Personalmanager treten bisher weder als Akteure in der digitalen Transformation der Wirtschaft noch als Treiber bei der Entwicklung von Unternehmen in Richtung Enterprise 2.0 in Erscheinung. Studien wie die 2014 viel zitierte "HR 4 HR"-Studie von Kienbaum und dem Personalmagazin sprechen eine deutliche Sprache: Der Nutzen von HR wird von sich selbst und von anderen Fachbereichen nur als gering bis mäßig bewertet, außerdem hat HR ein Personalproblem.
Kann eine Funktion, die selbst noch nicht in der Digitalisierung angekommen ist, das Unternehmen, seine Mitarbeiter und Führungskräfte vorausschauend begleiten? Die Herausforderung für HR liegt auf zwei Ebenen: Die eigene Kompetenz und digitale Reifegrad der Personaler und das HR-Portfolio müssen weiterentwickelt werden.
Ebene eins: digitale Runderneuerung
Um zu verstehen, worum es in diesem Paradigmenwechsel geht, müssen Personaler rasch bei sich selbst und ihrer Kompetenzentwicklung anfangen. Dies beginnt bei der notwendigen Infrastruktur, geht über in eine moderne Arbeitsplatzausstattung mit mobilen Geräten und ist eingebettet in eine kreative und effiziente Arbeitsumgebung. Anschließend sollten sie agile Managementmethoden wie Scrum oder Design Thinking erlernen. Auch Methoden wie Barcamps oder Social Forecasting dürfen heutzutage in keinem modernen HR-Werkzeugkoffer fehlen.
Die Basis für Recruiter ist die gesamte Klaviatur von Social Media, SEO und Active Sourcing. Personalentwickler müssen mit Werkzeugen wie Moocs und Lern-Communities umgehen können. Die HR-IT-Spezialisten müssen künftig in der Welt der durchgängigen Digitalisierung und Mobilisierung der HR-Prozesse, Cloud Services und integrierten Lösungen zu Hause sein. Mit dem Erlernen und Anwenden vieler neuer Techniken und Methoden gehen dann auch eine Veränderung der Führungskultur in HR und eine organisatorische Anpassung einher.
Ebene zwei: neues HR-Portfolio
Diese Methoden können auch für die eigene Portfolioentwicklung angewandt werden. Dabei gilt es, Services und Produkte für die Transformation der Arbeitswelt 4.0 zu entwickeln. Darunter fallen unter anderem die Demokratisierung und Flexibilisierung von Organisationsformen, digitale Wertschöpfungsprozesse, New Leadership und die bereits genannten agilen Managementmethoden und sozialen Anwendungen.
Der Drei-Punkte-Plan zu digitaler Kompetenz lautet:
- altes Scheinwissen enttarnen
- digitales Nichtwissen wertschätzen
- praktisches, digitales Wissen pflegen (es leben, sich verändern und auch wieder sterben lassen).
Beim ersten Lesen wirken die vielen Elemente der Runderneuerung erschlagend. Doch moderne Personalmanager haben in den vergangenen Jahren schon einige Hausaufgaben erledigt. Wer sich noch nicht auf den Weg gemacht hat, der hat ein dickes Brett zu bohren, seine Rolle, Kompetenzen und Aufgaben neu auszurichten. Denn die Zeiten haben sich längst geändert.
Hierbei stellt sich die berechtigte Frage, ob der Aufwand lohnt. Das tut er: Ein digital kompetentes Unternehmen erwirtschaftet im Durchschnitt 26 Prozent mehr Gewinn als andere Firmen, ermittelte eine Cap Gemini-Studie von 2013. Digitale Kompetenz ist keine standardisierbare, sondern eine individuelle, je nach Job und Anspruch der Aufgabe genau zu definierende Angelegenheit.
Vom Scheinwissen verabschieden
So individuell die benötigte digitale Kompetenz ist: Für alle Berufsgruppen gilt, dass sie sich von ihrem Scheinwissen verabschieden müssen. Scheinwissen hat seine Vorzüge, da es dabei hilft, jederzeit sehr schnell und professionell zu agieren.
Gleichzeitig ist es aber auch gefährlich: Es achtet auf seinen Status und lässt nicht zu, dass es hinterfragt wird. Ebenso wehrt sich das Scheinwissen gegen Neues. So steht das Scheinwissen wie eine Betonmauer zwischen dem Menschen und dem Neuen und verhindert das Lernen.
Das Nichtwissen zulassen
Nichtwissen ist der nächsthöhere Kompetenzlevel: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Es beschreibt die Kompetenz, lernen und praktisches Wissen aufbauen zu können. Gegenüber dem Scheinwissen ändert sich die Qualität der Wahrnehmung und Erfahrung.
Nichtwissende nehmen die Umrisse neuen Wissens wahr, ohne die tatsächlichen Inhalte schon zu kennen. Dies hilft dabei, zu überblicken und zu verstehen, dass und wo Wissen aufgebaut werden muss. Nichtwissende rechnen damit, dass Wissen lebt, sich bewegt und verändert – und auch sterben kann. Nur sie sind imstande, die nächste Kompetenzstufe zu erreichen: die der Weisheit.
Vor diesem Hintergrund stellt das Nichtwissen die wichtigste Kompetenz in der sich digitalisierenden Welt dar. Nichtwissen ist notwendig, um offen zu sein und zu bleiben. Es schenkt die Freiheit, jederzeit alles hinterfragen zu können, um das Neue stets vorbehaltlos hereinlassen zu können.
Nichtwissen ist die notwendige Voraussetzung für Aufbau und Besitz jeglichen – nicht nur digitalen – Wissens. Und es bietet auch innerhalb einer Organisation die Voraussetzung für Aufbau und Management von nicht nur digitalen Kompetenzen.