Seinen Namen verdankt der Entscheidungsfehler einem Stewart auf dem 1912 gesunkenen Luxusliner: Dieser fleißige Angestellte sorgte der Legende nach noch auf dem sinkenden Schiff dafür, dass die Stühle auf dem Sonnendeck trotz Schieflage optimal angeordnet waren. Wie wir alle wissen, hat die gut gemeinte - und einige Stunden früher noch sinnvolle - Handlungsweise des Stewarts nichts am Schicksal des als unsinkbar geltenden Passagierschiffs geändert.
Das ist der Entscheidungsfehler: Als "Optimierung der Deckstühle auf der sinkenden Titanic" bezeichnet man also Aktionen oder Bemühungen, die sich vor dem Hintergrund übergreifender Entwicklungen oder Veränderungen auf höherer Ebene als sinnlos oder irrelevant erweisen. Es kann zwar schon sein, dass die konkrete Aktivität oder Problemlösung in sich nützlich und hilfreich ist. Sie setzt jedoch regelmäßig auf einer falschen (meist zu niedrigen) Ebene an. Die Schönheit oder der Grad des Perfektionismus nützen dann überhaupt nichts. Die Aktivität ist ohne nachhaltigen Wert beziehungsweise führt zu einer Blindleistung, das heißt einer Leistung, die letztlich keinen Nutzen stiftet.
Ein Beispiel aus der Praxis verdeutlicht dies: In einem großen Konzern sollen Personalkosten eingespart werden. Um dies zu erreichen, werden Vorgaben für niedrigere Mitarbeiterzahlen/Kopfzahlen in allen Bereichen gemacht. Einigen Bereichen gelingt es recht gut, die Kopfzahlen zu senken, andere tun sich sehr schwer damit, zum Beispiel weil die Altersstruktur für den Abbau ungünstig ist und die zur Disposition stehenden Mitarbeiter heikles und relevantes Technologiewissen sowie Kundenkontakte besitzen. Letztendlich werden die geforderten Kopfzahlen erreicht, jedoch in den letztgenannten Bereichen mit drei unerfreulichen Nebenwirkungen:
hohe Abfindungszahlungen, die die ersparten Personalkosten auf Jahre hinweg übertreffen
Abschluss teurer Beraterverträge mit frühpensionierten Mitarbeitern (niedrigere Mitarbeiterzahl erreicht, Personalkosten jedoch nicht gesenkt)
Verlust mehrerer attraktiver Kunden, da ausgeschiedene Mitarbeiter diese sozusagen "mitgenommen" haben
So können Sie den Fehler vermeiden: Verwenden Sie nicht hundert Prozent Ihrer Zeit und Energie auf das Lösen eines Problems, sondern hinterfragen Sie zunächst, ob die vorgegebene (oder auch oft einfach stillschweigend angenommene) Problemdefinition korrekt, sinnvoll und tragfähig ist.
Hinterfragen Sie systematisch die Annahmen, die hinter der Problemdefinition stehen.
Analysieren Sie das Problemumfeld, das heißt die Rahmenbedingungen.
Unterscheiden Sie stets zwischen Effizienz ("Ist das wirkungsvoll?", "Wirkt das?", "Mache ich das richtig?") und Effektivität ("Was bewirkt diese Maßnahme in Hinblick auf das Gesamtziel?", "Mache ich das Richtige?")
Hinweise: Serie zu Entscheidungsfehlern
In dieser Serie stellen wir Ihnen in den nächsten Tagen einige klassische Entscheidungsfehler vor und verraten, was dahinter steckt. Außerdem geben wir Ihnen Tipps und Tricks an die Hand, mit deren Hilfe Sie lernen, diese in Zukunft zu erkennen und zu vermeiden.
Im nächsten Teil unserer Serie lesen Sie, was "gefrorene Entscheidungen" sind und wie Sie verhindern können, dass ihre Geschäftspartner diese in Verhandlungen ausnutzen.
Die Entscheidungstipps und Beispiele sind ein Auszug aus dem Haufe-Buch von Hartmut Walz "Einfach genial entscheiden: Die 50 wichtigsten Erkenntnisse für Ihren beruflichen Erfolg", Haufe Verlag, Freiburg 2013, 224 Seiten, 19,95 Euro. Sie können es hier erwerben.