Fehlzeitenreport zeigt: Lebenskrisen werden zu Jobkrisen
Nach dem Fehlzeitenreport 2017 des AOK-Bundesverbandes ist in den vergangenen zehn Jahren sowohl die Zahl der psychisch Erkrankten insgesamt als auch die Ausfallzeit je Patient gestiegen: Mit 25,7 Tagen je Fall lagen die Ausfallzeiten wegen psychischer Probleme 2016 an der Spitze aller Erkrankungen und dauerten mehr als doppelt so lange als im Durchschnitt (11,7 Tagen je Fall).
Fehlzeitenreport: Lebenskrisen belasten auch die Arbeit
Besonderes Augenmerk richtet der Fehlzeitenreport auf Lebenskrisen von Mitarbeitern, die auch die Arbeit negativ beeinflussen. So fühle sich jeder Zweite, der von einer Krise betroffen ist, in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt oder gehe krank zur Arbeit. "Etwa die Hälfte der Erwerbstätigen war in den letzten fünf Jahren von einem kritischen Lebensereignis betroffen. Die Folgen sind für Beschäftigte und Arbeitgeber gravierend", so Helmut Schröder, Stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), das aktuell 2.000 Beschäftigte befragte. Danach berichten 58,7 Prozent der Beschäftigten von körperlichen und 79 Prozent von psychischen Problemen durch Lebenskrisen, insbesondere durch Konflikte im privaten Umfeld (16 Prozent), eine schwere Erkrankung von Angehörigen (zwölf Prozent) und finanzielle Probleme (elf Prozent).
Krisenbewältigung im Mittelstand
Mit zunehmendem Alter steigt der Anteil der Betroffenen an: Etwas mehr als ein Drittel der Beschäftigten unter Dreißig (37,6 Prozent) berichtet über kritische Lebensereignisse, bei den 50- bis 65-Jährigen sind dies schon fast zwei Drittel (64,7 Prozent). Jüngere Erwerbstätige berichten neben privaten Konflikten auch über finanzielle oder soziale Probleme, während bei älteren Erwerbstätigen Krankheit, Altern oder der Tod des Partners eine größere Rolle spielen. Viele Unternehmen reagieren darauf bereits, doch vor allem bei kleinen Firmen bestehe, so die Befragungsergebnisse, Nachholbedarf.
Hilfe durch den Arbeitgeber bei Lebenskrisen
Die Befragungsergebnisse zeigen weiter, dass die Führungskraft bei akuten Krisen eine wichtige Rolle einnimmt. So geht eine positive Bewertung der Führungskraft durch die Beschäftigten mit einem besseren Zugang zu Unterstützungsmaßnahmen im Betrieb einher.
Beschäftigte, die das soziale Verhalten ihres Vorgesetzten positiv beurteilen, geben fast fünfmal häufiger den Vorgesetzten, aber auch doppelt so häufig die Arbeitskollegen als Hilfeleistende bei der eigenen Krise an und kennen insgesamt auch mehr hilfreiche Anlaufstellen im Unternehmen als Beschäftigte, die das Vorgesetztenverhalten negativ beurteilen.
"Kritische Lebensereignisse bei Beschäftigten können ein 'Stresstest' für die Stabilität der beiderseitigen Beziehung zwischen Unternehmen und Mitarbeiter sein", so Schröder. "Wenn Krisen sowohl aus Sicht des Betriebes als auch des betroffenen Beschäftigten gut gemeistert werden, können beide Seiten gestärkt aus ihr hervorgehen."
Praxisbeispiel Bahn: Betreuung traumatisierter Mitarbeiter
Viele Unternehmen in Deutschland wissen um die hohe Relevanz betrieblicher Angebote bei Krisenereignissen. Auch die Deutsche Bahn bietet ihren Mitarbeitern professionelle, anonyme Unterstützung in Krisensituationen und nimmt ihre Verantwortung für Mitarbeiter, die während ihrer Tätigkeit belastende Erlebnisse erfahren, sehr ernst.
Hier steht ein umfassendes Betreuungsprogramm im Mittelpunkt, das insbesondere für Lokführer konzipiert ist, die in Personenunfälle verwickelt sind. Diese stellen mit circa 700 Ereignissen im Jahr den häufigsten Arbeitsunfall von Lokführern dar. Das Betreuungsprogramm wurde bereits Mitte der 90er Jahre eingeführt und wird seitdem stetig weiterentwickelt. „Dank unserer umfassenden Betreuungsangebote gelingt den Mitarbeitern auch nach traumatischen Erlebnissen fast immer die berufliche Wiedereingliederung", so Dr. Christian Gravert, Leiter des Gesundheitsmanagements bei der Deutschen Bahn AG.
Hilfe bei Krisen als neue Anforderung an das Präventionsgesetz
Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, nutzte die Vorstellung des Fehlzeitenreports, um noch mal klare Anforderungen an die Ausgestaltung des Präventionsgesetz zu formulieren: „Prävention findet nicht nur am Arbeitsplatz statt, sondern geht alle an", erklärte er. Das müsse auch im Präventionsgesetz noch klarer definiert werden, in dem vor allem die Kommunen stärker in die Pflicht genommen werden müssten.
Der Fehlzeitenreport 2017 zeigt, wie betriebliche Maßnahmen im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements helfen können, Beschäftigte bei kritischen Lebensereignissen zu unterstützen. Er enthält außerdem umfangreiche Analysen zur Arbeitsunfähigkeit der 12,5 Millionen AOK-versicherten Arbeitnehmer, die 2016 in mehr als 1,5 Millionen Betrieben beschäftigt waren.
Tipp: Mit der psychischen Gesundheit von Mitarbeitern beschäftigt sich auch die Zukunftsstudie „#Whatsnext – Gesund arbeiten in der digitalen Arbeitswelt“ (gemeinsame Studie von TK, Haufe und IFBG).
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