Die Tops und Flops des HR-Jahres 2023
Top: Generative KI im Arbeitsleben
Ende 2022 wurde die generative künstliche Intelligenz ChatGPT des US-amerikanischen Softwareunternehmens Open AI veröffentlicht. Das war der Startschuss für einen beispiellosen Siegeszug dieses neuen Typus von KI. Generative KI kann mithilfe einfacher Sprachbefehle Texte, Bilder oder andere Medien erzeugen, die kaum von menschlichen "Werken" zu unterscheiden sind. Schnell war klar: Diese Technologie wird die Arbeitswelt grundlegend revolutionieren. Denn GenAI birgt ein enormes Produktivitätspotenzial – und auch viele Einsatzmöglichkeiten in HR. Bereits im Sommer 2023 setzten 28 Prozent der Unternehmen in Deutschland generative KI ein, 19 Prozent davon im HR-Bereich. Aber wie so oft bei neuen Technologien birgt generative KI neben all den Chancen auch Risiken. Wie es 2024 weitergeht, wird maßgeblich vom "Artificial Intelligence Act" (AIA) der Europäischen Union abhängen, der die Entwicklung von künstlicher Intelligenz und deren Anwendung regulieren soll.
Flop: Der Generationen-Mythos
Kaum eine Alterskohorte steht so sehr im Fokus der Unternehmen wie die Generation Z. Das liegt einerseits daran, dass die zwischen 1995 und 2010 Geborenen als sogenannte Young Talents im Arbeitsmarkt besonders gefragt sind. Andererseits unterscheiden sich die Ansprüche und Arbeitseinstellung dieser Generation jedoch grundsätzlich von denen vorheriger. Angeblich! Der Gen Z wird nachgesagt, anspruchsvoll, verwöhnt und faul zu sein. Also ist eine ganze Industrie an Beratern und Generationen-Verstehern entstanden, die Unternehmen erklären wollen, wie die jungen Menschen ticken und was sie wollen. Das Problem dabei: Das Bild ist schlichtweg falsch. Denn veränderte Anforderungen oder Erwartungen an einen Job sind keine Frage des Geburtenjahrgangs, sondern vielmehr eine Folge des Zeitgeistes und des Arbeitnehmermarktes. Das belegt auch ein Studie des Automobilzulieferers Continental. Die sogenannte Generation Z ist ein Mythos – auf den viele Unternehmen nur zu gerne hereinfallen wollen.
Top: Markt für Weiterbildung floriert
Transformation ist das Stichwort, das nicht nur überall ausgeflaggt wird, sondern auch den Weiterbildungsmarkt florieren lässt. Durch die drei großen D (Dekarbonisierung, Digitalisierung, Demografischer Wandel) ist der Weiterbildungsbedarf aktuell sehr hoch. Die Qualifizierung für neue Jobprofile ist ein Muss, Re- und Upskilling-Programme sind an der Tagesordnung. Darauf hat auch der Gesetzgeber reagiert und 2023 das "Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung" verabschiedet. Auch wenn noch Fragen offenbleiben ist das Gesetz ein Signal dafür, dass die Bedeutung der Weiterbildung wächst. Das Lernen selbst wandelt sich dabei auch und wird vermehrt unterstützt von neuen Technologien und ersten KI-basierten Tools. Für den Einsatz dieser digitalen Tools und Strategien gilt allerdings noch: Work in Progress.
Flop: Betriebliches Gesundheitsmanagement krankt
Die Zahl der erkrankten Beschäftigten hat im Jahr 2023 Rekordhöhe erreicht – unter ihnen viel zu viele, die auch durch zunehmende Belastungen bei der Arbeit ausgebrannt und erschöpft sind. In zahlreichen dieser Fälle - das zeigt die Studie "Whatsnext BGM" - hat dabei das betriebliche Gesundheitsmanagement versagt. Nach wie vor verfügen die wenigsten Unternehmen über eine echte Gesundheitsstrategie, die dabei hilft, Belastungen zu verringern, und die Mitarbeitenden selbst zu einem gesundheitsförderlichen, resilienten Verhalten befähigt. In naher Zukunft könnte übrigens regulatorischer Druck durchsetzen, was bisher über Aufklärung und Appelle in Richtung eines zielführenden BGM nicht erreicht werden konnte: Die mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) eingeführte Berichtspflicht der Unternehmen verlangt ab 2024 genaue Auskünfte und auch Kennzahlen über das betriebliche Gesundheitsmanagement der Unternehmen. Anlass genug, sich – möglicherweise erstmals - intensiv mit dem Krankenstand sowie mit Belastungen, Ursachen und Abhilfemöglichkeiten zu beschäftigen.
Flop: Bürokratieabbau in der Entgeltabrechnung
Mit dem Versprechen, für schlankere und effizientere Prozesse zu sorgen, werden auch in der Entgeltabrechnung immer mehr Verfahren digitalisiert. So sollte mit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der "gelbe Schein" mit Beginn des Jahres 2023 der Vergangenheit angehören. Und ein digitales Verfahren zur Erhebung und zum Nachweis der Anzahl der berücksichtigungsfähigen Kinder in der Pflegeversicherung sollte ein "bürgerfreundliches Verwaltungshandeln gewährleisten". Doch die Realität sieht - nach jetzigem Stand - anders aus. Durch fehlendes Fachverständnis und mangelnde Praxisnähe sorgten die neuen Prozesse zunächst einmal für einen Bürokratieaufbau statt -abbau.
Top: Gutes Klima für HR
Personalthemen stehen 2023 in den Unternehmen ganz oben auf der Agenda. Endlich – dürfte sich mancher Personalverantwortliche freuen. Einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung Horváth zufolge machen Personalthemen mehr als 40 Prozent der Inhalte in den Vorstandssitzungen vieler Unternehmen aus. Das verwundert kaum. Schließlich knüpfen einige der Megatrends in Wirtschaft und Gesellschaft - darunter Digitalisierung, Demografie und Dekarbonisierung – allesamt an die Handlungsfelder von HR an. Gleichzeitig haben sich in den Betrieben derart viele personalbezogene Fragestellungen aufgestaut, dass diese nun höchste Priorität genießen. Das lässt sich einerseits als Versäumnis des Managements lesen, andererseits aber auch als Chance für das Personalwesen. Nun können Personalerinnen und Personaler ihre Fähigkeiten und ihre Kompetenzen unter Beweis stellen. Ein schwieriges Klima für die Unternehmen bedeutet in diesem Fall ein gutes Klima für HR.
Flop: Remote Work
Ab Mitte 2023 rufen immer mehr Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden zurück ins Büro oder liebäugeln zumindest mit strengeren Homeoffice-Obergrenzen. Die Forschung beobachtet allerdings bisher weder, dass solche Vorgaben zu deutlich höherer Anwesenheit führen, noch, dass sie signifikant die Kommunikation, den Informationsfluss oder die Zusammenarbeit verbessern. Zudem haben Unternehmen die Rechnung meist ohne die Mitarbeitenden gemacht. Denn: Die Mehrheit der Vollzeitbeschäftigten bevorzugt eine flexible Arbeitsgestaltung - oder erwägt sonst, den Job zu wechseln. Verbreitet ist daneben auch der Ansatz, die Entscheidung über Homeoffice-Regelungen allein den Teams zu überlassen – ohne Rücksicht auf die Bedeutung teamübergreifender Zusammenarbeit. Ganzheitliche Lösungen, die auf einer soliden Ist-Analyse basieren, haben sich bisher nicht durchgesetzt.
Top: Corporate Sustainability
Die Verantwortungsübernahme für Umwelt, Ökosysteme und Ressourcenschutz werden Unternehmen aller Größen 2024 ganz oben auf ihrer Agenda führen müssen. Im Sinne der Corporate Sustainability gilt es, sowohl die Unternehmensstrategie als auch die Wertschöpfung nachhaltig aufzustellen. Für den Nachweis dieser Aktivitäten sorgt die neue EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung (kurz CSRD), die sämtliche Wirtschaftsunternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden und einer gewissen Umsatz- oder Bilanzsumme betrifft. Sie alle werden stufenweise verpflichtet, anhand verbindlicher EU-Standards umfassend über ihre Aktivitäten und Auswirkungen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung Bericht zu erstatten. Ein kleiner Wermutstropfen: Einer aktuellen Studie zufolge zeigen KMU große Defizite bei der Vorbereitung, Messung und Berichterstattung ihrer Umweltbilanz. Sie sind mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung schlichtweg überfordert.
Flop: Viertagewoche
"Nur vier Tage in der Woche zu arbeiten macht glücklicher, ist gesünder und genauso produktiv." - Statements wie dieses heizten im Frühjahr und Sommer 2023 eine Debatte an, der es vielerorts an Sachlichkeit fehlte. In den Chefetagen der Betriebe wurde und wird die Einführung einer Viertagewoche als Schreckgespenst betrachtet, das gar den "Verfall des Wirtschaftsstandorts" verursachen könnte. Derweil ging in der Debatte häufig unter, dass es bei einer Viertagewoche nicht per se um eine verkürzte Arbeitswoche geht. Die Viertagewoche lässt sich in unterschiedlichen Formen umsetzen – auch mit einem hohen Grad an Flexibilität. Jedoch bedarf es dafür einer individuellen Betrachtung der jeweiligen Arbeitssituation, der Wünsche der Mitarbeitenden und der Möglichkeiten, die Arbeitszeit anzupassen. Anregungen dazu finden Unternehmen unter anderem in Guido Zanders Buch "Wundermittel 4-Tage-Woche? Chancen, Risiken, Grenzen und flexible Alternativen", das sich dem Thema mit Sachlichkeit, Fachkenntnis und zahlreichen Praxisbeispielen annimmt.
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