Haufe Online-Redaktion: Der Fall der internationalen Gartenschau in Hamburg ist vor Gericht gelandet, weil keine Boni ausgezahlt wurden. Stark verkürzt kann man sagen, das Gericht gab den klagenden Arbeitnehmern Recht, weil das Ziel von 2,5 Millionen Besuchern unrealistisch war. Was genau ist daran unrealistisch?
Dr. Friedrich Fratschner: An sich ist das nicht unrealistisch. Das Problem ist nur: Das ist eine reine Vorgabe, die mit einem Bonus verknüpft ist. Der einzelne Mitarbeiter kann es alleine kaum beeinflussen.
Haufe Online-Redaktion: Aber der einzelne Mitarbeiter könnte ja schon durch sein Verhalten zum Beispiel dafür sorgen, dass sich die Besucher wohl fühlen. Das könnte das Ziel doch beeinflussen.
Fratschner: An der Kasse freundlich zu lächeln ist aber kein Ziel – das ist ein Beurteilungsmerkmal. Dass man die Besucher freundlich behandelt, ist also ein Standard, den es nicht zu vereinbaren gilt. Per se hat die Vorgabe der Besucherzahl nichts mit Zielvereinbarungen zu tun – wenn überhaupt, dann wäre das eine Zielvereinbarung für das Management oder vielleicht noch für einen Marketingleiter. Damit es eine Zielvereinbarung für Mitarbeiter wird, muss man die Vorgabe auf die einzelnen Abteilungen herunterbrechen. Man muss sehen, was sie dazu beitragen können, damit die Besucherzahl steigt. Dabei muss man aber aufpassen, dass man die Zielvereinbarungen nicht auf operative Stellen ausdehnt.
Haufe Online-Redaktion: Warum?
Fratschner: Das ist ein Problem in vielen Zielvereinbarungssystemen. Man versucht, die Ziele für alle Mitarbeiter zu schließen. Ein Sachbearbeiter hat aber gar nicht den nötigen Freiraum in seinem Aufgabenbereich, um Ziele frei vereinbaren zu können. Mitarbeiter, die allein operative Aufgaben übernehmen, sollten nicht über Zielvereinbarungen geführt werden. Ihnen kann man aber selbstverständlich Vorgaben geben, an denen sie sich orientieren können.
Haufe-Online-Redaktion: Und was macht nun eine realistische Zielvereinbarung aus?
Fratschner: Realistisch heißt, das Anspruchsniveau eines Ziels wird an der Realität ausgerichtet. Die Frage, ob ein Ziel realistisch ist, klärt sich leichter, wenn man die Ziele aus den Unternehmenszielen ableitet. Damit stellt man sicher, dass die Zielerreichung einen wirklichen Mehrwert schafft. Man spricht eigentlich immer nur über realistische Ziele, weil man über Jahre eingebläut bekommen hat, dass Ziele "smart" sein müssen – das Akronym steht ja bekanntermaßen für spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch und terminiert. "Smart" ist aber lediglich eine wertlose Worthülse, die in jedem Zielvereinbarungshandbuch steht. Wenn man nachfragt, wissen die meisten nicht, was das genau für den Prozess der Zielvereinbarung und -bewertung bedeutet. Höchstens sagen dann einige, dass Ziele messbar sein müssen, aber nicht beurteilbar. Das geht für mich konsequent am Bedarf der Unternehmen vorbei. Ziele müssen messbar und beurteilbar sein – auch wenn das den Führungskräften mehr Mut zur Subjektivität abverlangt. "Smart" klingt natürlich schön und hat sich deswegen ja auch in der HR-Welt verfestigt. Aber letztlich relevant für Zielvereinbarungen sind drei Kriterien: Zeit, Menge und Güte.
Haufe Online-Redaktion: Und wie definieren Sie diese drei Dimensionen?
Fratschner: Zeit lässt sich in Projekten oder Teilschritten ausdrücken. Menge steht für das, was am Ziel messbar ist. Die Güte beschreibt, wie das Ziel aussieht, das am Ende erreicht werden soll – hier geht es also um die Qualität, die beurteilt werden muss.
Haufe Online-Redaktion: Diese Dimensionen werden aber doch auch in den "Smart"-Zielen abgebildet …
Fratschner: Das stimmt zum Teil. Aber ich kenne kein einziges Unternehmen, das die Ziele anhand der Smart-Kriterien wirklich konsequent prüft. Und diese Qualitätssicherung ist das entscheidende. Deswegen empfehle ich die Zielvereinbarungen anhand der drei Dimensionen zu vereinfachen und sie dafür wirklich auch daran zu vereinbaren und zu prüfen.
Das Interview führte Kristina Enderle da Silva.
Dr. Friedrich Fratschner ist geschäftsführender Partner beim Beratungsunternehmen Baumgartner und Partner.
Hinweis: Baumgartner & Partner führt in Kooperation mit der TU München den für Deutschland relevanten Teil der globalen Studie zur „Wirkung und Akzeptanz leistungsbasierter Gehaltserhöhungen“ durch. Die Studie richtet sich an Unternehmen ab 300 Mitarbeitern. Alle Teilnehmer erhalten den nationalen/internationalen Benchmark-Bericht.