der Krankenhausbehandlungen handele es sich um medizinische Grundversorgung, wie Geburten oder altersbedingte Krankheitsbilder der Inneren Medizin. Sie müssten «möglichst familien- und wohnortnah in erreichbaren Krankenhäusern» erbracht werden.
In der Bertelsmann-Studie heißt es dagegen, die schnelle Erreichbarkeit eines kleinen Krankenhauses sei nur ein vermeintlicher Vorteil. Wenn dort kein Facharzt verfügbar sei, habe die Klinik einen gravierenden Qualitätsnachteil. Im Regelfall wären die Kliniken auch dann innerhalb von 30 Minuten zu erreichen, wenn ihre Gesamtzahl deutlich verringert würde. In ländlichen Kreisen mit geringer Bevölkerungsdichte sei dies allerdings kaum möglich, räumen die Autoren ein. Dies gelte für insgesamt 28 Kreise in acht Bundesländern.
Stiftung für Patientenschutz: Maximalversorgung für die meisten Patienten unnötig
«Es braucht eine gut erreichbare Grundversorgung vor Ort ebenso wie eine Hochleistungsmedizin in der Region», fordert Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung für Patientenschutz. «Über die Hälfte der Krankenhäuser zu schließen, ist kein Konzept, sondern Kahlschlag. Das mag wissenschaftlich begründet sein, wäre für die Menschen aber verheerend», kritisiert er. Es gehe auch gar nicht immer um komplizierte Operationen. Die Versorgung müsse auch für Patienten sichergestellt werden, die in der Klinik keine Maximaltherapie benötigten. «Das sind vor allem alte, pflegebedürftige und chronisch kranke Menschen.» Mehr als 60 Prozent aller Klinikpatienten.
Bundesärztekammer und Ärztegewerkschaft kritisch
Bundesärztekammerpräsident Klaus Reinhardt nannte den Vorschlag der Experten «mehr als befremdlich». In Ballungsgebieten könnten größere Strukturen aber «durchaus sinnvoll» sein, räumte er ein.
Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund betonte: «Versorgungsprobleme werden nicht dadurch gelöst, dass pauschal regionale, leicht zugängliche Versorgungskapazitäten ausgedünnt werden.»
Strukturelle Probleme, wie sie in der Notfallversorgung zu Tage treten, seien längst erkannt, an Konzepten werde intensiv gearbeitet. So habe der Marburger Bund erst jüngst gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ein Konzept zur Etablierung gemeinsamer Anlaufstellen von Krankenhäusern und Bereitschaftspraxen der niedergelassenen Ärzte vorgelegt. Um eine gute stationäre Versorgung sicherzustellen, seien deutlich erhöhte Investitionen in Krankenhäuser für Umstrukturierungen, neue Technologien und Digitalisierung notwendig. Dazu sei es dringend erforderlich, dass die Länder ihrer Investitionsverpflichtung vollumfänglich nachkommen, so der Marburger Bund in einer Stellungnahme.
Außerdem fordet die Ärztegewerkschaft eine Unterstützung durch den Bund: «Für die Implementierung neuer digitaler Technologien ist zusätzlich der Einsatz von Bundesmitteln unabdingbar. Was wir nicht brauchen, ist eine weitere Zurichtung der Krankenhauslandschaft im Sinne einer profitorientierten Konzernbildung.»
Spitzenverband GKV: Differenzierte Betrachtung je nach Region
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen begrüßt dagegen die Empfehlungen aus Gütersloh - beim Blick auf die Ballungsgebiete. Dort gebe es zu viele Kliniken, die sich untereinander Konkurrenz machten - um Ärzte, Pflegepersonal und auch Patienten, sagt Sprecherin Ann Marini. Die ländlichen Regionen müsse man aber anders betrachten. Hier förderten die Kassen bereits einige Kliniken mit prekärer Finanzlage. Und 2020 komme ein neuer Zuschlag für 120 unentbehrliche Häuser im ländlichen Raum hinzu.
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