Herkulesaufgabe(n) für HR
Haufe Online-Redaktion: Sie haben acht Thesen formuliert, die Herausforderungen und Aufgaben für HR im Jahr 2024 beschreiben. Was sind die großen, übergreifenden Themen?
Inga Dransfeld-Haase: Für alle Thesen gilt: Relevant ist es, eine ganzheitliche Perspektive einzunehmen, die reflektiert, was die Umbrüche für einzelne Mitarbeitende und für die Personaler und Personalerinnen bedeuten. Die absehbaren Veränderungen – die Rezession auf der einen, das Wachstum auf der anderen Seite, Fachkräftemangel und Restrukturierung - sind Einschnitte, die Lebensperspektiven signifikant verändern. Die Herkulesaufgabe, dies nun alles zukunftsfähig zu orchestrieren, haben wir in HR – und daran werden wir gemessen. Daneben wird künstliche Intelligenz bleibenden Impact haben. Und sehr wichtig finde ich auch, ein Tempolimit für HR bei all diesen Herausforderungen einzubauen, um Überlastung zu vermeiden.
Thymian Bussemer: Ich sehe ebenfalls in der massiven Restrukturierungswelle in vielen DAX-Unternehmen und großen Corporates eine der größten Herausforderungen für HR in 2024. Wir leben in einer bislang ungekannten Ungleichzeitigkeit, denn wir müssen Personal kurzfristig freisetzen, auf der anderen Seite aber Talente finden und langfristig binden. Die vermutlich am wenigsten gesicherte, aber aus unserer Sicht hoch relevante Beobachtung ist unsere These Nummer 7, die sich mit politischer Polarisierung am Arbeitsplatz beschäftigt.
"Die nächsten zwei Jahre sind keine Jahre auf Zuruf. Sie verlangen von HR, hart und am Stück, die Restrukturierung zu gestalten und ständig wandelnde Anforderungen zu meistern." - Inga Dransfeld-Haase, BPM
Haufe Online-Redaktion: Frau Dransfeld-Haase, was meinen Sie mit dem "Tempolimit für HR", das Sie in der letzten Ihrer Thesen fordern?
Dransfeld-Haase: Die nächsten zwei Jahre sind keine Jahre auf Zuruf. Sie verlangen von HR, hart und am Stück, die Restrukturierung zu gestalten und ständig wandelnde Anforderungen zu meistern. Das fordert von uns als Personalerinnen und Personaler, als Führungskräfte und als Individuen, unsere Resilienz zu stärken und zu akzeptieren, dass wir mit der Arbeit nie richtig fertig sein werden. Das ist eine individuelle Aufgabe, aber auch Aufgabe der Organisation, HR darin zu bestärken.
Politische Polarisierung: "No-Gos" am Arbeitsplatz
Haufe Online-Redaktion: Herr Bussemer, die These zur politischen Polarisierung am Arbeitsplatz entlang weltanschaulicher Themen ist aus Ihrer Sicht hoch relevant. In den Thesen fordern Sie, dass wir "No-Gos" am Arbeitsplatz definieren. Inwiefern? Gehören politische Debatten in Unternehmen?
Bussemer: Wir beobachten in der Tat eine immer stärker werdende politische und sozio-moralische Polarisierung unter den Mitarbeitenden, zum Beispiel in der Frage des Gaza-Krieges, aber auch unter russischen und ukrainischen Mitarbeitenden. Unsere Aufgabe als HR wird sein, hier bei Gesprächsblockaden am Arbeitsplatz zu vermitteln und dafür zu sorgen, dass unterschiedliche weltanschauliche Positionen nicht zur Lähmung unserer Organisationen führen. Einerseits gilt: Demokratie hört nicht am Werkstor auf. Andererseits ist aber auch klar: Unternehmen sind keine Arenen für offen politischen Diskurs und zum Teil extreme Positionen. Die voranschreitende Polarisierung von Meinungen verhindert Zusammenarbeit, verhindert, dass Beschäftigte vernünftig miteinander kooperieren können. Wir müssen darauf reagieren, auch wenn es schwierig bleibt.
Restrukturierung bringt Aufgabenpool für HR
Haufe Online-Redaktion: Die erste Ihrer Thesen beschäftigt sich mit dem Restrukturierungsdruck. Was hängt alles mit der Restrukturierung zusammen?
Dransfeld-Haase: Dort, wo es 2024 zu größeren Restrukturierungen kommt, wartet auf HR eine Kette von Aufgaben. Es gilt, die Ausprägung des Umbruchs zunächst festzumachen. Handelt es sich um eine Reorganisation mit Blick auf das Geschäftsmodell oder grundlegende Restrukturierungen. Organisational bedeutet das, Change-Prozesse zu orchestrieren. Mit Blick auf die Beschäftigten stellt sich die Frage, welche Qualifikationen benötigt werden, wie Wissensübergabe gestaltet wird – und was es bedeutet, wenn Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren.
Bussemer: Die Grundbeobachtung ist ja, dass die deutsche Wirtschaft in den letzten Jahren an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat. Das hat mit einer gewissen Trägheit bei Innovationen zu tun, mit zunehmend überbordender Bürokratie, mit den in Deutschland extrem hohen Energiekosten, aber eben auch mit der Höhe von Löhnen und Gehältern. In den fetten Jahren haben wir Speck angesetzt. Höhere Lohnkosten wurden lange mit höherer Produktivität gerechtfertigt. Jetzt gibt es seit längerer Zeit kaum noch Produktivitätszuwächse. Das Thema muss HR adressieren. Wir brauchen entweder mehr Innovation und Produktivität oder einen Stopp des Arbeitskostenanstiegs.
Haufe Online-Redaktion: Restrukturierung und Arbeitsplatzabbau einerseits, Fachkräftemangel andererseits. Sie sprechen bei Ihren Thesen auch von der "Quadratur des Kreises". Wie bleiben Unternehmen in dieser Quadratur attraktiv für die gesuchten Fachkräfte?
Dransfeld-Haase: Ich glaube: Attraktiv für Talente bleiben wird, wer mit Augenmaß und auf Augenhöhe vorgeht, die Restrukturierungen leise und ohne großes mediales Aufsehen durchführt. Wichtig ist auch, zu verdeutlichen, warum Veränderungen nötig sind und was der Grund dafür ist, um den Wohlstand in Deutschland zu erhalten.
"KI im Unternehmen muss auf einem ethisch-moralischen Fundament stehen." - Thymian Bussemer, BPM
Haufe Online-Redaktion: Mit ein Grund für den Change-Druck ist künstliche Intelligenz, die manche Tätigkeiten obsolet macht und andere hervorbringt. In Ihren Thesen sprechen Sie von "durchdachten Einführungsszenarien". Was ist damit gemeint?
Bussemer: Es geht um akzeptanzorientierte Einführungsszenarien von KI-Anwendungen in HR. KI im Unternehmen muss auf einem ethisch-moralischen Fundament stehen. Alle müssen wissen, was mit den Daten passiert und wie der Algorithmus programmiert ist, um die Akzeptanz der KI-Einführung bei den Mitarbeitenden zu sichern. Daneben gibt es noch das Thema der Automatisierung von Arbeitsplätzen. Aus meiner Sicht wird KI zwar menschliche Arbeitskraft substituieren, dies aber vor allem in Bereichen, in denen es ohnehin an Personal mangelt.
Organisationsentwicklung: Leistungsförderung ermöglichen
Haufe Online-Redaktion: Sie fordern in Ihrer dritten These, dass sich HR stärker in die Organisationsentwicklung einbringen muss, für ein leistungsförderndes Empowerment. Was steckt dahinter?
Bussemer: Die Ankündigung von agilen Strukturen ist hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Meist malen die Organisationsabteilungen bis heute vor allem Organigramme. Hier müssen wir besser werden in den Instrumenten. Einerseits braucht eine gute Organisation Freiräume für Selbstorganisation, agile Ansätze und Selbstbestimmung. Dieses Maß gilt es anzuheben. Andererseits heißt das Ziel Leistungserbringung. Die Aufgabe von HR ist es, Leistung zu ermöglichen. Dafür brauchen wir auch eine Bewertungsgrundlage. Je höher die Freiräume, desto stärker muss man gute Instrumente haben, um individuelle Leistung zu bewerten.
Dransfeld-Haase: Ich glaube, unabhängig ob Unternehmens-, Gruppen- oder auch individuelle Zielvereinbarungen, sie müssen fair gestaltet sein, Leistung und Zweck müssen definiert werden. Das kann grundsätzlich mit jedem Tool funktionieren. Es kommt mehr darauf an, wie gut die Organisation den Prozess umsetzt.
Mehr Weiterbildung, weniger Bürokratie
Haufe Online-Redaktion: Der Weiterbildung als Schlüssel in der Transformation widmet der BPM eine eigene These. Mitarbeitende sollen sich auch außerhalb der Arbeitszeit weiterbilden. Warum?
Dransfeld-Haase: Die Arbeitswelt und Biografien ändern sich, werden durchlässiger. Unternehmen stellen Lernangebote und -optionen, das bleibt in Zeiten der Veränderung die Konstante. Dies erfordert aber genauso den Einsatz der Beschäftigten, auch über die Arbeitszeit hinaus. Jeder ownt den eigenen Entwicklungsweg und profitiert von dem erworbenen Wissen und Kompetenzen - auch außerhalb der Arbeitswelt.
Bussemer: Das Gelingen der Transformation erfordert den Einsatz von uns allen. Viele Unternehmen investieren in neue Bildungsformen, weg von öden Schulungen im Seminarheim in der Provinz, hin zu Gamification, 24/7-Learning und modernen Videos. Wichtig ist nun, dass diese Lernrevolution weiter vorangetrieben wird und nicht versandet.
Haufe Online-Redaktion: In einer der Thesen wünschen Sie sich, dass Bürokratiehürden im Daily Doing verkleinert werden – Stichwort CSRD, Datenschutzgrundverordnung und andere. Glauben Sie, es funktioniert mit deutlich weniger Regeln?
Dransfeld-Haase: Ich bin nicht für Anarchie, aber dafür, dass wir Prozesse einfacher ausgestalten. Ich schaue zurück, wie es vor dem Inkrafttreten des Entgelttransparenz-, Nachweis- oder Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes war und wie man es digitalisiert und ohne zusätzlichen oder nur mit wenig administrativen Aufwand hätte umsetzen können.
Bussemer: Einfacher wird es für HR nicht werden mit all den neuen Gesetzen und Direktiven. Der Aufwand, den wir alle gerade für CSRD und LKSG betreiben, zeigt das ja. Mein Gefühl ist vor allem, dass wir uns mit diesen bürokratischen Zangenbewegungen Nachhaltigkeit als positives Thema kaputt machen. All die Normen in der Berichterstattung, die zum Bürokratiemonster werden, bewirken eher das Gegenteil, als dass man Nachhaltigkeit frohen Mutes und mit innerer Fröhlichkeit vorantreibt.
"Wir brauchen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, einfachere Möglichkeiten, um Fachkräfte international anzuwerben, unbürokratisch zu beschäftigen und zu integrieren." - Inga Dransfeld-Haase, BPM
Haufe Online-Redaktion: Jetzt fehlt noch eine letzte These: Sie fordern, dass es für die Fachkräfteeinwanderung außerhalb Europas bessere rechtliche Rahmenbedingungen gibt.
Dransfeld-Haase: Das kann ich kurz und knapp halten: Wir brauchen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, einfachere Möglichkeiten, um Fachkräfte international anzuwerben, unbürokratisch zu beschäftigen und zu integrieren.
Hier können Sie die acht HR-Thesen 2024 des Bundesverbands der Personalmanager*innen nachlesen.
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