Kann ein Mitarbeiter ein BEM einklagen?
Wenn Arbeitnehmer länger als sechs Wochen erkrankt sind, muss der Arbeitgeber ihnen ein betriebliches Eingliederungsmanagement, das sogenannte BEM, anbieten. Die Pflicht des Arbeitgebers ist in § 167 Abs. 2 SGB IX geregelt. Ziel ist es, die Arbeitsunfähigkeit des betroffenen Mitarbeiters zu überwinden und seinen Arbeitsplatz zu erhalten. Die Vorschrift sieht keine Sanktionen für den Fall vor, dass der Arbeitgeber untätig bleibt. Während die Arbeitnehmervertretung nach dem Wortlaut die Durchführung des BEM gerichtlich durchsetzen kann, wird diese Frage für Arbeitnehmer von den Instanzgerichten bislang unterschiedlich beurteilt. Vor dem LAG Nürnberg blieb die Klage eines langzeiterkrankten Gemeindearbeiters ohne Erfolg.
Langzeiterkrankter Mitarbeiter klagt auf Durchführung eines BEM
Der betroffene Mitarbeiter ist seit Juli 2000 als Arbeiter bei einer Gemeinde beschäftigt. Bis Oktober 2015 wurde er auf dem Bauhof eingesetzt. Zuletzt war er auf dem Eigenbetrieb "Campingplatz und Seenbäder" tätig. Seine Bruttomonatsvergütung beträgt derzeit 2.907,26 Euro. Bei einem festgestellten Grad der Behinderung von 30 ist er einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
Im Jahr 2018 war er an insgesamt 122 Tagen arbeitsunfähig erkrankt, in der Zeit von Januar bis August 2019 an 86 Tagen. Am 2. August 2019 beantragte er beim Arbeitgeber die Durchführung eines BEM. Diesen Antrag lehnte der Bürgermeister der Gemeinde ab. Die häufigen und langen Erkrankungen stünden in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit den dem Arbeitnehmer zugewiesenen Tätigkeiten.
Individueller Anspruch auf betriebliches Eingliederungsmanagement?
Vor Gericht klagte der Mitarbeiter auf Durchführung eines BEM. Ein individueller Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber ergebe sich aufgrund der allgemeinen Fürsorgeverpflichtung des Arbeitgebers aus § 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 167 Abs. 2 SGB IX. Der Arbeitgeber vertrat dagegen die Auffassung, dass die Vorschrift nicht als Individualanspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung eines BEM ausgestaltet sei. Der Arbeitgeber habe nach dem Wortlaut lediglich ein Initiativrecht.
LAG: Kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung eines BEM
Die Vorinstanz, das Arbeitsgericht Würzburg, erkannte unter Hinweis auf eine Entscheidung des LAG Hamm (Urteil vom 13.11.2014, Az: 15 Sa 979/14) einen einklagbaren Anspruch des Arbeitnehmers. Anders urteilte jetzt das LAG Nürnberg: Es entschied zugunsten des Arbeitgebers, dass dessen Verpflichtung, bei Vorliegen der Voraussetzungen ein BEM durchzuführen, keinen klagbaren Anspruch darstellt.
Das Gericht wies in der Begründung darauf hin, dass sich ein solcher Anspruch nicht direkt aus § 167 Abs. 2 SGB IX ergebe. Das Gesetz richte sich an dieser Stelle an den Arbeitgeber und verpflichte diesen, mit den zuständigen Interessenvertretungen und der betroffenen Person ein BEM durchzuführen. Einen ausdrücklichen Anspruch des Arbeitnehmers habe der Gesetzgeber damit nicht vorgesehen, da er ihn andernfalls ausdrücklich erwähnt hätte, so wie er den Mitarbeitervertretungen in § 167 Abs. 2 Satz 6 SGB IX ausdrücklich ein durchsetzbares Initiativrecht zugebilligt habe.
Mitarbeiter bei Untätigkeit des Arbeitgebers ausreichend geschützt
Laut LAG Nürnberg bestehe auch keine Notwendigkeit, einen solchen Anspruch des Arbeitnehmers aus der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers nach § 241 Abs.2 BGB herzuleiten. Auch wenn die Vorschrift des § 167 Abs. 2 SGB IX keine Rechtsfolgen vorsehe, bleibe eine Missachtung durch den Arbeitgeber nicht in jedem Fall folgenlos, da eine Pflichtverletzung oder ein Unterlassen des Arbeitgebers im Rahmen von Kündigungsschutzverfahren oder beim Streit über den Inhalt des Weisungsrechts des Arbeitgebers Berücksichtigung fände.
Das LAG Nürnberg hat im Hinblick auf die Entscheidung des LAG Hamm die Revision an das Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Hinweis: LAG Nürnberg, Urteil vom 08.10.2020, Az: 5 Sa 117/20; Vorinstanz Arbeitsgericht Würzburg, Urteil vom 28.01.2020, Az: 2 Ca 1068/19
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