Stellen wir uns einmal die folgende Situation vor: Ein Patient klagt beim Arzt über Schmerzen in der Brust. Eigentlich würde man nun erwarten, dass der Medizinmann ein Feuerwerk ärztlicher Hyperaktivität abbrennt: Abhören der Herz- und Lungenfunktion, Erstellen eines Blutbildes, Belastungs-EKG, MRT und – bei Privatpatienten – auch gleich noch Magen- und Darmspiegelung, gefolgt von einem kurzen Beratungsgespräch zu frei wählbaren Zusatzbehandlungen wie etwa Bleaching, Fettabsaugung, Botox und als I-Tüpfelchen Implantate zur Straffung der Po-Backen.
Der Quereinsteiger als Experte von heute
Doch weit gefehlt. Unser Arzt ist ein moderner Mensch. Eigentlich hat er Germanistik auf Lehramt studiert. Damals nach dem Examen wurden aber dummerweise gerade keine Lehrer gesucht und so ist er über ein Praktikum in einer Krankenhauswäscherei in die Medizin diffundiert. Alles, was hierzu notwendig war, brachte er mit: Branchenkenntnis, einen akademischen Abschluss, nach 20 Semestern Lehramtsstudium ein hinreichendes Alter, um als Mensch ernst genommen zu werden, und vor allem keine Tippfehler im Anschreiben.
Seine Diagnosemethode ist smart, ja geradezu digital. Er hat vor sich acht schöne bunte Tabletten auf dem Tisch liegen: rot, gelb, grün, blau und zwar jeweils in einer kleinen und einer großen Variante. Ist der Schmerz groß, greift er zu einer großen Tablette. Ist der Schmerz stechend, muss sie natürlich rot sein. Für den dumpfen, pochenden Schmerz fällt die Wahl auf blau. Gelb ist dem nebulösen Unwohlsein vorbehalten und grün verschreibt der Experte, wenn er mal ein Placebo ausprobieren möchte.
Absurd? Ja, völlig absurd – aber nur im Medizinsektor. Im Personalwesen kann man sich da nicht so sicher sein, denn: Testverfahren werden in deutschen Unternehmen oft nicht viel anders ausgewählt.
Auswahl eines Textverfahrens: ausführliche Recherche versus Schnellverfahren
Eigentlich ist die Auswahl eines Testverfahrens eine Wissenschaft für sich. Die Entscheidungsträger müssten zu jedem potenziell geeigneten Test verschiedene mathematische Kennwerte anschauen: Kennwerte zur Trennschäfte der Skalen, zu ihrer inneren Konsistenz, zur Stabilität der Messung, zur Validität, zur Zusammensetzung der Normstichproben und so manches mehr. Aber das ist natürlich furchtbar nervig, zumal viele Testanbieter die Zahlen ungern herausrücken – warum wohl?
Um wie vieles leichter ist es da, sich einfach auf die eigene Nase zu verlassen. Gesagt, getan. Kurzerhand füllt man den Test einfach selbst aus und lässt sich das eigene Persönlichkeitsprofil in Form von Textbausteinen ausdrucken. Das macht Eindruck. Jetzt nur noch ein kurzer Abgleich zwischen Testergebnis und Selbstbild und schon ist die Sache klar. Liefert der Test plausible Ergebnisse, so ist es ein guter Test. Sind die Ergebnisse überraschend, aber gleichsam schmeichelhaft, erhält er das Prädikat "besonders wertvoll". Tippt der Test daneben, kommt er auf die schwarze Liste.
Perfekte Illusionen und Barnum-Effekt verschleiern die Qualität des Testverfahrens
Leider vermag ein solches Vorgehen nicht wirklich zu überzeugen. Schlechte Testverfahren machen nichts anderes, als die Punktwerte zusammenzufassen, die der Proband kurz zuvor angekreuzt hat. Dass ein solcher Test ein plausibles Feedback gibt, versteht sich von allein. 100 % der Information, die der Test zurückspiegelt, hat der Proband zuvor selbst abgesondert. Eine nahezu perfekte Illusion professioneller Diagnostik.
Geschicktere Manipulationen laufen über die Formulierung des Feedbacktextes. Der Trick besteht darin, allgemeine, widersprüchliche und vor allem positive Aussagen miteinander zu kombinieren: "Sie sind ein gutmütiger Mensch, solange man Sie nicht reizt." oder "Sie haben viele gute Absichten, die Sie aber nicht immer verwirklichen können." oder "Manchmal sind Sie stark und zuversichtlich, dann aber wieder nachdenklich und achtsam.“. Erkennen Sie sich in diesen Sätzen wieder? Kein Wunder, das dürfte für die meisten Menschen gelten. Untersucht wurde dieser Trick – der sogenannte Barnum-Effekt – erstmals vor rund 80 Jahren durch den amerikanischen Psychologen Bertram Forer. Er zeigt vor allem eines: Selbst wenn sich die Probanden in einem Testergebnis gut wiedererkennen, sagt dies nichts über die Qualität des Testverfahrens aus.
Leider muss man manchmal doch den nervigen Weg gehen und sich schlau machen. Oder Sie delegieren die Aufgabe einfach an die Psychologie-Praktikantin. Obwohl – die kann natürlich nicht wirklich kompetent sein. Dafür ist sie ja viel zu jung.
Der Kolumnist Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.
Schauen Sie auch einmal in den Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden, warum Manager scheitern, warum die Aussagekraft von graphologischen Gutachten ein Mythos ist oder was Sprachanalysen über die Persönlichkeit aussagen können.