Verbundenheit statt Spaltung

Es nervt. Jedes Jahr zum Weltfrauentag werden massenhaft Statistiken, Statements und Studienergebnisse angeschwemmt. Zuverlässig wie Ebbe und Flut und genauso erwartbar: Ach was, die gläserne Decke gibt’s immer noch? Na so was: Mittlerweile gibt es in den 160 deutschen Börsenunternehmen mehr weibliche Vorstandsvorsitzende als Thomasse. Gut, dafür steht es jetzt 10:7 beim Verhältnis "Christians" zu "alle Frauen mit Vorstandsvorsitz". Der Gender Pay Gap ist um zwei Prozent geschrumpft, aber eigentlich auch nur der unbereinigte. Und außerdem wird sich daran wohl auch nicht grundlegend etwas ändern: Noch immer arbeiten 50 Prozent der Frauen und damit deutlich mehr als Männer (13 Prozent) in Teilzeit, noch immer leisten sie mit 30 Stunden Care-Arbeit pro Woche neun Stunden mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Während also Sorgearbeit und Vereinbarkeitsnöte nach wie vor wie selbstverständlich bei den Frauen liegen, können Männer den steileren Karrierepfad und den lukrativeren Job wählen und in trauter Anzugmännerrunde über die Politik der nächsten Jahre verhandeln.
Der lange Weg zur Geschlechtergerechtigkeit
Es nervt und es macht müde: Was Jahr für Jahr zum 8. März daherkommt, war vor einem Jahr so ähnlich schon mal da und wird uns rechtzeitig zum 8. März im kommenden Jahr wieder vor die Füße gespült werden. Und bis dahin waten wir weiter durchs Watt und kriegen irgendwie nichts raus außer Wadenkrampf und dreckigen Füßen.
Stecken wir fest? Natürlich weiß ich, dass Veränderungen Zeit brauchen. Dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit stehen lange gewachsene Strukturen im Weg - in der Gesellschaft, im Unternehmen und im Kopf jedes einzelnen Menschen. Die baut man nicht eben mal um. Und viel wurde schon erreicht – die gesetzliche Frauenquote für Führungspositionen zum Beispiel, das Entgelttransparenzgesetz und die Einführung von Elterngeld und Elternzeit. Durch die Arbeit engagierter Personalerinnen und Personaler gehen die Maßnahmen in vielen Unternehmen sogar darüber hinaus. Beharrlich treiben sie das Thema voran, legen Programme zur Förderung von Frauenkarrieren im Unternehmen auf, verlängern auf eigene Kosten die Elternzeit und schaffen Anreize, um ihre weiblichen Beschäftigten aus der Teilzeitfalle zu holen. Richtig und wichtig ist natürlich auch, dass wir immer wieder von Neuem genau hinsehen und Diskriminierung (nicht nur von Frauen) kritisch benennen.
Enthusiasmus statt Mutlosigkeit
Aber immerzu auf Zahlen zu starren, macht mutlos. Und schlimmer noch: Beim Blick aufs große Ganze übersehen wir uns selbst. Und haben tatsächlich das Gefühl festzustecken - nicht nur in einem schrecklich zähen Veränderungsprozess, sondern auch in übermächtigen Strukturen, die uns kleinem Menschlein jede Gestaltungsmöglichkeit nehmen.
Auf der Suche nach hoffnungsvolleren Texten bin ich kürzlich auf das Buch "Revolution der Verbundenheit" von Franziska Schutzbach gestoßen. Sie schreibt: "Nur zu kritisieren, zu negieren ist deprimierend und niederschmetternd, es wiederholt jene Erfahrungen in unserer Gesellschaft, die ohnehin verbreitet sind: Ohnmacht, Mut- und Ratlosigkeit, Angst und Abscheu." Die Soziologin Schutzbach schlägt vor, der Kritik einen "Wärmestrom" beizugeben: "Wenn wir die Welt verändern wollen, müssen wir auch Zeit und Raum für Wärme, Emotionen, Fantasie und Enthusiasmus bereitstellen. Wir können unsere Kraft und Motive für Veränderungen nicht nur aus der Einsicht beziehen, dass die Welt falsch ist."
Was sind wertvolle Beziehungen?
Wärme, Emotion und Enthusiasmus finden wir in echter Verbundenheit, argumentiert Schutzbach, und schreibt ein ganzes Buch über die Kraft von Freundinnenschaft und weiblichen Netzwerken. Nehmen wir doch den Weltfrauentag 2025 zum Anlass, um zwischendurch ihre Perspektive zu wagen: Wo sind Ihre wertvollen Beziehungen? Aber Achtung: Hier geht es einmal nicht ums Vitamin B, das zur Karriere verhilft, nicht ums Frauennetzwerk, das weibliche Führungskräfte fördern soll, und erst recht nicht um Ihre Linkedin-Kontakte.
Fragen Sie sich stattdessen: Zu wem gehe ich, wenn es drauf ankommt? Bei welcher Kollegin pitchen Sie zum ersten Mal probeweise Ihr Projekt, an dem Sie über Stunden saßen? Mit wem verabreden Sie sich an der Kaffeemaschine, wenn ein Telefonat Sie aufgewühlt hat? Welchen Kollegen suchen Sie aus, um gemeinsam über eine unfertige Idee nachzudenken? Wem schreiben Sie sofort eine Teams-Nachricht, wenn Sie einen Erfolg teilen wollen? Wer stärkt Ihnen den Rücken, wenn Sie unsicher sind und mit sich selbst hadern?
Alles nur Frauenkram?
"Frauenkram, der mit Arbeit nichts zu tun hat", mag man nun denken. Dem ist zweierlei zu entgegnen. Erstens wissen wir spätestens seit den vielen Monaten der Corona-Pandemie, wie wichtig das Soziale am Arbeitsplatz ist. Der Plausch an der Kaffeemaschine ist seither schon fast sprichwörtlich.
Und zweitens: Ja, Care-Arbeit wurde und wird typischerweise Frauen zugeschrieben. Über die Jahrhunderte sind so funktionierende Praktiken und Kompetenzen gewachsen. Manch einer bringt deshalb Ursache und Wirkung durcheinander: Nein, Frauen sind nicht von Grund auf besser für Beziehungspflege geeignet. Aber es gibt Formen der Verbundenheit – der emotionalen Offenheit zum Beispiel, der Nähe, des vorsichtigen Denkens, des Sich-gemeinsam-verletzlich-Machens – , die insbesondere von und zwischen Frauen gepflegt wurden - was natürlich nicht heißt, dass alle Frauen und nur Frauen sie mit Leben füllen können.
Wir brauchen mehr Verbundenheit
Jetzt ist es Zeit, dieses Können einzusetzen und auszuspielen. Die Zeichen scheinen auf Spaltung zu stehen, in Deutschland erlebt das extrem Rechte einen Aufschwung, in den USA bricht ein Präsident mit alten Verbündeten und zieht neue Fronten. Wenn das mit "maskuliner Energie" gemeint sein soll, brauchen wir bestimmt nicht mehr davon. Wovon wir stattdessen dringend mehr brauchen, sind "weibliche" Seilschaften. Ersetzen Sie "weiblich" durch etwas anderes, wenn es Sie stört. Wir alle sind zu dieser Verbundenheit fähig: Nähe statt Spaltung, gemeinsames Vorwärtstasten statt Motorsägen-Getue, Einsicht in die eigene Fehlerhaftigkeit, die vorsichtig und nachsichtig macht, die uns erlaubt, offen miteinander umzugehen, und uns davor bewahrt, uns in unsere eigene Großartigkeit zu verlieben.
Wir brauchen diese Verbundenheit zwischen allen Menschen am Arbeitsplatz. Ein solches Miteinander facht unseren Enthusiasmus an, bringt uns zusammen und bildet den geschützten Raum, in dem wir Ideen entwickeln und wieder verwerfen können. Große Projekte und nachhaltige Veränderungen sind möglich, wenn Gleichgesinnte miteinander daran arbeiten und andere ins Boot holen – ob es um die Selbstverpflichtung zur Verringerung des Gender Pay Gap geht oder darum, Shared Leadership oder eine längere Elternzeit für Väter zur Selbstverständlichkeit im Unternehmen werden zu lassen.
Und schließlich hilft uns die Verbundenheit, nicht den Mut zu verlieren. Auch eine Wattwanderung macht mehr Spaß, wenn wir nicht allein unterwegs sind.
Und deshalb habe ich zum Abschluss eine kleine Aufgabe für Sie: Schicken Sie diesen Text einer Person, an die Sie beim Lesen gedacht haben – eine Kollegin oder ein Kollege, mit der oder dem Sie ein solch wertvolle Beziehung verbindet. Und dann verabreden Sie sich, zum Kaffee, zur Mittagspause oder zum Feierabendbier.
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