Ich sitze gerade mit dem Notebook im Garten, an einem schattigen Plätzchen (bei über 30 Grad auch angebracht), und schreibe meinen Kolumnentext. Am Wochenende hat es – nach vielen Tagen Sonnenschein – geregnet, und da fällt mir ein, dass eigentlich jeder Sommer in Deutschland als der "verregnetste seit Jahrzehnten" bezeichnet wird, nur weil mal ein Regentag dazwischen lag.
Was das mit Arbeitsrecht zu tun hat? Nun: "In Deutschland haben wir das schlimmste Arbeitsrecht der Welt. Und dann noch Betriebsrat und Gewerkschaften." Kommt Ihnen das bekannt vor?
Arbeitsrecht im Vergleich: Arbeitnehmerüberlassung andernorts nicht selbstverständlich
Auch anderswo auf der Welt sieht es mit dem Arbeitsrecht nicht wirklich so viel anders aus. Ich habe vor etlichen Wochen mit meinem polnischen Kollegen gesprochen, wie wir das mit Entsendungen machen – von einem Land ins andere und natürlich über die Grenze der "legal entity" hinweg. Er wurde sichtlich nervös, bis er schlussendlich sagte: "Du, das geht einfach nicht. Was du mir schilderst, also 'Konzernleihe', das geht bei uns nicht."
Arbeitnehmerüberlassung im Konzern ist in anderen Ländern also gar nicht selbstverständlich, übrigens auch nicht ohne Weiteres, wenn in die Schweiz entsendet wird. Es gibt auch außerhalb Europas geregelte Märkte: In Indien beispielsweise bedarf es einer Erlaubnis für den Verleih von "blue collar" Beschäftigten (nicht aber "white collars") und im einen oder anderen Land auf der arabischen Halbinsel benötigt der Entleiher eine Erlaubnis.
Kündigungen, Freistellungen und Betriebsabspaltungen: alles einfach in der Schweiz ...
Die Schweiz ist ein arbeitsrechtlich einfaches Land: einige Regelungen im Obligationenrecht, das war es dann. Nun, ja, die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ist aus rechtlicher Sicht dort anders, einfacher. Aber "es gehört sich" für einen anständigen Arbeitgeber eben nicht, einfach so zu kündigen – jeder kennt jeden, und schnell ist das Employer Branding kaputt. Kein rechtlicher, sondern ein sozial tief verwurzelter Mechanismus.
Übrigens: bei einer Betriebsabspaltung – in Deutschland technisch recht einfach – ist das größte Thema in der Schweiz die Rente, die Vorsorgeeinrichtungen. Da kann für ein paar wenige Beschäftigte schon mal ein Stab von mehr Experten, als es betroffene Mitarbeiter sind, ein paar Wochen arbeiten, um alles korrekt zu machen.
… oder in den Vereinigten Staaten?
Die Schweiz ist also nicht das (arbeitsrechtlich) "gesegnete Land" – dann aber doch sicher die Vereinigten Staaten!? Ich hatte mit meiner Kollegin dort unlängst eine Diskussion. Ich fragte sie, wie das nach einer Kündigung ist, ob man da den Beschäftigten für den Ablauf der Kündigungsfrist (bezahlt) freistellen könne. Sie: "Warum sollten wir nach der Kündigung etwas zahlen?", ich erwiderte: "Na ja, der Ablauf der Kündigungsfrist." … Nach zehn Minuten war uns beiden klar, dass wir zu sehr in unseren Rechtssphären dachten: in den USA gibt es die Kündigung "at will" – da gibt es keine Kündigungsfrist, also auch keine Freistellung. Alles klar.
Als ich aber wenige Wochen später mit ihr sprach, weil ein Unternehmensteil abgespalten werden sollte und wegen der bisherigen hohen Zentralisierung von Zentralfunktionen ein eigenständiges, selbst arbeitsfähiges Konstrukt geschaffen werden sollte und wir hierfür vor allem zunächst eigene Beschäftigte in das "build up" nehmen wollten, sagte sie zu mir: "Um Himmels willen, wir müssen da sehr, sehr sorgfältig vorgehen – der kleinste Fehler kann uns Millionen an Entschädigung wegen Diskriminierung kosten!". Hmm …, also – die Vereinigten Staaten sind auch nicht "besser", sondern vor allem eines: anders!
Fazit: Arbeitsrecht ist anderswo auch nicht besser oder schlechter, …
Eigentlich können wir hinsehen wohin wir wollen: so ist es überall. Anders! Nicht besser oder schlechter. Egal, ob in Frankreich die Kündigung risikoreicher und häufig teurer ist als in Deutschland oder ein Firmenchef von der Gewerkschaft halt mal eingesperrt wird, in vielen arabischen Ländern ein Betriebsübergang nicht existiert sondern erst einmal die Beschäftigten das alte Arbeitsverhältnis beendigt bekommen müssen (oft übrigens entweder gar nicht möglich oder aber mit Abfindungen), um dann (hoffentlich!) ein Neues beginnen zu können, oder in Indien Arbeitsgerichtsprozesse schon einmal zwanzig Jahre dauern können.
… nur anders
Mein Land der Wahl ist Österreich. Ich habe mich auf einem Arbeitsrechtseminar schlau machen wollen und wartete sehnlichst auf den halben Tag, an dem die Kündigungen durchgenommen werden sollten. Der Dozent brauchte da aber nur etwa 30 Minuten. Ich – mit meiner deutschen Gründlichkeit – fragte nach, ob das alles sei, zu §§ 105 ff rbVG müsse es doch eine Rechtsprechungskasuistik (vergleichbar bei uns zu § 1 KSchG) geben?
Da wandte er ein (hier die Übersetzung ins Hochdeutsche): "Ach geh, bei uns löst man das ganz anders als in der Bundesrepublik". Aha. Nun, ich habe diese Tage mit einem Kollegen aus Österreich telefoniert, der zu mir meinte (auch wieder ins Hochdeutsche übersetzt): "Hörst du, es wird diesen Sommer sowieso schon wieder einen Kaisersommer geben!"
Alles eine Frage der Sichtweise – auch beim Arbeitsrecht
Vielleicht ist es also eine Frage der Sichtweise. Objektiv: Ja, Deutschland ist im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht deutlich überreguliert. Das Versprechen "one in one out" des Gesetzgebers war und bleibt eine Wahllüge. Aber: deutsches Arbeitsrecht ist nicht weltweit das Schlimmste. Wir sind nur Meister darin, das unseren (insbesondere ausländischen) Stakeholdern so zu erzählen! Mit leider nicht immer positiven Folgen.
Und in diesem Sinne: auch dieser Sommer wird wieder einer der großartigsten Sommer, die wir je hatten – selbst wenn es mal einen Tag regnen sollte!
Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.