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"Selbst schuld" oder warum der Gesetzgeber meist etwas anderes meint, als er schreibt.


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Selbst schuld - dann muss keine Entgeltfortzahlung gezahlt werden

Das klingt gut: "Wenn der Mitarbeiter seine Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet, muss keine Entgeltfortzahlung geleistet werden." So steht es im Gesetz, eine klare Sache. Mitnichten, wie Rechtsanwalt Thomas Muschiol in seiner Entgelt-Kolumne erläutert.

Liebe Personalexperten,

wussten Sie, dass die Pflicht zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall dann nicht besteht, wenn die Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitnehmer selbst schuldhaft verursacht wurde. Wenn nicht, dann lesen Sie § 3 des Entgeltfortzahlungsgesetzes, in dem das „Verschulden“ als Tatbestandsvoraussetzung in Form einer „anspruchshindernden Einwendung“ ohne Wenn und Aber erscheint.

„Bei einem Verschulden besteht also keine Zahlungspflicht !“

Beim Schreiben dieser Zeile klingen mir schon Ihre Kommentare im Ohr, etwa dieser : „Na, da kenn ich aber Einige, die schon mal „selbst Schuld“ daran waren, dass sie arbeitsunfähig geworden sind“. Vielleicht denken Sie gerade an Ihren Mitarbeiter, der als Stürmer in der dritten Kreisliga am Sonntag regelmäßig auf beinharte Verteidiger stößt und über dessen Arbeitsunfähigkeit Sie ebenso regelmäßig am Montag direkt aus der Unfallchirurgie informiert werden. Neuerdings sogar per Smartphone inklusive Lichtbild mit eingegipster Extremität. Natürlich haben Sie bei diesem Kandidaten schon mehrfach an ein  „selbst Schuld“ gedacht, genau wie Sie nicht müde werden, Ihre Auszubildende mütterlich/väterlich darauf anzusprechen, dass wenn sie weiterhin bei Minustemperaturen mit ihrem bauchfreien Top den im Freigelände gelegenen Raucherbereich aufsucht, sie „selbst Schuld“ sei, wenn sie sich eine gehörige Erkältung oder gar eine Nierenbeckenentzündung holt .

Aber Sie ahnen es: Dieses „selbst Schuld“ hat nicht zwingend etwas mit dem zu tun, was der Gesetzgeber mit „Verschulden“ in § 3 des Entgeltfortzahlungsgesetzes meint. Für Personaler eigentlich keine Überraschung, denn dass der Gesetzgeber das Gleiche meint, was er schreibt, ist bekanntlich (fast) noch nie vorgekommen. Was aber ist den dann mit „Verschulden an der Arbeitsunfähigkeit“ gemeint?

Nähern wir uns dieser Frage von hinten an und ergründen zunächst, was der Gesetzgeber nicht gemeint hat. Ein probates Mittel für Kandidaten beim Jauchschen Millionenquiz, was ich auch für viele personalrechtliche Fragen empfehlen kann. Es führt in der Personalpraxis schnell zum Ziel, denn meistens lautet die Antwort: „Den Fall hat der Gesetzgeber gerade nicht gemeint“.  So auch in unseren Fußball- und Bauchfreifällen. Wer hier den  „selbst Schuld“  Vorwurf einleuchtend und praxisgerecht empfunden hat, dem hält das Bundesarbeitsgericht entgegen: Wer Erlaubtes tut, dem kann nicht die Entgeltfortzahlung wegen „Verschuldens“ verweigert werden, auch wenn er ein Unfall- oder Krankheitsrisiko eingeht.

Allerdings sollten Sie auch beachten: Es gibt durchaus Fälle, in denen Sie die Gleichung „selbst Schuld ist auch Verschulden“ anwenden können. Bei Sportverletzungen haben Sie das Bundesarbeitsgericht  auf Ihrer Seite, wenn sich der Arbeitnehmer, in einer seine „Kräfte und Fähigkeiten deutlich übersteigenden Weise sportlich betätigt hat“.  Sie sollten sich allerdings gut überlegen, ob Sie diese Karte ziehen, denn die Beweislast für den Ausschluss der Entgeltfortzahlung tragen Sie. Argumente wie „Schultze in Ihrem Alter und mit dem Übergewicht noch Kicken gehen“ sind dabei nicht nur völlig unzureichend, sondern handeln Ihnen im Zweifel noch eine AGG-Klage ein.

Apropos Beweislast: Damit haben Sie dann keinerlei Problem, wenn ein Mitarbeiter sich verletzt hat und dabei ein gesetzliches Verbot, was dafür geschaffen wurde, Verletzungen zu verhindern, übertreten hat. Daraus folgt: Immer dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einem Verkehrsunfall beruht, sollten Sie dem „selbst Schuld“ nachgehen, denn es liegt durchaus im Bereich des wahrscheinlichen, dass ein verkehrsrechtliches Verbot für den Unfall Kausal war. Vor allem aber gilt: Selbst wenn Ihre Ermittlungen nicht dazu führen, dass Ihr Mitarbeiter einen für den Ausschluss der Entgeltfortzahlung relevanten Gesetzesverstoß begangen hat, stellt sich oftmals heraus, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer den Unfall verursacht hat. Und den können Sie bekanntlich in Höhe der Entgeltfortzahlungskosten in Regress nehmen. Mich wundert es immer wieder, in wie vielen Fällen hier Geld liegen gelassen wird und kann dazu nur sagen „selbst Schuld“.