Erste Tätigkeitsstätte: Zuordnung und Leiharbeit
Eine erste Tätigkeitsstätte ist gegeben, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin arbeitsrechtlich einer (von der Wohnung getrennten) ortsfesten betrieblichen Einrichtung beim Arbeitgeber oder einem Dritten (z.B. Kunden) dauerhaft zuordnet und der/die Betroffene dort zumindest in geringem Umfang tätig wird.
Die dauerhafte Zuordnung des Arbeitnehmers wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen des Arbeitgebers sowie die diese ausfüllenden Absprachen oder Weisungen bestimmt (§ 9 Abs. 4 Satz 2 EStG). Da diese Zuordnung unter anderem bei Leiharbeit nicht immer direkt ersichtlich ist, hat der Bundesfinanzhof (BFH) in verschiedenen Urteilsfällen konkretisiert, was für die Zuordnung notwendig ist.
Keine gesonderte Zuordnung für lohn- oder einkommensteuerliche Zwecke notwendig
Der BFH bestätigt, dass es keiner gesonderten Zuordnung für lohn- oder einkommensteuerliche Zwecke bedarf (BFH Urteil vom 11.04.2019 - VI R 40/16). Die vorrangig maßgebliche arbeitsrechtliche Zuordnung durch den Arbeitgeber kann außerhalb des Arbeits- beziehungsweise Dienstvertrags erfolgen (auch mündlich oder konkludent) und ist unabhängig davon, ob sich der Arbeitgeber der steuerlichen Folgen bewusst ist. Die Zuordnungsentscheidung muss nicht dokumentiert werden.
Tätigwerden an ortsfester betrieblicher Einrichtung
Für die Zuordnung maßgebend ist, ob Mitarbeiter aus der Sicht ex ante nach den dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten tätig werden sollen (BFH Urteil vom 04.04.2019 - VI R 27/17).
Dauerhafte Zuordnung der ersten Tätigkeitsstätte
Die typischen Fälle einer dauerhaften Zuordnung sind (vgl. § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG):
- die unbefristete Zuordnung zu einer bestimmten betrieblichen Einrichtung,
- die Zuordnung für die Dauer des gesamten Dienstverhältnisses oder
- die Zuordnung über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus.
Eine Zuordnung ist nach Urteil des BFH unbefristet, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt (BFH Urteil vom 04.04.2019 - VI R 27/17).
Besonderheiten bei Leiharbeitnehmern
Leiharbeitnehmer haben regelmäßig wegen fehlender Dauerhaftigkeit keine erste Tätigkeitsstätte. Nach Verwaltungsauffassung gelten jedoch Ausnahmen, wenn der Einsatz des Leiharbeitnehmers von Beginn an:
- länger als 48 Monate dauern soll,
- mit einer Übernahmezusage verbunden ist oder
- bis auf Weiteres (das heißt ohne Befristung) erfolgt.
Dauerhafte Zuordnung auch bei Vorliegen eines befristeten Leiharbeitsverhältnisses
In einem Urteilsfall war das Leiharbeitsverhältnis zunächst bis November 2012 befristet und mehrfach bis Mai 2015 verlängert worden. Im Streitjahr war der Kläger ganzjährig für einen Entleihbetrieb tätig, welchem er laut Arbeitsvertrag "bis auf Weiteres" überlassen wurde. Das Finanzamt ging dabei von einer dauerhaften Zuordnung zum Entleihbetrieb aus (vgl. auch BMF, Schreiben v. 24.10.2014, BStBl 2014 I S. 1412, Tz. 13).
Vorhergehend hatte das Finanzgericht (FG) Niedersachsen entschieden (FG Niedersachsen, Urteil v. 30.11.2016, 9 K 130/16), dass ein Leiharbeitnehmer im Betrieb des Entleihers keine erste Tätigkeitsstätte begründet. Dieser Auffassung hat der BFH nur teilweise zugestimmt. Entgegen der Ansicht des FG schließt das Vorliegen eines befristeten Leiharbeitsverhältnisses die Annahme einer dauerhaften Zuordnung nicht aus. War der Arbeitnehmer im Rahmen eines befristeten Arbeits- oder Dienstverhältnisses bereits einer ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet und wird er im weiteren Verlauf einer anderen Tätigkeitsstätte zugeordnet, erfolgt diese zweite Zuordnung nicht mehr für die Dauer des Dienstverhältnisses.
Dieser Sonderfall war im Urteilssachverhalt gegeben (BFH Urteil vom 10.04.2019 - VI R 6/17). Der Kläger war dem im Streitjahr betroffenen Werk infolge seiner ursprünglich erfolgten Zuordnung zu einem anderen Werk auch nicht für die Dauer seines befristeten Beschäftigungsverhältnisses zugeordnet.
Verlängerung eines befristeten Beschäftigungsverhältnisses
Wird ein befristetes Beschäftigungsverhältnis vor Ablauf der Befristung schriftlich durch bloßes Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts bei ansonsten unverändertem Vertragsinhalt verlängert, liegt nach dem Urteil ein einheitliches befristetes Beschäftigungsverhältnis vor. Für die Frage, ob eine Zuordnung für die Dauer des Dienstverhältnisses erfolgt, ist daher auf das einheitliche Beschäftigungsverhältnis und nicht lediglich auf den Zeitraum der Verlängerung abzustellen. Ergänzend weist der BFH darauf hin, dass eine unbefristete Zuordnung (§ 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alternative EStG) zu einer ersten Tätigkeitsstätte bei befristeten Beschäftigungsverhältnissen nicht in Betracht kommt.
Zuordnung für ein kurzes Dienstverhältnis
In einem weiteren Urteil hat der BFH entschieden, dass eine Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte auch für ein kurzes Dienstverhältnis erfolgen kann. Im zugrundeliegenden Fall stand der Kläger in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zum Gesamthafenbetrieb. Er war ihm gegenüber arbeitsvertraglich verpflichtet, typischer arbeitstäglichen Einteilungen zu Hafeneinzelbetrieben nachzukommen, die im Hafengebiet ansässig und tätig waren (BFH Urteil vom 11.04.2019 - VI R 36/16).
Nach dem Urteil des BFH ist lohnsteuerrechtlicher Arbeitgeber eines solchen Gesamthafenarbeiters der Hafeneinzelbetrieb, zu dem er durch die arbeitstägliche Arbeitsaufnahme ein weiteres befristetes Arbeitsverhältnis begründet. Für die Frage, ob der Gesamthafenarbeiter über eine erste Tätigkeitsstätte verfügt, kommt es deshalb allein auf das jeweilige mit dem Hafeneinzelbetrieb begründete Arbeitsverhältnis an. Unerheblich sei, dass das Arbeitsverhältnis regelmäßig auf einen Tag befristet war. Denn von einer dauerhaften Zuordnung sei auch dann auszugehen, wenn Arbeitnehmer für die Dauer des (befristeten) Dienst- oder Arbeitsverhältnisses an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung tätig werden sollen (§ 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStG).
Anders bei nur einem Arbeitgeber
In Abgrenzung zu vorstehendem Urteil hat das Finanzgericht Niedersachsen zu einem auf den ersten Blick ähnlichen Hafen-Fall entschieden ( Finanzgericht Niedersachsen, Urteil v. 3.2.2021, 4 K 11006/17). Es gab jedoch einen entscheidenden Unterschied: Der Kläger dort war kein Gesamthafenarbeiter mit mehreren Dienstverhältnissen, sondern er war ausschließlich bei einem Unternehmen angestellt, das unter anderem auch die Arbeitnehmerüberlassung auf dem Gebiet des Hamburger Hafens betrieb. Der Kläger wurde auch hier bei verschiedenen Hafeneinzelbetrieben tätig, aber jeweils im Wege der Arbeitnehmerüberlassung. Die jeweilige Zuordnung erfolgte jeden Tag neu durch den Arbeitgeber. Somit war keine dauerhafte Zuordnung gegeben und damit auch keine erste Tätigkeitsstätte.
Der Betroffene hatte für seinen Arbeitseinsatz jedoch "typischerweise arbeitstäglich" das Gebiet des Hamburger Hafens und damit ein weiträumiges Tätigkeitsgebiet aufzusuchen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG). Damit waren die Fahrten von seiner Wohnung bis zum Hafenzugang trotzdem nur mit der Entfernungspauschale anzusetzen. Im Gegensatz zum vom BFH entschiedenen Fall zählt die Spesenzeit beim weiträumigen Arbeitsgebiet aber vom Verlassen der Wohnung an und die achtstündige Mindestdauer dürfte regelmäßig erreicht werden.
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