Kolumne Arbeitsrecht: Kritik am Bundestariftreuegesetz

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will sein geplantes Gesetz für Tariftreue demnächst auf den Weg bringen. Dadurch sollen öffentliche Aufträge des Bundes nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden. Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller hinterfragt, ob Tariftreueregelungen die Zukunft sein werden und vor allem, wie Tarifverträge aussehen müssten, um den Standort Deutschland positiv zu beleben.

Manche Themen erfordern es, sich gleich zu Beginn zu erklären: Ein eindeutiges "Ja" zur Tarifbindung. Tarifverträge bringen für Beschäftigte wie für Arbeitgeber Klarheit und Sicherheit. Sie sind, nein, hier kann man relativieren, sie sollten die Branchenrealität abbilden hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Arbeitgeber und der Flexibilisierungsbedürfnisse von Arbeitgebern wie Arbeitnehmenden – zugeschnitten auf die jeweilige Branche.

Leider, und das könnte ein Grund für zunehmenden Argwohn gegenüber Tarifverträgen sein, stellt man in der Realität fest, dass es sich bei Tarifverträgen oft um umfangreiche Werke handelt. Gerne - auch im Dünndruck - einmal sieben Zentimeter dick. Sie sind nicht mehr administrierbar, nicht für die kleineren Unternehmen und auch längst nicht mehr für die größeren. Also, Tariftreue? Immer noch ein klares "Ja".

Tariftreue: Wie man es nicht machen sollte

Sehen wir in das bremische Tariftreuegesetz. Öffentliche Aufträge erhascht nur ein Unternehmen, das tariftreu ist. Aber was heißt das? Sehr verkürzt: Arbeitgeber müssen sich "verpflichten, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Ausführung der Leistung ein tätigkeitsspezifisches Mindestentgelt, einschließlich Überstundenzuschläge, zu bezahlen" und "dabei … sollen die im Land Bremen einschlägigen Branchentarifverträge" gelten. Halten wir also fest: nur (!) "Mindestentgelt" und Überstundenzuschläge. Das lässt schon hinreichend Fragen offen: Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Schichtzulagen, Leistungszulagen – sind das Bestandteile des "Mindestentgelts" oder nicht?

Oder werfen wir einen Blick nach Berlin: Hier ist, auch wieder verkürzt, "unabhängig vom Sitz des Betriebes und vom Ort der Erbringung der Arbeitsleistung mindestens die Entlohnung (einschließlich der Überstundensätze) nach den Regelungen des Tarifvertrags zu gewähren, der im Land Berlin auf das entsprechende Gewerbe anwendbar ist". Auch hier stellt sich die Frage, was diese "Entlohnung" beinhaltet: Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Schichtzulagen, Leistungszulagen? Aber das Beste kommt noch: Nicht der Sitz des Unternehmens ist maßgeblich, sondern die Tariflandschaft des Landes Berlin. Also: Ein Arbeitgeber hat seinen Sitz im Bundesland A und ist tarifgebunden; nun ist der Tarif in diesem Bundesland niedriger als in Berlin – die ganze Tariftreue hilft ihm nicht, denn er müsste ja nach Berliner Tarif vergüten.

Sagen wir es einmal so: Diese Gesetze sind geeignet, einen landesspezifischen Protektionismus zu bewahren. Tarifautonomie und Tarifpartner zu stärken, das bewirken sie gerade nicht!

Wird das Tariftreuegesetz des Bundes besser?

Diese Frage kann man mit einem klaren "Jein" beantworten. Auch auf Bundesebene geriert sich der Gesetzgeber in Form des BMAS als Ersatztarifpartei, denn das BMAS setzt die "geltenden Arbeitsbedingungen fest, soweit diese Gegenstand eines Tarifvertrags sind". Immerhin: Das Gesetz denkt auch an den Urlaub und die Höchstarbeitszeit. Und es soll - für Aufträge des Bundes - bundesweit gelten. Doch halt, hier haben wir schon den ersten Denkfehler. In den meisten Branchen gibt es regionale Unterschiede in den Tarifverträgen. Das gleiche Problem haben wir doch bereits mit den Tariftreuegesetzen in den Ländern.

Und wie ist die Situation, wenn ein – tarifgebundenes, tariftreues – Unternehmen einen Sanierungstarifvertrag vereinbart hat? Das hilft ihm nicht, denn "das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (setzt) die Arbeitsbedingungen des repräsentativeren Tarifvertrags in einer Rechtsverordnung fest", wenn es Konkurrenzen gibt. Das bedeutet, dass Gewerkschaft und Arbeitgeber alles tun, um ein Unternehmen zu retten und das BMAS wird in die Lage versetzt, dies zu konterkarieren.

Zurück zur anfänglich gestellten Frage: Nein, das Bundestariftreuegesetz wird nicht besser.

Wie kann Tariftreue erreicht werden?

Ich bin der festen Überzeugung, dass auch hier marktwirtschaftliche Mechanismen greifen können und sollen.

Erstens: Tariftreue ist kein "Wert an und für sich". Es kann hier nicht um die Stärkung (was als Motiv ohnehin zweifelhaft ist) von Sozialpartnern gehen. Es muss um gute Arbeitsbedingungen gehen!

Zweitens: Der Gesetzgeber nimmt den Tarifpartnern zu viele Regelungsgegenstände weg, mit denen sie sich differenzieren und im Markt positionieren können. Ein überreguliertes Arbeitszeitrecht nimmt den Tarifparteien branchenspezifische Flexibilisierungsmöglichkeiten und das Teilzeit- und Befristungsgesetz macht Flexibilisierung und Positionierung in diesem Bereich unmöglich.

Drittens: Resultat ist, dass die Tarifparteien noch das regeln, "was übrig bleibt". Hochkomplexe Berechnungsmodalitäten für Zulagen, Sondervergütungen, Altersteilzeit usw. Das sind alles Administrationsmonster, die keinem Unternehmen Freude machen und deren jeweiligen Benefit im Vergleich der Arbeitgeber untereinander die Beschäftigten gar nicht mehr erkennen können. Das hat etwas vom Studieren des Kleingedruckten in Verträgen.

Sozialpartner bräuchten größere Handlungsspielräume

Dabei hat ein Tarifvertrag viel Gutes: er regelt den Markt, innerhalb der Branche besteht statt einem Preiskampf über Löhne ein Wettbewerb hinsichtlich Qualität und Produktivität. Damit sind Tarifverträge letztlich fortschrittsbildend. Wenn man denn dem Markt der Sozialpartner freien Lauf ließe.

Es bräuchte die Möglichkeit, klare, verständliche Tarifverträge zu vereinbaren, die sich auf die zentralen Bedingungen beschränken können. Dann wäre der Tarif der Branche A im Land X nicht besser oder schlechter als derjenige der Branche B im Land Y - sondern nur anders. Und das transparent. Denn wir haben einen Arbeitnehmermarkt und die Beschäftigten werden abstimmen, was für sie besser passt.

Das ist auch der Grund, warum nach wie vor viele Beschäftigte zu nicht tarifgebundenen Arbeitgebern ziehen: Klarheit, Transparenz, Passgenauigkeit. Freiheiten und Optionen, die sich die Sozialpartner erst wieder erkämpfen müssen. Und bis dahin bitte kein Bundestariftreuegesetz!


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.


Schlagworte zum Thema:  Tarifvertrag , Sonderzahlung, Gesetz, Arbeitsrecht