Zeitarbeit zu Unrecht am Pranger

In der Berichterstattung über Corona-Ausbrüche in Betrieben der Fleischindustrie werden Werkvertrag und Leiharbeit ständig synonym verwendet. Selbst in der politischen Diskussion geschieht dies. Philipp Geyer, CEO des Personaldienstleisters Unique, empfiehlt, genauer hinzusehen und zu differenzieren, wo die Probleme herkommen.

Haufe Online-Redaktion: Die Bundesregierung hat am 20. Mai schärfere Auflagen für die Fleischindustrie beschlossen. Ab dem 1. Januar 2021 sollen das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch nur noch durch Beschäftigte des eigenen Betriebs zulässig sein. Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung wären damit nicht mehr möglich. Wie sehen Sie das, dass nicht nur die Werkverträge verboten werden sollen, sondern auch die Zeitarbeit?

Philipp Geyer: Dass Werkverträge und Zeitarbeit undifferenziert in einen Topf geworfen werden, begleitet die öffentliche und leider auch die politische Diskussion schon seit Jahren. Dabei spielen mangelnde Information und ewige, nicht kleinzukriegende Vorurteile gegenüber der Zeitarbeit eine Rolle. Jedoch handelt es sich um grundlegend unterschiedliche Modelle und Vertragsgestaltungen, die nichts miteinander zu tun haben.

Zeitarbeit kämpft gegen Vorurteile

Haufe Online-Redaktion: Welche Vorurteile würden Sie denn gerne ausräumen? Was wird der Zeitarbeit zu Unrecht vorgeworfen?

Geyer: Ein nicht auszurottendes Vorurteil ist, dass die Zeitarbeit ein kaum kontrollierter Bereich sei, in dem die Mitarbeiter wenig Schutz genießen. Da gehen Leute hin, nehmen die Anzahl der AÜG-Lizenzen, dividieren sie durch die Zahl der Prüfer bei den Arbeitsagenturen und leiten aus dem niedrigen Quotienten ab, dass die Arbeitnehmerüberlassung ein weithin unkontrollierter Bereich sein müsse. Das ist Unsinn. Zum einen krankt diese Rechnung schon daran, dass es viele erteilte AÜG-Lizenzen gibt, die gar nicht genutzt werden, und zum anderen lässt eine solche Herleitung eine grobe Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse erkennen.

Haufe Online-Redaktion: Warum geht das Ihrer Meinung nach an der Realität vorbei? Die Arbeitsagenturen haben ja tatsächlich kein Heer von Prüfern, die ins ganze Land ausschwärmen.

Geyer: Das mag stimmen. Aber dennoch müsste man der Zeitarbeit eigentlich das Siegel "bestkontrollierter Arbeitsplatz der Republik" verleihen, denn nach meiner Erfahrung wird in keiner anderen Branche so oft und so engmaschig kontrolliert wie in der Zeitarbeit. Denn geprüft wird ja keineswegs nur von der Arbeitsagentur. Bei Zeitarbeitsunternehmen findet lückenlos eine Prüfung der Rentenversicherung und unabhängig davon der Lohnsteuer statt, dieser schließt sich häufig die Betriebsprüfung durch das Finanzamt an. Die meisten Unternehmen der Branche sind DIN-ISO-zertifiziert und werden im Rahmen der Zertifizierung und der jährlich folgenden Auditierungen geprüft. Viele Zeitarbeitsunternehmen sind Kapitalgesellschaften, dort finden jährlich strenge Prüfungen durch Wirtschaftsprüfer statt und auch der Zoll kommt seinen Kontrollaufgaben, die er in vielen Bereichen hat, in zunehmend größerem Umfang nach. Auf wesentliche Bestandteile wie zum Beispiel die Einhaltung des Tarifvertrages oder des AÜG haben dabei alle Prüfer unabhängig voneinander ein Auge. Wer also behauptet, Personaldienstleister würden selten geprüft, weiß nicht, wovon er spricht.

Immense Unterschiede zwischen Werkvertrag und Zeitarbeit

Haufe Online-Redaktion: Hat es die "Tönnies-Leiharbeiter", von denen zu lesen war, also gar nicht gegeben?

Geyer: Die hat es so nicht gegeben beziehungsweise ist das völlig am Thema vorbei. Es handelt sich um eine Schlagzeile, bei der man einmal mehr nicht in der Lage war, zu differenzieren. Dabei sind die Unterschiede zwischen Werkverträgen und Zeitarbeit immens. Während die Werkverträge mit Subunternehmern oft gerade zu dem Zweck geschlossen werden, sich aus der Haftung zu stehlen, geltende Arbeitsschutzbestimmungen zu unterwandern und Lohndumping zu betreiben, garantiert die Zeitarbeit geradezu, dass die Mitarbeiter fair bezahlt werden, dass sowohl das Einsatzunternehmen als auch der Personaldienstleister voll für die Einhaltung des Arbeitsschutzes haften und dass tariflich festgelegte Arbeitsbedingungen gelten.

Haufe Online-Redaktion: Bei den Werkverträgen hat man solche Garantien nicht?

Geyer: Um einen Werkvertrag anzubieten, brauchen Sie keine Erlaubnis oder Zulassung. Da kann jeder am Markt auftreten. Es gelten auch kein Tarifvertrag und keine Schutzmechanismen des AÜG. Das Instrument des Werkvertrages ist insofern problematisch, als dass dort ein Vertrag über einen konkret zu erbringenden Erfolg geschlossen wird. Die Vergütung – in der Regel ein Fix- oder Mengenpreis - erfolgt erst nach Abnahme. Der Werkunternehmer muss die Leistung dann selbstständig organisiert und eigenverantwortlich durchführen. Seine Leute werden nicht in die Stammbelegschaft integriert und haben getrennte Arbeitsabläufe. Die tatsächliche Vertragsdurchführung kann zudem über längere Ketten an weitere Subunternehmer delegiert werden. Am Ende der Kette steht dann oft ein Werkunternehmer, der die Leistung zu dem Preis, den er noch dafür bekommt, nur dadurch wirtschaftlich erbringen kann, indem er es auf Kosten seiner Mitarbeiter tut.

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Haufe Online-Redaktion: Je länger die Kette der Subunternehmer, desto weniger kommt ganz unten an?

Geyer: Ja, da wird am Ende das Unternehmerrisiko auf die Mitarbeiter abgewälzt. Bei Tönnies war scheinbar ein Superspreader im Arbeitsbereich in Verbindung mit einer schlecht gefilterten Klimaanlage für die Ansteckung entscheidend. Wenn Sie sich aber die übrigen Fälle von Covid-19-Ansteckungen in der Fleischindustrie ansehen, werden Sie feststellen, dass das Ansteckungsrisiko maßgeblich davon beeinflusst wird, wie die Mitarbeiter untergebracht sind und wie sie zur Arbeit kommen. Diese Verhältnisse sind gerade bei Werkverträgen häufig so prekär, dass massenhaft Ansteckungen nachweislich außerhalb des Arbeitsplatzes stattfanden. Dort wo Zeitarbeitsunternehmen aber regional rekrutieren, Mitarbeiter nicht in überbuchten Sammelunterkünften unterbringen und Arbeitswege gut organisieren, kam es kaum zu Ansteckungen. Diese Nachweise gibt es. Bei der Betreuung eines großen Konkurrenten von Tönnies gab es beispielsweise keinen einzigen Krankheitsfall von Zeitarbeitern, wohingegen Mitarbeiter über Werkverträge zeitgleich massenhaft erkrankten. Und das, obwohl alle im gleichen Werksgelände arbeiteten.

Bekommen wir als Personaldienstleister überregionale Aufträge, zu deren Erfüllung wir Beschäftigte an den Ort der Leistungserbringung schicken müssen, dann sorgen wir für angemessene Unterkünfte. Mein Unternehmen hat zu diesem Zweck circa 60 Wohnungen in Deutschland angemietet. Eine solide Bezahlung, Unterbringung und Arbeitsplatzgestaltung ruiniert den Wurstpreis an der Theke nicht, es schmälert gegebenenfalls leicht die Gewinne oder die Sponsorenmillionen für Fußballvereine. Es ist wahrlich nicht einfach, gute Unterkünfte zu finden, aber ein guter Anfang wäre, es überhaupt zu wollen. Missstände entstehen langfristig dort, wo der moralische Kompass beim Arbeitgeber nicht stimmt.

Haufe Online-Redaktion: Das ist ja auch der Sinn der geplanten Gesetzesregelung, dadurch, dass nur noch Beschäftigte des eigenen Betriebs eingesetzt werden dürfen, genau diese Missstände in den Griff zu bekommen.

Geyer: Ich denke nicht, dass der Gesetzgeber mit verschärften Gesetzen reagieren muss. Das ist der falsche Weg und geht am Thema vorbei. Ein Betrieb, der heute prekäre Werkverträge auf seinem Gelände toleriert, wird mit eigenen Mitarbeitern nicht per se besser umgehen. Die vielen seriösen Betriebe brauchen darüber hinaus die Möglichkeit, Rekrutierung und Personalbetreuung an Dienstleister zu vergeben. Ein Grundprinzip unseres wirtschaftlichen Erfolges ist auch die Freiheit in der organisatorischen Gestaltung und Fremdvergabe. Weitgehendes Eingreifen und Einschränkungen, die mit solchen Regelungen einhergehen, schwächen die Handlungsfähigkeit der Unternehmen und damit unseren Wirtschaftsstandort enorm.

Zeitarbeit ist unter dem Aspekt des Arbeitsschutzes und dem Schutz vor Ausbeutung der Mitarbeiter die beste Lösung, um zusätzlichen Personalbedarf zu decken. Die Gesetze in diesem Bereich wurden jahrelang im Interesse der Mitarbeiter und zur Vermeidung von Missbrauch verschärft, Kontrollen sind gewährleistet und die Bezahlung ist tariflich sogar über Mindestlohn geregelt. Auch mit Blick auf Werkverträge, deren Verbot separat zu beleuchten wäre, ist das Problem nicht allein die Gesetzeslage, sondern vor allem die Kontrolle der Gesetze. Die weitreichenden Schutzmechanismen, die wir dank des AÜG aus der Zeitarbeit kennen, fehlen bei den Werkverträgen. Dort gäbe es andere Kontrollmöglichkeiten, die jedoch nicht ausreichend ausgeschöpft werden.

Der Zeitarbeit fehlen Identifikationsfiguren

Haufe Online-Redaktion: Sie meinen also, man hat die Missstände zu lange toleriert, obwohl man längst etwas dagegen hätte unternehmen können?

Geyer: Im krassen Gegensatz zur Zeitarbeit mangelt es im Bereich der Werkverträge zum einen an Regelungen und tariflicher Gebundenheit, aber vor allem an Kontrollen. Bei entsprechendem Willen wäre es schon aufgrund der bestehenden Gesetzeslage und Vorschriften ein Leichtes gewesen, solche Zustände zu unterbinden. Man hätte auch mit den derzeitigen Regelungen scharf kontrollieren können und für vernünftige Verhältnisse sorgen können. Das fängt zum Beispiel an bei einer strengeren Überprüfung, ob der Werkvertrag zulässig ist. Ein weiterer Bereich ist die Arbeitssicherheit und Möglichkeiten der Überprüfung gäbe es auch bei den Arbeitszeiten und der Einhaltung der Lohnstandards.

Zu guter Letzt darf man bei der Diskussion eines nicht vergessen: Was nützen scharfe Gesetze in Deutschland, die im schlimmsten Fall auch gut kontrollierte Lösungen wie Zeitarbeit verbieten, wenn wir in einer internationalen Welt leben? Man kann Deutschland nicht isoliert betrachten. Wer sinnvolle Regelungen gestalten will und diese national durchzusetzen gedenkt, muss auch überlegen, wie er verhindert, dass die Akteure am Markt in andere Länder ausweichen und ein Teil des Fleischbedarfs künftig durch Importe aus Ländern gedeckt wird, in denen die Zustände sicherlich nicht besser sind.

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Haufe Online-Redaktion: Was tut die Personalüberlassungsbranche, um beim anstehenden Gesetzgebungsverfahren nicht mit den Werkvertragsanbietern in einen Topf geworfen zu werden? (Anmerkung der Redaktion: Zum Zeitpunkt des Interviews lag noch kein entsprechender Gesetzentwurf vor. Inzwischen hat das Kabinett ein neues Arbeitsschutzgesetz beschlossen.)

Geyer: Sie lässt Vertrauen walten in die Kompetenz des Gesetzgebers. Besser wäre natürlich, nicht zu warten, was da wohl kommen mag, sondern sich aktiv zu Wort zu melden und die eigenen Interessen wahrzunehmen. Dies geschieht zum Teil hinter den Kulissen, aber öffentlich sichtbare Sprecher für die Zeitarbeit sind leider selten. Da wären meines Erachtens auch die großen Unternehmen der Branche gefragt, sichtbar zu werden und klar Stellung zu beziehen. Wo bleiben die Vorstände der großen Personaldienstleister, die sich einschalten und zu Wort melden? Ich sehe wenig Stimmen, die sich äußern und noch weniger Stimmen, die gehört werden. Es fehlt uns an Gesichtern, die bereit wären, als Identifikationsfigur für unsere wichtige Dienstleistung aufzutreten.


Zur Person: Philipp Geyer ist Vorsitzender der Geschäftsführung von USG People Germany und damit auch des Personaldienstleisters Unique. Hinter USG People steht die Recruit Gruppe, als Nummer vier auf dem Weltmarkt eine der größten internationalen Unternehmensgruppen für HR-Dienstleistungen.


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