EuGH billigt deutsches Mitbestimmungsrecht
Dass Mitarbeiter deutscher Konzerne im Inland oft mehr Mitbestimmungsrechte haben als ihre Kollegen im Ausland, ist mit EU-Recht vereinbar. Das stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Grundsatzurteil klar. Anlass war ein Rechtsstreit um die Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat der Tui AG. Das Kammergericht Berlin hatte dem EuGH die vielbeachtete Frage nach der Vereinbarkeit des deutschen Mitbestimmungsgesetzes mit dem Unionsrecht vorgelegt und muss auf Grundlage der Vorgaben des EuGH über den Fall entscheiden.
Mitbestimmungsgesetz diskriminierend?
Der Hintergrund: Konrad Erzberger, einer der Anteilseigner des Touristikkonzerns Tui AG, machte vor Gericht geltend, die Zusammensetzung des Aufsichtsrats des Konzerns sei fehlerhaft. Gemäß dem deutschen Mitbestimmungsgesetz (MitbestG), werden die Mitglieder zur Hälfte von den Anteilseignern und Arbeitnehmern bestimmt.
Aber nur die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer dürfen die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat wählen und sind in den Aufsichtsrat wählbar. Im Ausland beschäftigte Mitarbeiter haben weder das aktive noch das passive Wahlrecht. Dies sei eine nicht gerechtfertigte Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie eine unzulässige Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit.
EuGH: Mitbestimmungsgesetz unionskonform
Der EuGH wies diese Auffassung zurück. Das Recht auf Freizügigkeit in der EU garantiere einem Arbeitnehmer nicht, dass ein Umzug "in sozialer Hinsicht neutral" sei. Er könne im neuen Land nicht dieselben Arbeitsbedingungen verlangen wie im Herkunftsland.
Bereits der Generalanwalt Saugmandsgaard Øe machte vor einigen Monaten in seinen Schlussanträgen vor dem EuGH deutlich, dass das deutsche Mitbestimmungsrecht seiner Meinung nach europarechtskonform sei. Er konnte weder einen Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit noch gegen das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit erkennen. Die Situation, in der sich die außerhalb Deutschlands beschäftigten Arbeitnehmer der Tui-Gruppe befinden, fällt nach seiner Überzeugung schon gar nicht unter die Freizügigkeit der Arbeitnehmer.
Arbeitnehmerfreizügigkeit durch Mitbestimmungsgesetz beeinträchtigt?
Der Generalanwalt wies darauf hin, dass diese nämlich nur Arbeitnehmern Rechte verleihe, die von dieser Grundfreiheit tatsächlich Gebrauch machten, dies beabsichtigten oder dies bereits getan hätten, indem sie ihren Herkunftsmitgliedstaat zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat verließen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit treffe dies jedoch auf viele der in Rede stehenden Arbeitnehmer nicht zu.
Der bloße Umstand, dass die Gesellschaft, bei der der Arbeitnehmer beschäftigt sei, im Eigentum oder unter der Kontrolle einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat - im vorliegenden Fall Deutschland - stehe, führe nicht dazu, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer beeinträchtigt werden könne. Im Übrigen könne das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit nicht auf rein innerstaatliche Sachverhalte eines Mitgliedstaats angewandt werden.
Keine Verpflichtung Mitwirkungsrechte einzuräumen
Die Arbeitnehmerfreizügigkeit sei dagegen anwendbar bei den in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern der Tui-Gruppe, wenn sie Deutschland verließen oder verlassen wollten, um eine Stelle bei einer zum gleichen Konzern gehörenden Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat anzutreten. Durch die in Rede stehende Regelung werde die Freizügigkeit der Arbeitnehmer jedoch nicht beschränkt, auch wenn der Arbeitnehmer, der Deutschland verlasse, sein aktives und passives Wahlrecht verliere.
Beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts seien die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, den Arbeitnehmern, die ihr Hoheitsgebiet verließen, um in einem anderen Mitgliedstaat eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben, dieselben Mitwirkungsrechte einzuräumen wie den im Inland beschäftigten Arbeitnehmern.
Wie häufig, so folgten die EuGH-Richter auch in diesem Fall den Schlussanträgen des jeweiligen Generalanwalts. Sie sind dazu aber nicht verpflichtet. Zuletzt hat sich der EuGH etwa bei Fragen zur Wirkung von dynamischen Bezugnahmeklauseln beim Betriebsübergang gegen die Empfehlung des Generalanwalts entschieden.
Hinweis: EuGH, Urteil vom 18. Juli 2017, Az. C-566/15
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