Personal strategisch planen, aber ohne starre Pläne
personalmagazin: Personalplanung ist die Königsdisziplin des Personalmanagements, hat Thomas Sattelberger einmal gesagt. Welchen Stellenwert hat die Personalplanung für Ihre HR-Arbeit bei Siemens?
Janina Kugel: Die strategische Personalplanung wird tatsächlich immer wichtiger. Zum einen stehen wir – zumindest in Deutschland – weiterhin vor der Problematik eines zunehmenden Fachkräftemangels. Uns gelingt es heute zwar noch, die meisten offenen Stellen zu besetzen, aber das dürfte in den kommenden Jahren zunehmend schwieriger werden. Ganz abgesehen von speziellen Qualifikationen, wo wir schon jetzt Engpässe sehen, zum Beispiel bei Softwareingenieuren oder auch ausbildungsintensiven Berufen wie Präzisionsschweißern. Hinzu kommt die Umstellung hin zur digitalen Arbeitswelt. Das heißt, wir müssen uns genau überlegen, welche Jobs künftig vielleicht ganz wegfallen, welche sich verändern und natürlich auch, welche neu entstehen. Ich würde sagen, die Veränderung von vorhandenen Jobprofilen wird die größte Rolle spielen, deswegen hat auch das Thema Weiterbildung einen hohen Stellenwert.
personalmagazin: Wie viele Mitarbeiter befassen sich bei Siemens in HR mit der strategischen Personalplanung?
Kugel: Sie werden jetzt hoffentlich nicht enttäuscht sein, wenn ich Ihnen keine konkrete Zahl nenne. In einer global aufgestellten Personalorganisation mit rund 6.000 Mitarbeitern sollten sich heute nicht nur eine zentrale Einheit, sondern auch Länder, Regionen und Geschäfte mit strategischer Personalarbeit beschäftigen. Bei Siemens haben wir unsere Organisation und die Art unserer Zusammenarbeit vor zwei Jahren grundlegend neu aufgesetzt und arbeiten in globalen Teams. Wieso sollte irgendjemand in Deutschland besser wissen, welche Dynamiken wir zum Beispiel in Indien haben? Wir holen uns mehr Input direkt von Mitarbeitern, Kunden oder bestimmten Geschäften, denn die wissen, was sie brauchen. Das Thema strategische Personalplanung ist dabei als Aufgabe der HR-Business-Partner fest verankert und in die jährliche strategische Geschäftsdurchsprache mit dem Vorstand integriert.
personalmagazin: Siemens ist ein globaler Konzern, der sich laufend auf Veränderungen einstellen muss. Wie viele andere Konzerne will darum auch Siemens agiler werden. Wie lassen sich Agilität und Langfristplanung vereinen?
Kugel: Wir verstehen heute unter strategischer Planung etwas anderes als noch vor einigen Jahren. Es geht heute nicht mehr darum, einen starren Fünf-Jahres-Plan zu entwickeln. Vielmehr fokussieren wir uns darauf, die langfristigen Konsequenzen von Entscheidungen, die wir heute treffen, auf dem Radar zu haben und wesentliche Entwicklungen so früh wie möglich zu antizipieren. Wir denken dabei in Szenarien und legen Wert auf einen guten Informationsfluss zwischen den beteiligten Akteuren in HR und Geschäft. Agilität bedeutet aber auch, dass Sie schnell auf Veränderungen reagieren können. Man muss aufhören, die gesamte Organisation nur als Ablauforganisation zu betrachten. Agile Teams, die in immer wieder neuen Konstellationen zusammenarbeiten, werden immer normaler. Diese neue Arbeitswelt funktioniert nur mit neuen Formen der Arbeitskultur, der Führungsprinzipien und Strukturen. Wir steuern in eine interdisziplinäre, offene, agile Arbeitswelt, die neue Denkweisen verlangt. Sie fordert Fähigkeiten in verschiedenen Kanälen und auf mehreren Ebenen in der Organisation.
„Wir steuern in eine interdisziplinäre, offene, agile Arbeitswelt, die neue Denkweisen verlangt“ (J. Kugel, Siemens)
Click to tweet
personalmagazin: Was macht die agile Personalplanung bei Siemens aus?
Kugel: Agile Personalplanung gibt uns die Möglichkeit, flexibel, dynamisch und proaktiv zu handeln. Ein Unternehmen muss Entwicklungen im Markt und Kundenwünsche frühzeitig erkennen, Innovationen vorantreiben, Marktchancen nutzen und möglichst schneller als andere auf neue Herausforderungen reagieren, denn das schafft Wettbewerbsvorteile. Eine Personalabteilung sollte sich heute nicht mehr nur als Begleiter der Geschäfte verstehen, sondern hat vielmehr eine aktiv beratende und unterstützende Funktion. Wenn die Mitarbeiter und deren Know-how das wichtigste Gut eines Unternehmens sind, muss HR das Fachwissen und den Stellenwert in der Organisation haben zu wissen, wo sie das Unternehmen hinführen und wie sie es prägen will. Im Bereich Personalplanung haben wir in den vergangenen Jahren investiert und uns hier als Konzern mit dem notwendigen Know-how und unterstützenden IT-Tools gut aufgestellt.
personalmagazin: Wie haben die involvierten Mitarbeiter in den Bereichen auf die neue agile Personalplanung reagiert?
Kugel: Das ist individuell sehr verschieden. Grundsätzlich gehen Veränderungen natürlich nicht selten mit anfänglicher Verunsicherung oder Skepsis einher – das ist völlig normal. Wir haben Geschäfte, die sind Agilität gewohnt, andere weniger. Wir legen aber großen Wert darauf, dass die Geschäftsbereiche Umfang und Tiefe ihrer Personalplanung weitestgehend selbst bestimmen und an ihren individuellen strategischen Fragestellungen ausrichten. Das hilft immens dabei, Akzeptanz im Geschäft zu finden. Und dass das Thema mit Blick auf die Zukunftsausrichtung unseres Unternehmens essenziell ist, ist unumstritten. Es braucht in einem Technologiekonzern aber natürlich etwas Zeit, ähnlich routinierte Debatten zur strategischen Personalplanung zu führen wie zur Finanzplanung oder einer Technologie-Roadmap. Diese Diskussion partnerschaftlich voranzutreiben, ist der erklärte Wille aller Beteiligten.
Agile Planung bei Siemens: „Die Geschäftsbereiche bestimmen Umfang/Tiefe ihrer Personalplanung weitestgehend selbst“
Click to tweet
personalmagazin: Voraussetzung für eine Personalplanung ist, dass Sie eine Vorstellung davon haben, wie der Konzern in fünf Jahren aussieht ...
Kugel: Wir haben unsere Strategie im Rahmen der „Vision 2020“ klar auf Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung ausgerichtet. In unseren historisch gewachsenen Geschäftsfeldern Elektrifizierung und Automatisierung verfügen wir über eine traditionell starke Position. Auf dieser Grundlage haben wir in den vergangenen Jahren mit hohem Tempo unsere digitalen industriellen Geschäfte aufgebaut. Und hier gibt es viele Wechselwirkungen mit unseren angestammten Geschäftsfeldern. Beispielsweise können wir den Maschinenbau dank unserer Software-Kompetenz jetzt mit 3D-Druck unterstützen. Oder wir können durch Simulation und Big-Data-Anwendungen vorhersagen, wie ein bestimmtes Material in einer Gasturbine reagiert oder wann Wartungsarbeiten nötig sind. Aber auch hier gilt das gleiche Prinzip: Die Welt ändert sich. Und jedes Unternehmen wird sich kontinuierlich weiterentwickeln.
personalmagazin: Aus dieser Vision muss man ein Szenario für die Personalplanung ableiten. Wie detailliert planen Sie?
Kugel: Unsere Geschäfte definieren, wie erwähnt, ihren Planungsfokus nach ihrem Bedarf. In Einzelfällen betrachten wir ausgewählte Profile oder kritische Kompetenzen. Uns leitet dabei aber der strikte Fokus auf das Wesentliche und zwar immer spezifisch mit Blick auf das jeweilige Geschäft. Und wir betrachten das Thema ganzheitlich: Bestimmte Veränderungen in der Personalstruktur ziehen zum Beispiel veränderte Anforderungen in der Führung nach sich. Dazu kommen die globale Aufstellung unseres Unternehmens oder das Zusammenwachsen von Fachfunktionen wie Produktentwicklung, Fertigung und Service. Im Zusammenhang mit der Personalstrategie definieren die HR-Business-Partner zusammen mit dem Management, welche Planungsdetails notwendig sind. Das kann dann themenabhängig unterschiedlich sein.
personalmagazin: Haben Sie eine Vorstellung davon, wie sich Beschäftigtenzahl und Qualifikationsprofile in fünf Jahren zusammensetzen werden?
Kugel: Die digitale Transformation wird nicht lawinenartig über uns hereinbrechen und auch nicht alle Berufsgruppen in gleicher Weise und in gleichem Tempo betreffen. Sie wird dazu führen, dass sich viele Berufsbilder wandeln, da sich erforderliche Tätigkeiten im Zuge der Digitalisierung ändern. Einige Berufe werden verschwinden, aber auch neue hinzukommen. Im Übrigen vertrete ich persönlich nicht die Auffassung, dass mit der Digitalisierung in großer Zahl Arbeitsplätze verloren gehen. Voraussetzung ist aber, dass wir offen sind für Veränderungen und diese angehen. Da ist Angst machen keine Hilfe, sondern nur der Dialog über die Veränderungen und das Anpacken. Dann wird die Digitalisierung eine Chance für uns sein.
Interview mit Janina Kugel, Siemens: „Die digitale Transformation wird nicht lawinenartig über uns hereinbrechen.“
Click to tweet
Mehr zum Thema strategische Personalplanung für Mittelständler und agile Konzerne lesen Sie in Ausgabe 05/2017 des Personalmagazins. Es erscheint am 19. April 2017.
-
Workation und Homeoffice im Ausland: Was Arbeitgeber beachten müssen
2.250
-
Essenszuschuss als steuerfreier Benefit
1.525
-
Vorlage: Leitfaden für das Mitarbeitergespräch
1.454
-
Probezeitgespräche als Feedbackquelle für den Onboarding-Prozess
1.434
-
Ablauf und Struktur des betrieblichen Eingliederungsmanagements
1.411
-
Krankschreibung per Telefon nun dauerhaft möglich
1.346
-
BEM ist Pflicht des Arbeitgebers
991
-
Checkliste: Das sollten Sie bei der Vorbereitung eines Mitarbeitergesprächs beachten
724
-
Das sind die 25 größten Anbieter für HR-Software
497
-
Modelle der Viertagewoche: Was Unternehmen beachten sollten
458
-
Vorlage: Leitfaden für das Mitarbeitergespräch
21.11.2024
-
Mitarbeitergespräche führen
21.11.2024
-
Checkliste: Das sollten Sie bei der Vorbereitung eines Mitarbeitergesprächs beachten
21.11.2024
-
Regeln für eine erfolgreiche Gesprächsführung bei Mitarbeitergesprächen
21.11.2024
-
Fachkräftemangel durch Managementfehler
21.11.2024
-
Diese Stars der HR-Szene sollten Sie kennen
19.11.2024
-
Wo die bAV hinter eigenen Ansprüchen zurückbleibt
19.11.2024
-
Wie KI dem sozialen Miteinander am Arbeitsplatz schaden kann
15.11.2024
-
"Wir sollten uns größere Sprünge zutrauen"
14.11.2024
-
Wie der Führungswechsel im Mittelstand gelingen kann
13.11.2024