Erste Tätigkeitsstätte: Welcher Tätigkeitsumfang erforderlich ist

Prinzipiell liegt eine Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte i. S. d. § 9 Abs. 4 EStG nicht vor, wenn eine Zuordnung von Mitarbeitern zu einer betrieblichen Einrichtung allein aus tarifrechtlichen, mitbestimmungsrechtlichen oder organisatorischen Gründen (beispielsweise zur Personalaktenführung) erfolgt, ohne dass diese Mitarbeiter in dieser Einrichtung – auch nicht in geringem Umfang – tätig werden sollen. Sollen im Umkehrschluss Mitarbeiter in einer vom Arbeitgeber festgelegten Tätigkeitsstätte zumindest in ganz geringem Umfang Hilfs- oder Nebentätigkeiten ausüben, ist die Zuordnung des Arbeitgebers zu dieser Tätigkeitsstätte maßgebend (BMF, Schreiben v. 24.10.2014, BStBl I S. 1412, Tz. 6). Diese enge Sichtweise war nun Gegenstand mehrerer Gerichtsverfahren.
Fliegendes Personal: Erste Tätigkeitsstätte am Stationierungs- und Heimatflughafen?
Der BFH hatte u.a. die Frage zu entscheiden, ob fliegendes Personal für die Fahrten zwischen Wohnsitz und dem Stationierungs- oder Heimatflughafen seit 2014 nur noch die Entfernungspauschale als Werbungskosten geltend machen darf, weil dort eine erste Tätigkeitsstätte vorliegt.
Eine Pilotin machte die Fahrtkosten zwischen Wohnung und Flughafen sowie Verpflegungsmehraufwendungen erfolglos gegenüber Finanzamt und Finanzgericht geltend. Der BFH hat diese Sichtweise bestätigt. Fliegendes Personal (z.B. Piloten oder Flugbegleiter), das von seinem Arbeitgeber arbeitsrechtlich einem Flughafen dauerhaft zugeordnet ist und auf dem Flughafengelände zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten erbringt, die arbeitsvertraglich geschuldet sind, hat nach dem Urteil des BFH dort seine erste Tätigkeitsstätte. Da die Pilotin in den auf dem Flughafengelände gelegenen Räumen der Airline in gewissem Umfang auch Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Flugvor- und Flugnachbereitung zu erbringen hatte, verfügte sie dort über eine erste Tätigkeitsstätte. Unerheblich war, dass sie überwiegend im internationalen Flugverkehr tätig war (BFH Urteil vom 11.40.2019 - VI R 40/16).
Die Klägerin hatte sich auf die Rechtslage vor 2014 bezogen, wonach ein Flugzeugführer schwerpunktmäßig in einem Flugzeug und damit auswärts tätig sei. Die zur alten Rechtslage ergangene Rechtsprechung (BFH Urteile vom 09.06.2011 - VI R 36/10 und VI R 55/10) ist jedoch seit 2014 gegenstandslos.
Hinweis: In einem weiteren Fall ging es um fliegendes Personal, nämlich einen Flugzeugführer bzw. eine Flugbegleiterin (BFH Urteil vom 10.04.2019 - VI R 17/17, NV). Auch hier hat der BFH eine erste Tätigkeitsstätte bejaht. Die Entscheidung ist weitgehend inhaltsgleich mit der vorstehenden und deshalb nicht zur Veröffentlichung vorgesehen. Interessant ist bei diesem Urteil noch der Hinweis des BFH, dass es regelmäßig der Lebenswirklichkeit entspreche, dass Mitarbeiter der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet sind, in der sie tatsächlich tätig sind oder werden sollen.
In vorstehenden Fällen sowie in einem weiteren Urteil zum Sicherheitspersonal hat der BFH zudem ergänzend entschieden, dass ein Flughafen eine (großräumige) erste Tätigkeitsstätte sein kann (BFH Urteil vom 11.04.2019 - VI R 12/17).
Streifenpolizist: Erste Tätigkeitstätte am zugeordneten Dienstsitz?
Auch bei Beamten erfolgt vielfach eine Zuordnung durch den Arbeitgeber und es kommt durch die erste Tätigkeitsstätte zu steuerlichen Einschränkungen. Nach einer weiteren Reisekostenentscheidung des BFH verfügt ein Polizeibeamter im Einsatz- und Streifendienst an seinem ihm zugeordneten Dienstsitz über eine erste Tätigkeitsstätte, soweit er diesen Dienstsitz arbeitstäglich aufsucht, um dort zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen, die er dienstrechtlich schuldet und die zu dem Berufsbild eines Polizeivollzugsbeamten gehören (BFH Urteil vom 04.04.2019 - VI R 27/17).
Der Streitfall betraf einen Polizisten, der von der Dienststelle seinen Einsatz- und Streifendienst antrat. Die Tätigkeiten dort beschränkten sich im Wesentlichen auf die Vor- und Nachbereitung des Dienstes. In seiner Einkommensteuererklärung für 2015 machte er Fahrtkosten von seiner Wohnung zu der Polizeidienststelle sowie Verpflegungsmehraufwendungen entsprechend der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nach Dienstreisegrundsätzen geltend. Er ging davon aus, dass keine erste Tätigkeitsstätte vorliege, da er schwerpunktmäßig außerhalb der Polizeidienststelle im Außendienst tätig sei. Das Finanzamt berücksichtigte Fahrtkosten lediglich in Höhe der Entfernungspauschale. Mehraufwendungen für Verpflegung setzte es nicht an. Das Finanzgericht wies die Klage ab. Auch der BFH bejaht nun in seinem Urteil eine erste Tätigkeitsstätte mit entsprechenden negativen steuerlichen Folgen.
Qualitativer Schwerpunkt der Tätigkeit nicht maßgebend
Entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage kommt es für die Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit nicht an. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er oder sie arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem ausgeübten Berufsbild gehören.
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