Das Mindestlohngesetz (MiLoG) enthält in § 1 MiLoG lediglich den Satz, wonach "die Höhe des Mindestlohns ab dem 1. Januar 2015 brutto EUR 8,50 je Zeitstunde" beträgt. Unproblematisch sind daher nur die Fälle, in denen Arbeitnehmer pro Stunde einen Lohn von mindestens 8,50 Euro brutto beanspruchen können und auch ausgezahlt bekommen.
Problem bei mehrer Vergütungsbestandteilen
Die Verpflichtung zur Zahlung eines gesetzlichen Mindestlohns ist monatsbezogen, unter Berücksichtigung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit zu prüfen. Daher ist grundsätzlich die geschuldete Monatsvergütung durch die in diesem Monat konkret geleisteten Stunden zu teilen.
In der Arbeitswirklichkeit erhalten die meisten Mitarbeiter jedoch nicht nur ein Fix-Gehalt, sondern darüber hinaus verschiedene Vergütungsbestandteile, die daneben zur Auszahlung kommen. Es stellt sich daher die Frage, in welchem Umfang die Zahlung von weiteren Vergütungsbestandteilen, wie zum Beispiel Zulagen, Boni, Gratifikationen, Einmalzahlungen oder Sachbezüge zur Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs herangezogen werden kann.
Gegenleistungsprinzip entscheidet über Anrechenbarkeit
Die Bundesregierung hatte bereits während des Gesetzgebungsverfahrens in einer Stellungnahme deutlich gemacht, dass für die Einschätzung der Mindestlohnfähigkeit einzelner Vergütungsbestandteile die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesarbeitsgerichts zur Bestimmung des Mindestlohns und der Anrechenbarkeit der Vergütungsbestandteile nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz auf den gesetzlichen Mindestlohn zu übertragen sei. Für die Praxis ist damit davon auszugehen, dass die in diesen Urteilen aufgestellten Grundsätze auch beim gesetzlichen Mindestlohn zu berücksichtigen sind.
Nach einem Urteil des EuGH vom 7.11.2013 (C 522/12) ist
- eine Anrechnung möglich, wenn diese eine Gegenleistung für die reguläre Tätigkeit des Arbeitnehmers ist. Keine Anrechnung ist möglich, wenn eine besondere Leistung oder Belastung honoriert wird.
Das BAG hatte u.a. am 18.4.2012 (4 AZR 168/10) entschieden, dass eine Anrechnung möglich sei, wenn
- Vergütungsbestandteile funktional gleichwertig mit dem Zweck des Mindestlohns gezahlt werden und
- die Vergütung dem Arbeitnehmer monatlich zur Verfügung steht.
Nicht anrechenbar sind nach diesem Urteil dagegen Vergütungsbestandteile, die einen anderen Zweck als den der Mindestlohnzahlung verfolgen wie zum Beispiel der Ausgleich von schwierigen Arbeitsbedingungen mit entsprechenden Zulagen.
Übersicht über einzelne Vergütungsbestandteile
Hinsichtlich der einzelnen Vergütungsbestandteile ist damit wie folgt vorzugehen: Im ersten Schritt ist zu überlegen, welche Leistung des Arbeitnehmers mit dem Mindestlohn abgegolten wird. Im zweiten Schritt gilt es dann zu klären, welchen Zweck der jeweilige Vergütungsbestandteil verfolgt.
Einmalzahlungen | Diese können nur im Monat der Auszahlung berücksichtigt werden und auch nur, wenn kein Rückforderungsanspruch besteht. |
Überstundenzuschläge/Überstundenvergütung | Überstundenzuschläge sind grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig, da sie keine Gegenleistung für die reguläre Tätigkeit darstellen, sondern die Mehrarbeit honorieren sollen. |
Schichtzulagen | Sind nur berücksichtigungsfähig, wenn der Arbeitnehmer immer in Schicht arbeitet. Arbeitet der Arbeitnehmer nur unregelmäßig in Schicht, sind solche Zulagen nicht berücksichtigungsfähig, da sie auch hier nicht die reguläre Tätigkeit entlohnen. |
Sonstige monatliche Zulagen, Boni | Lärm-, Schmutz- und sonstige Belastungszulagen sind keine Vergütung für die reguläre Tätigkeit, sondern ein Ausgleich für Belastungen und damit nicht anrechenbar. |
Nachtschichtzuschläge, Sonn- und Feiertagszuschläge | Zulagen, die nur für eine besondere Belastung gezahlt werden, sind nicht berücksichtigungsfähig. |
Vermögenswirksame Leistungen | Vermögenswirksame Leistungen werden nicht für die reguläre Tätigkeit bezahlt und sind daher nicht berücksichtigungsfähig. |
Sachbezüge | Auch diese sind in der Regel nicht anrechenbar. Anrechenbarkeit würde nur in Höhe des pfändbaren Teils der Arbeitsvergütung bestehen (§ 107 Abs. 2 Satz 5 GewO). |
Trinkgelder, Auslösen, Spesen | Auch diese Vergütungsbestandteile dürfen nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden. |
Arbeitgeber sollten Zahlungen an Mitarbeiter prüfen
Im Ergebnis sollten Arbeitgeber bei in Vollzeit tätigen Mitarbeitern, die ein Einkommen bis zu 1.800 Euro erhalten, unter Berücksichtigung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit (reguläre Arbeitszeit inklusive Mehrarbeit) überprüfen, ob diese Mitarbeiter mindestlohnkonform gezahlt werden oder nicht und hierbei auch nur auf die mindestlohnfähigen Vergütungsbestandteile abstellen.
Autor: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Marco Ferme, Wirtschaftskanzlei Beiten Burkhardt