Datenschutz und AGG: Rechtliche Aspekte im Recruitingverfahren
Mit dem Bewerbermanagement werden, meist softwarebasiert, Bewerberdaten aus unterschiedlichsten Kanälen – von der klassischen Bewerbungsmappe über E-Mail bis zum Online-Bewerbungsformular – erfasst, gesammelt und nach bestimmten Kriterien vorselektiert. Doch welche Anforderungen sind an den Einsatz von Videointerviews oder an die Vorauswahl von Bewerbern anhand von Algorithmen zu stellen? Und welche rechtlichen Vorgaben ergeben sich durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)?
Vorsicht beim Einsatz von Videointerviews zur Bewerberauswahl
Für die Bewerberauswahl bieten einige Tools die Möglichkeit, Videointerviews zu führen. Dabei werden die Fragen lediglich eingeblendet und die Antworten zur späteren Bewertung durch Vertreter des potenziellen Arbeitgebers aufgezeichnet. Währenddessen ist kein Interviewer zugeschaltet.
Die Aufsichtsbehörden, insbesondere in Nordrhein-Westfalen und Berlin, lehnen diese Videointerviews strikt ab. Sie sehen hierin einen wesentlich intensiveren Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Arbeitnehmers als in einem persönlichen Bewerbungsgespräch – zumal die Aufnahmen mehrmals hintereinander abgespielt werden können.
Bußgelder nach DSGVO drohen
Diese Computerauswahl sei keine für die Begründung eines Arbeitsverhältnisses erforderliche Datenerfassung im Sinne des § 26 Abs. 1 BDSG, weil als mildere Mittel klassische Realinterviews geführt werden könnten. Es fehle somit die erforderliche Erlaubnisgrundlage. Selbst wenn die Bewerber eingewilligt haben, sei dies nicht zulässig. Schließlich könne die Einwilligung innerhalb des vorgegebenen Bewerbungsablaufs nicht freiwillig erfolgt sein.
Aufgrund der strikten Ablehnung der Aufsichtsbehörden ist für Arbeitgeber bei Videointerviews grundsätzlich Vorsicht geboten. Zwar stoßen die Datenschutzbeauftragten nicht überall auf Verständnis. So werden Videointerviews zum Teil nicht als ein strikterer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht angesehen als die klassische Variante, da auch hier letztlich mehrere Interviewer als Beobachter zugegen sein können. Dennoch riskieren Unternehmen beim Einsatz solcher Tools Bußgelder nach der DSGVO.
"Unter dem Gesichtspunkt des Beschäftigtendatenschutzes sind sogenannte People-Analytics-Tools bedenklich." Rechtsanwältin Anja Branz
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Datenschutz und Bewerberauswahl mittels People-Analytics-Tools
Unter dem Gesichtspunkt des Beschäftigtendatenschutzes sind sogenannte People-Analytics-Tools bedenklich. Dieser Begriff umfasst auf Algorithmen basierende Analysen von Bewerberdaten, die Rückschlüsse auf die Eignung von Bewerbern für die auszuübende Tätigkeit, aber auch auf deren Persönlichkeit möglich machen sollen. Derartige Datenanalysen sind zulässig, soweit die zugrunde liegenden Daten zulässigerweise erhoben werden durften und der Arbeitgeber damit Erkenntnisse über die Eignung eines Bewerbers für die auszuübende Tätigkeit treffen kann. Im Umkehrschluss sind sie unzulässig, soweit diese Analysen Rückschlüsse auf allgemeine Eigenschaften oder Persönlichkeitsmerkmale des Bewerbers erlauben, die keinen Bezug zur auszuübenden Tätigkeit haben. Werden also öffentlich verfügbare Texte, wie zum Beispiel Diplom-, Master- oder Doktorarbeiten mittels Software analysiert und werden hierdurch Rückschlüsse auf die Persönlichkeit der Bewerber gezogen, ist dies grundsätzlich unzulässig. Denn ein Durchleuchten der Persönlichkeit ist für die Begründung des Arbeitsverhältnisses nicht erforderlich.
Datenschutz und Bewerberauswahl mit sogenannten Scoring-Verfahren
Es gibt Bewerbertools, welche die bereits gespeicherten Leistungs- und Verhaltensdaten eines Bewerbers in einem Talentpool analysieren. Auf dieser Grundlage und unter Anwendung mathematischer Algorithmen wird ein Wahrscheinlichkeitswert („Score“) ermittelt. Dieser soll prognostizieren, wie wahrscheinlich es ist, dass jemand die Eigenschaften für eine bestimmte Stelle mitbringt. Vor Geltung der DSGVO und des neuen BDSG war dies unzulässig, da die Vorschriften über das Scoring-Verfahren § 28b Nr.2 BDSG (alte Fassung) nicht auf den früheren § 32 BDSG verwiesen. Dies ist beim nun geltenden § 31 BDSG anders. Die Norm verweist auf „sämtliche Vorschriften des Datenschutzes“. Dennoch kann eine Entscheidung nur dann mithilfe eines Scoring-Verfahrens getroffen werden, wenn
- ein wissenschaftlich mathematisches Verfahren zugrunde gelegt wird,
- die Entscheidung nicht allein von dem ermittelten Wahrscheinlichkeitswert abhängig gemacht wird (der Scoring-Wert darf lediglich eine Unterstützung zur Begründung des Arbeitsverhältnisses sein),
- die zur Berechnung des Wahrscheinlichkeitswerts verwendeten Leistungs- und Verhaltensdaten nach allgemeinen beschäftigungsdatenschutzrechtlichen Grundsätzen zulässig erhoben worden sind. Dabei ist in einer Interessenabwägung die Erforderlichkeit zu prüfen und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten.
AGG: Was ist bei Online-Stellenausschreibungen zu beachten?
Auch wenn Online-Tools häufig für eine Vielzahl von Stellen die Ausschreibungen erstellen, muss dennoch jede einzelne Position für sich diskriminierungsfrei formuliert sein. Beinhaltet sie bereits ein Diskriminierungsindiz, führt das zu der Gefahr von Entschädigungsklagen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Daher ist unbedingt darauf zu achten, dass die Stellenausschreibung wegen möglicher Diskriminierungsmerkmale neutral ausgestaltet ist. Insbesondere zu einer geschlechtsneutralen Stellenausschreibung gehörte bisher einerseits die geschlechtsunspezifische Tätigkeitsbezeichnung (zum Beispiel durch den Zusatz „m/w“). Andererseits musste auch in der Tätigkeitsbeschreibung darauf geachtet werden, nicht nur von „ihm“ oder „ihr“ zu sprechen.
BVerfG: Drittes Geschlecht nicht vergessen
Seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) (vom 10. 10. 2017, Az. 1 BvR 2019/16) wird dies schwieriger: Danach soll es nun einen dritten Geschlechtseintrag im Behördenregister geben – eine entsprechende Regelung muss der Gesetzgeber bis Ende 2018 schaffen. Da jedoch das „dritte Geschlecht“ grundsätzlich anerkannt wird, könnte sich ein Betroffener schon jetzt auf den BVerfG-Beschluss berufen. Dies hat – vor dem Hintergrund des AGG – Auswirkungen auf die Formulierung von Stellenanzeigen. Grundsätzlich gilt: Wer ein Geschlecht nicht nennt, setzt sich dem Verdacht aus, dieses zu diskriminieren – und er riskiert empfindliche Schadensersatzforderungen. Da das BVerfG keine Vorgaben gemacht hat, wie das „dritte Geschlecht“ künftig zu bezeichnen ist, sollten Unternehmen etwa den Begriff geschlechtsneutral „gsn“ in eine Stellenausschreibung aufnehmen, um eine Benachteiligung nach dem AGG zu vermeiden.
Stellenanzeigen ohne Diskriminierung formulieren
Klassischerweise ist auch hinsichtlich der Bezugnahme auf ein bestimmtes Alter Vorsicht geboten: neben der expliziten Suche nach einem „jungen Mitarbeiter“ zum Beispiel auch durch Ausdrücke wie „junges, dynamisches Team“, „langjährig“ oder „Berufsanfänger“. Beim „Berufsanfänger“ gilt das jedoch nur, wenn der Arbeitgeber ausschließlich nach Berufsanfängern sucht und nicht auch nach Menschen mit (erster) Berufserfahrung.
Auch altersneutral formulierte Stellenanzeigen können aber Bewerber benachteiligen, wenn sie als Werbung in sozialen Netzwerken nur Usern einer bestimmten Altersgruppe (zum Beispiel zwischen 18 und 38 Jahren) angezeigt werden. Allerdings dürfte ein solches Diskriminierungsindiz nur schwer zu beweisen sein.
Nicht zuletzt ist auch beim Absage-Schreiben Vorsicht geboten: Die Begründung der Absage darf keinen (mittelbaren) Bezug zu einem Diskriminierungsmerkmal aufweisen. Vielmehr sollte sie allein auf die Qualifikation gestützt sein.
Hinweis: Welche weiteren rechtlichen Vorgaben bei der Verwaltung von Bewerberdaten unter Einsatz von Software zum Tragen kommen, können Sie im vollständigen Artikel zum Bewerbermanagement, erschienen im Personalmagazin, Heft 10/28, nachlesen. Hier geht es zur Personalmagazin-App.
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